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(geb. Szeps)
geboren am 13. April 1864 in Wien
gestorben am 16. Oktober 1945 in Paris
österreichische Saloniere, Journalistin, Publizistin, Übersetzerin, Botschafterin
160. Geburtstag am 13. April 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„'Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit'. Hingerissen von diesem Losungswort stürzte ich mich in den Kampf. Es galt die österreichische Kunst zu verteidigen…“ schreibt Bertha Zuckerkandl rückblickend im Jahr 1939. Für diese Aufgabe war sie geradezu prädestiniert.
Sie wurde hineingeboren in eine liberale jüdische Familie. Ihr Vater, Moritz Szeps, war ein angesehener Zeitungsmann im Wien der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts und ermöglichte seinen fünf Kindern eine umfassende Bildung. Da es für die Töchter keine Möglichkeit gab, ein Gymnasium zu besuchen, wurden sie privat unterrichtet. Moritz Szeps war in der Welt der Intellektuellen Wiens gut vernetzt und konnte anerkannte Fachleute für die Ausbildung der Töchter gewinnen. Das Programm umfasste Naturwissenschaften, Sprachen und vor allem Kunst. Sophie (geb. 1860) und Berta erhielten über mehrere Jahre dreimal wöchentlich eine profunde Einführung in Kunst- und Kulturgeschichte, und zwar von Albert Ilg, dem Leiter des Kunsthistorischen Museums. Dieser Unterricht wurde der Grundstock für Bertas lebenslanges kulturelles Engagement. Im Wien jener Zeit hatten Journalisten und ihre Familien freien Zugang zu allen kulturellen Veranstaltungen. Berta und ihre Geschwister nahmen daher früh auch am Theaterleben teil.
Die junge Berta war interessiert, lebhaft und charmant und wusste die Herzen ihrer Mitmenschen zu gewinnen. Schon die 17Jährige begleitete den Vater als 'Sekretärin', wenn er hohe französische und englische Politiker aufsuchte, und lernte sich auf dem politischen Parkett zu bewegen.
Bildung durfte, so Moritz Szeps, und seine Tochter folgte ihm darin, nicht allein begüterten Menschen zuteil werden. Die Emanzipationsgesetzgebung von 1867 schien zwar die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung aufzuheben, aber der politische Liberalismus blieb unsicher. Das sich assimilierende jüdische Bürgertum setzte seine Hoffnung u.a. in die Wirkung von Bildung und von Kunst.
In diesem Umfeld wuchs Berta Szeps heran. Als sie 1886 den Grazer Anatomen Emil Zuckerkandl heiratete, fand sie in ihm einen Partner, der ganz in der geistigen und politischen Tradition der Familie der jungen Frau stand. 1888 wurde er ordentlicher Professor in Wien und vertrat in seiner Antrittsvorlesung die Thesen Darwins. Den schweren Vorwürfen seitens der Hochschulleitung stellte er sich mutig entgegen. Auch setzte er sich für 'volksthümliche Universitätskurse' ein und bot selbst öffentliche Anatomievorlesungen an. Moritz Szeps wiederum gründete im Jahr 1900 die Wochenschrift Das Wissen für Alle. Volkstümliche Vorträge und populärwissenschaftliche Rundschau. Berta veröffentlichte in diesem Blatt mehrere Beiträge.
Mit dem Kauf einer Villa in Döbling schuf das Ehepaar Zuckerkandl die Voraussetzung für einen Salon, der zu einem gerne besuchten Treffpunkt wurde. Die Kunst- und Kulturszene gesellt sich „bei der Zuckerkandl“ zu 'hitzigen Debatten' (so Hermann Bahr). Es kommen Schriftsteller wie Altenberg, Schnitzler oder von Hofmannsthal, der Architekt Olbrich. Musiker wie Mahler, Schönberg oder Berg stellen ihre neuesten Kompositionen vor. Neben Klimt sind Carl Moll, Koloman Moser und Otto Wagner regelmäßige Besucher. Hier wird 1897 die Idee zur Künstlervereinigung der Sezession geboren, deren Motto 'Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit' Bertas Lebensthema wird. Auch bei der Gründung der Wiener Werkstätten im Jahr 1903 spielt sie eine fördernde Rolle, unterstützt Moser und die Idee des 'Gesamtkunstwerks' in zahlreichen Artikeln.
Nun, Anfang des 20. Jahrhunderts, entwickelt sie sich von der Amateurschriftstellerin zur professionellen Journalistin. Ihr Mann, inzwischen beruflich anerkannt, wird zum Hofrat ernannt, sie ist damit „Frau Hofrätin“. Als Kunst- und Kulturkritikerin kämpft sie für die 'Wiener Moderne' und gegen die althergebrachte und womöglich vom Staat gelenkte Kunst. Das Tun solcher Kunstbeamten brandmarkt sie als Reißbrettästhetik. Bertas Publikationsmedien sind die Wiener Allgemeine Zeitung, das Neue Wiener Journal und die Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration. In ihren wöchentlich in der liberalen Wiener Allgemeinen Zeitung erscheinenden Kunstkolumnen findet sie harte Worte:
„Bureaukratismus und Kunst müssen ewig sich feindlich gegenüberstehen; denn das Wesen des Bureaukratismus ist die Bevormundung, und das Wesen der Kunst ist die Freiheit. Solange aber Verwaltungsbeamte, … die Diktatoren der Kunstentwicklung sind, solange wird das eherne Wort, welches der deutsche Kaiser einst sprach: 'Es muss auf die Kunst der Daumen gehalten werden', das Richtwort bleiben für diese Diener des Staates und Antagonisten echter Kunst.“ (Zeitkunst, S. 181).
Ihr engagierter, sehr persönlicher, emphatischer, gelegentlich selbstgerechter Stil provoziert u.a. ätzende Kommentare des selbst um keine Zuspitzung verlegenen Karl Kraus in seiner Zeitschrift Die Fackel.
Des Vaters Verbindungen zu England, vor allem zu Frankreich, kommen ihr und ihrem Einsatz für die Kunst zustatten. Besuche in Paris eröffnen ihr die Welt der französischen Kunst. Ihre ältere Schwester Sophie, verheiratet mit Paul Clemenceau (dem Bruder des späteren frz. Präsidenten), führt einen großen Salon, in dem Berta die Kunstavantgarde trifft und wo die weltoffene kenntnisreiche Kunstexpertin, die sie inzwischen ist, Freundschaft nicht nur mit Georges Clemenceau, sondern auch mit Künstlern wie Rodin, Gérardy oder Ravel schließt. Beste Voraussetzungen, um zur wirkmächtigen Förderin der Wiener Moderne, der Kultur in ihrer Heimatstadt zur werden. Ihr Eintreten für Klimt, dessen Deckengemälde für die Aula der Universität Wien eine Art Staatsaffäre provoziert hatte, beschert ihr einen großen, auch im Ausland wahrgenommenen journalistischen Erfolg.
Neben der Freiheit der Kunst verteidigt die Hofrätin gleichermaßen die Freiheit der Person, die ja auch von Klimt eingeklagt worden war. Bertas soziales Engagement gilt den Persönlichkeitsrechten der Frauen, die, so betont sie in ihrem Aufsatz „Cultureller Dilettantismus“, auch Pflichten mit sich bringen: nämlich sich Wissen und Allgemeinbildung anzueignen und an die nächste Generation weiter zu geben, Trägerinnen einer 'geistigen Evolution' zu werden. In diesem im Jahr 1899 in der Zeitschrift Dokumente für Frauen erschienenen Aufsatz beklagt sie allerdings auch resignierend den allzu großen Abstand „zwischen dem kleinen Häuflein der Muthigen“, der „Frauenrechtlerinnen“ und „der gleichgiltien, trägen, interesselosen Classe jener weiblichen Wesen, welche keine anderen Impulse kennen als die – egoistischen Wohllebens.“ (Dokumente für Frauen, S. 231).
Inmitten dieses voll gelebten Lebens ereilt Berta Zuckerkandl ein privater Schicksalsschlag. 1910 stirbt ihr Mann, zwei Jahre später ihre Mutter. Die inzwischen 46Jährige zieht sich völlig zurück, kehrt dann 1916 von Döbling in die Innenstadt zurück und führt hier ihren Salon weiter. Zu den alten Freunden kommen neue hinzu, aber ihr persönliches Leben ändert sich grundlegend: Sie muss Geld verdienen.
Berta übersetzt französische Literatur, z. B. die Theaterstücke ihres alten Freundes Paul Gérardy, später Werke von Jean Anouilh, sie überträgt Schnitzler ins Französische. Sie ist nun politische Journalistin, engagiert sich als Pazifistin, sucht nach Wegen für einen Separatfrieden mit Frankreich, reist im Auftrag der Regierung als Botschafterin für Frieden und Völkerverständigung in die Schweiz, um von Frankreich und den USA Hilfe für die österreichische Hungerhilfe zu erbitten. Mit nur geringem Erfolg verhandelt sie mit Georges Clemenceau und Paul Painlevé. Sie hatte sich schon vor dem Krieg für die zahlreichen, aus Galizien kommenden jüdischen Flüchtlinge eingesetzt, wirft jetzt in der Presse den Wienern Herzlosigkeit vor, organisiert einen offenen Brief von Romain Rolland und wird immer wieder in Regierungskreisen vorstellig. Auch auf internationaler Ebene verstärkt sie ihren Einsatz.
In der Nachkriegszeit wechselt Zuckerkandl zu einer Zeitung von mitteleuropäischem Format, dem Neuen Wiener Journal, und wird zur bedeutendsten außenpolitischen Kommentatorin Österreichs. Sie reist als Sonderkorrespondentin ins europäische Ausland und beginnt 1924 eine umfangreiche Serie von Exklusivinterviews mit westeuropäischen Spitzenpolitikern. Diese Artikel werden ein großer Erfolg und steigern das Vertrauen der Politiker in Zuckerkandls Fähigkeiten. So ist es naheliegend, sie auch weiterhin als 'Botschafterin' für österreichische Anliegen einzusetzen. Tatsächlich erringt sie zumindest einen Teilerfolg im Bemühen Österreichs um die Abschaffung der Völkerbundsaufsicht über Österreichs Finanzen.
Zuckerkandls Einsatz für Völkerverständigung erschöpft sich nicht im Politischen. Sie wendet sich wieder kulturellen Belangen zu. Als nach dem Krieg Max Reinhard und ihr alter Freund Hugo von Hofmannsthal sie für ihre Pläne zur Rettung der österreichischen Kultur gewinnen wollen, ist sie sofort dabei. Ihr gemeinsames Projekt, die Salzburger Festspiele, ist bis heute ein internationaler Erfolg. Sie begleitet die Entstehung und die ersten Aufführungen journalistisch mit Kommentaren und Kritiken in den Wiener Zeitungen. Unter dem Vorwort zur Festschrift der ersten Saison im Jahr 1920 steht der Name Berta Zuckerkandl.
Dieses reiche, vielseitig engagierte Leben nimmt ein bitteres Ende. Nach Hitlers Einmarsch in Österreich emigriert Berta Zuckerkandl mit ihrem Enkel Emile noch im März 1938, unterstützt durch den treuen Freund Paul Gérardy. Nach einer kurzen Zeit in Paris flieht sie 1940 zu ihrem Sohn Fritz nach Algier. Verarmt und elend geht sie weiter ihrer publizistischen und schriftstellerischen Arbeit nach. Im September 1945 kehrt sie, schwer erkrankt, nach Paris zurück. Hier stirbt Berta Zuckerkandl am 16. Oktober 1945, der Friedhof Père Lachaise wird ihre letzte Ruhestätte.
Fast vergessen, wird diese eindrucksvolle Frau in den 80er Jahren neu entdeckt, werden ihre weit ausgreifende Arbeit und ihr wirkungsvolles Beziehungsgeflecht gewürdigt.
(Text von 2019)
Verfasserin: Barbara Rodt
Literatur & Quellen
Fetz, Bernhard. Hg. 2018. Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl. Zentralfiguren der Wiener Moderne. Begleitkatalog zur Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek 22.03.2018-17.02.2019. Wien
Meysels, Lucian O. 1985. In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Wien.
Oppenauer, Markus. 2012. Der Salon Zuckerkandl im Kontext von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Populärwissenschaftliche Aspekte der Wiener Salonkultur um 1900. Wien.
Schmid, Sigrid, Hanna Schnedl. Hg. 1982. Totgeschwiegen. Texte zur Situation der Frau von 1880 bis in die Zwischenkriegszeit. Wien.
Zuckerkandl. Berta. 1988. Österreich intim. Erinnerungen 1892 -1942. Frankfurt/Main.
Zuckerkandl, Berta. 1908. “Von den definiten Provisorien”. Jänner 1907. In Bertha Zuckerkandl. 1908. Zeitkunst. Wien 1901-1907. Mit einem Geleitwort von Ludwig Helvesi. Wien & Leipzig. Hugo Heller & Cie.
Zuckerkandl, Berta. 1899. “Cultureller Dilettantismus”. In: Dokumente der Frauen. 15. Juli 1899.
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