Biographien Brigitte Fassbaender
geboren am 3. Juli 1939 in Berlin
deutsche Sängerin (Mezzosopran), Regisseurin, Gesangspädagogin, Autorin und Intendantin
85. Geburtstag am 3. Juli 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Exzeptionelles Talent, harte Arbeit und eine Portion Glück
Das Singen war das Wichtigste im Leben von Brigitte Fassbaender, es bescherte ihr eine märchenhafte Karriere, die Sängerin wurde zum Weltstar der Oper und des klassischen Liedgesangs, und ist heute mit ihren 80 Jahren immer noch aktiv als Gesangspädagogin, Regisseurin und Intendantin. Dabei war es nie ihr Ehrgeiz, schön zu singen - Wahrhaftigkeit war ihr wichtiger als der reine Schöngesang. Ihre Karriere habe sich sehr stetig, sehr glückhaft und sehr ruhig entwickelt, am Applaus und an den Äußerlichkeiten dieses Berufs war ihr nie gelegen, sagt sie in einem Interview. Sie wollte Menschen emotional erreichen, dafür brannte sie; Singen war für sie ein existentielles Bedürfnis. Es gibt für sie nichts Schöneres, als die Menschen zum Lachen oder zum Weinen zu bringen.
Nun hat die Künstlerin 2019, im 80. Lebensjahr, ihre Memoiren veröffentlicht: „Komm' aus dem Staunen nicht heraus“, ein Zitat aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss (Libretto: Hugo von Hofmannsthal). Octavian, der jugendliche Rosenkavalier, war die Rolle ihres Lebens, eine Hosenrolle, in der sie auch auf dem Buchcover abgebildet ist, die Rose sichtbar vor sich. Wer wie ich Brigitte Fassbaender in dieser für sie maßgeschneiderten Rolle 1979 in München gesehen hat, vergisst die magischen Momente nie, bei denen vom ersten Takt an hier etwas ganz Ungeheuerliches geschah: Die Künstlerin, perfekt in der doppelten Travestie dieser Rolle, war ein Hochgenuss für alle Strauss-Fans, die weltweit bedauerten, dass sie mit 48 Jahren den Octavian aufgab. Dass sie 1994, sieben Jahre später, mit 55 Jahren, auch noch aus freien Stücken ihre Gesangskarriere beendete, war ein weiterer Schlag für ihre Fangemeinde, auch wenn sie weiterhin ihrer großen Liebe zur Musik treu blieb, um sich als Regisseurin und Musikpädagogin eine neue Karriere aufzubauen.
Es verwundert nicht, dass Brigitte Fassbaender keine der üblichen Sängerinnen-Autobiografien geschrieben hat und fast die Hälfte der 380 Seiten ihrem „Seitenwechsel“ zur Regisseurin, Intendantin und Gesangslehrerin widmet. Als spät berufene Regisseurin kommt sie ohne knallfarbige Effekthascherei und Videoblendwerk aus, beschäftigt sich lieber mit den Menschen in ihrem Leid, ihrer Sehnsucht, ihrer Gewaltbereitschaft, ihrer Freude. Anschaulich, bewundernswert belesen, ohne aufzutrumpfen und mit feinem Humor schreibt sie über sich als Ausnahmekünstlerin, über ihre bewegte Lebens- und Familiengeschichte mit den berühmten Eltern, dem Bariton Willi Domgraf-Fassbaender und der Schauspielerin Sabine Peters, rekapituliert in eindringlichen Rückblicken klug und feinsinnig ihr Leben, das geprägt ist von Disziplin, harter Arbeit, aber auch immer wieder von Glück, Lebensfreude, Freundschaften und mutigen Entscheidungen.
Über ihre Stimme sagen Kolleginnen* zu recht, ihre Stimme sei „wie ein Klang jenseits des Grabes“, was sie gesanglich allein schon mit Rossinis: „Agnus Dei“ unter Beweis stellt. Ihr Mezzosopran ist warm, erdig, empfindsam und leuchtet in unzähligen Farbnuancen, transportiert auch Stärke und Wahrhaftigkeit, neben allem Schönklang. Das Singen sei ein Traum der Befreiung, ein glühendes Sich-Aussetzen mit Haut und Haar, ein Rühren an die Ewigkeit durch den als unendlich empfundenen Atem als Basis. „Wer nicht Tag und Nacht für den Beruf des Sängers brennt, dem wird die große Karriere verwehrt bleiben.“
Das „Unternehmen Fassbaender“ wird umsichtig und routiniert von ihrer persönlichen Referentin Jennifer Selby gemanagt. Diese Arbeitsgemeinschaft ist auch seit 40 Jahren eine Lebensgemeinschaft, was nicht nur zwischen den Zeilen diskret nachzulesen ist. Im ersten Drittel des Buches sagt sie unverhohlen in Zusammenhang mit der Scheidung von ihrem Mann Ende der Sechzigerjahre, dass sie sich auch zu Frauen hingezogen fühlte. In gewisser Weise spielt Jennifer Selby in den Memoiren die wichtigste Nebenrolle, taucht in der Widmung im Buch auf als „J.“ und auf mindestens 30 Seiten.
Fassbaender mag allen Ismen misstrauen, dennoch gelang ihr „feministisch“ Beindruckendes, z.B. in der „Lulu“ von Alban Berg, da singt und spielt sie die Tragik der (lesbischen) Gräfin Geschwitz so, dass bei ihrem verzweifelten Ausruf: „Ich muss für Frauenrechte kämpfen“, niemand, wie sonst üblich, zu lachen wagte. Auch in der #MeToo-Causa Siegfried Mauser, als Präsident der Musikhochschule München jüngst als Sexualstraftäter rechtskräftig verurteilt, forderte sie konsequent seinen Ausschluss aus der Akademie. Der Münchner Kulturszene um die Mandarine H.M. Enzensberger und Michael Krüger zum Trotz. Über den Dirigenten Sir George Solti und den Sänger Placido Domingo teilt sie mit, dass keine Frau vor ihnen sicher war.
Gesangliche Vorbilder waren Ihr Vater und einziger Gesangslehrer, der Kammersänger Willi Domgraf-Fassbaender, aber auch Dietrich Fischer-Dieskau, Liedinterpret von Weltrang, weil er an die Grenzen des Machbaren ging und Maßstäbe setzte. Angeregt von seiner Könnerschaft, versuchte sie sich erstmals als Sängerin an den bis dahin männlichen Sängern vorbehaltenen drei großen Schubert-Zyklen: Die schöne Müllerin, Winterreise und Schwanengesang – und setzte dabei selber neue Maßstäbe für Sängerinnen.
Unter den vielen Persönlichkeiten, deren künstlerische Aussagen sie bewegt und beeindruckt haben, gehört zuvorderst Maria Callas, deren emotionaler Gesang in höchster Vollendung sie elektrisierte und hinriss. Zu ihrem Bedauern konnte sie die Callas nur noch im Abglanz ihrer Größe in München erleben.
Martha Mödl, die hochdramatische Opernsängerin, liebte sie wegen der Intensität ihrer Bühnenpräsenz, ihrer Uneitelkeit und Bescheidenheit. Ein weiteres Vorbild: die mit 101 Jahren 2019 verstorbene große Sängerin und Gesangslehrerin Hilde Zadek: über viele Jahrzehnte fit, tolerant, liebenswürdig, freundschaftsfähig und offen zu bleiben, gern auch bis 101 - nachahmenswert!
Die große Ausnahmekünstlerin Fassbaender, die sich durchaus zu Melancholie und depressiven Anwandlungen bekennt, sagte in einem Interview einmal, sie sei eigentlich ein pessimistischer Mensch, aber mit viel Humor.
Ihr Refugium ist heute ein Bauernhof im Chiemgau, wo das Multitalent weiterhin malt, schreibt, liest und kreativ ist, wie sie das immer schon war, und wo sie intensiv Glück empfinden kann, was ihr vor allem jetzt im Alter noch viel besser gelingt. Sie sei zum Ausruhen nicht gemacht, so ihr Fazit. Ihre Arbeit sei nach dem Singen in keiner Weise an einem Endpunkt angekommen, sie befände sich immer noch im Aufbruch, immer noch mit neuen Abenteuern konfrontiert, mit denen sie wachsen, mit denen sie sich beweisen kann.
Ihre große musikalische Liebe bleibt, neben Mozart, Franz Schubert; das Göttliche bei beiden Komponisten hat es ihr angetan. Schuberts „Taubenpost“ mit dem Thema Sehnsucht ist ihr Thema, sie sehne sich ständig nach etwas, ohne zu wissen, wonach eigentlich. (Text von 2020)
Ehrungen
- 1970: Bayerische Kammersängerin
- 1979: Deutscher Kritikerpreis
- 1983: Österreichische Kammersängerin
- 1985: Frankfurter Musikpreis
- 1986: Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
- 1987: Ehrendoktorwürde der Universität Manchester
- 1989: Bundesverdienstkreuz am Bande
- 1992: Bayerischer Verdienstorden
- 1995: Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst
- 2001: Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
- 2002: Großer Tiroler Adler-Orden
- 2004: Wolfgang-Amadeus-Mozart-Preis
- 2004: Ehrenmitglied des Deutschen Musikrats
- 2005: Verdienstkreuz der Stadt Innsbruck
- 2006: Musikprei der Landeshauptstadt München
- 2010: Mitglied des Ordens Pour le Mérite
- 2011: Ritter der Ehrenlegion (L’Ordre national de la Légion d’Honneur)
- 2012: Großes Verdientskreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland
- 2012: Ehrenring der Stadt Innsbruck
- 2013: Life Achievement Awardvon Diapason in Paris
- 2013: Hugo-Wolf-Medaille der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart
- 2015: Oberbayerischer Kulturpreis
- 2016: International Opera Award /Lifetime Achievement Award in London
- 2017: Goldene Medaille der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen
- 2017: Ehrenmedaille in Gold des Landkreises Garmisch-Partenkirchen
- 2017: Ehrenmitglied des Förderkreises Richard-Strauss-Festspiele Garmisch-Partenkirchen e.V.
- 2017: Echo Klassik in der Kategorie »Lebenswerk«
Verfasserin: Brigitte Siebrasse
Literatur & Quellen
Castle, Terry. 1995. “In Praise of Brigitte Fassbaender. Reflections on Diva-Worship”. In: Blackner, Corinne E. & Patricia Juliana Smith . Hg. : En travesti: Women, Gender, Subversion, Opera. New York. S. 20–58.
Fassbaender, Brigitte. 2019. 'Komm' aus dem Staunen nicht heraus': Memoiren. Mit 49 Abbildungen. München. Beck.
Kesting, Jürgen. 1986. Die großen Sänger. 3 Bde. Düsseldorf. Claassen.
Kutsch, Karl Josef & Leo Riemens. Unvergängliche Stimmen: Sängerlexikon. Bern 1975.
Lewinski, Wolf-Eberhard von. 1999. : Brigitte Fassbaender. Interviews. Tatsachen. Meinungen. Mainz.
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