geboren am 31. Januar 1920 in Paris
gestorben am 20. Juni 2016 in Hyères
französische Schriftstellerin, Journalistin und Feministin
105. Geburtstag am 31. Januar 2025
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Benoîte Groult war von der Radikalität der neuen französischen Frauenbewegung zu Beginn der 1970er Jahre zunächst irritiert. Bis dahin hatte sie ihre eigenen Leiden und Kämpfe als persönliche, nicht gesellschaftliche Problematik betrachtet. Dann aber startete sie durch: 1975, im selben Jahr wie Alice Schwarzers Kleiner Unterschied, erschien ihr kämpferisches Manifest Ainsi soit-elle (etwa: So soll sie sein) und Groult wurde eine der populärsten französischen Feministinnen – es verwundert nicht, dass Alice Schwarzer stolz war auf ihre langjährige Freundschaft mit der älteren Kollegin.
Obwohl in einem unkonventionellen großbürgerlichen Pariser Milieu aufgewachsen – ihre Mutter war als erfolgreiche Modedesignerin die Hauptverdienerin in der Familie – war Benoîte Groult, wie sie schreibt, „ein Mädchen des 19. Jahrhunderts“ geblieben. Sie studierte Literatur, unterrichtete zu Kriegsende an einer Nonnenschule, heiratete einen Medizinstudenten, der kurz darauf an Tuberkulose starb, heiratete „viel zu schnell“ erneut, einen charmanten Rundfunkreporter, der sich beklagte, dass sie immerzu schwanger wurde, bekam zwei Töchter und durchlitt mehrere illegale Abtreibungen, deren grauenvolle Details sie später in ihrer Autobiographie beschrieb. Mit Anfang 30 verliebte sie sich in Paul Guimard, einen witzigen, belesenen Linksintellektuellen, bekam eine dritte Tochter und begann ernsthaft mit dem Schreiben – eine echte Herausforderung in einer engen 4-Zimmer-Wohnung mit drei kleinen Kindern, „ohne Waschmaschine, ohne Wegwerfwindeln, ohne Tampons“. Ihr Mann zog derweil zum Schreiben ins Hotel. Aus Kriegstagebüchern, die sie zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Flora geführt hatte, entstand ihr erster Roman, Journal à quatre mains (1962), gefolgt von zahlreichen anderen, die sich allesamt gut verkauften.
So war sie eine erfolgreiche Schriftstellerin von Mitte 50, als sie ihrem Verleger das Manuskript zu Ainsi soit-elle vorlegte. Der fürchtete finanzielle Einbußen – ganz zu unrecht, das Buch erzielte eine Millionenauflage. Angetrieben von dem Gedanken, den „Müttern“ (also ihrer eigenen Generation) den Zorn der jungen Feministinnen zu erklären, präsentierte sie die Geschichte des Frauenhasses quer durch die Jahrhunderte und Gesellschaften, von der Hexenverfolgung bis zu Freuds „Schwarzem Kontinent“. Das erschütterndste Kapitel widmete sie der weiblichen Genitalverstümmelung; als erste Autorin im französischsprachigen Raum beschrieb sie das bis heute praktizierte grausame Ritual.
In den folgenden Jahrzehnten engagierte sich Groult in vielen Bereichen der Frauenbewegung, besonders für legale Abtreibung und den freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Kinder bekommen zu können, sollte ein „Privileg“ der Frauen sein, nicht ihr „Schicksal“. 1978 gründete sie zusammen mit der Journalistin Claude Servan-Schreiber das feministische Hochglanzmagazin F-Magazine, das eine Auflage von 200.000 erreichte, allerdings nach zwei Jahren eingestellt wurde, als der Hauptgeldgeber der Meinung war, es sei nun genug mit dem Feminismus.
Als Schriftstellerin und Journalistin lag Groult besonders die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit in der französischen Sprache am Herzen, ein mühsames Unterfangen. Von 1984 – 1986 war sie Präsidentin einer staatlichen Kommission, die Reformvorschläge zur Feminisierung von Berufs- und Personenbezeichnungen erarbeitete, musste allerdings immer wieder auf der praktischen Umsetzung bestehen, z.B. in Interviews und Talk-Shows als „écrivaine“ (Schriftstellerin), nicht „écrivain“ bezeichnet zu werden.
1988 erschien ihr Weltbestseller: Les vaisseaux du cœur (dt. Salz auf unserer Haut), die Geschichte einer Amour fou zwischen einem bretonischen Fischer und einer Pariser Intellektuellen, die sich in jungen Jahren kennenlernen und ihr Leben lang, obwohl anderweitig verheiratet, nicht voneinander lassen können. Skandalöser als die für ihre Zeit recht freizügigen Sexszenen war die Grundeinstellung der Protagonistin, die, wie man zu Recht vermutete, von der Autorin geteilt wurde: eine Frau darf sexuelle Befriedigung einfordern und ohne Gewissensbisse genießen. Im wahren Leben Benoîte Groults war der bretonische Fischer ein amerikanischer Pilot, Kurt, den sie als junge Frau zu Kriegsende in Paris getroffen hatte, nie heiraten wollte, und der bis ins hohe Alter ihr hingebungsvoller Liebhaber war – geduldet von Ehemann Paul, der seinerseits zahlreiche Nebenbeziehungen führte.
Ihren „drei Lieben: Kurt, Paul, die Einsamkeit. In beliebiger Reihenfolge“ setzte sie in der letzten Veröffentlichung unter ihrem Namen Vom Fischen und von der Liebe (dt. 2019) ein großartiges Denkmal. In dem von ihrer Tochter aus Tagebüchern und Logbüchern zusammengestellten Bericht über 27 Sommer, die Groult in ihrem Ferienhaus an der irischen Küste verbracht hatte, geht es um die Angst vor dem Alter und dem Verlust der eigenen Schönheit, Begegnungen mit anregenden, auch anstrengenden Gästen (darunter Präsident Mitterrand), den schonungslos beobachteten Verfall ihrer Männer („Arschbacken wie Plisseesterne“) und ihre für LandbewohnerInnen schwer nachvollziehbare Begeisterung für Fischfang auf rauer, irischer See. Sie selbst konnte die Veröffentlichung nicht mehr betreuen. In den letzten Jahren vor ihrem Tod mit 96 erkrankte Groult noch an Alzheimer - nachdem sie so lange für ein frei bestimmtes Leben (und Sterben) gekämpft hatte.
(Text von 2020)
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
Meine Enkelin weiß gar nicht, wovon wir Feministinnen sie befreit haben.
Links
Cauwe, Lucie. 2016. Décès de Benoîte Groult, féministe et romancière
Schwarzer, Alice. 2013. Meine Freundin Benoîte Groult
Literatur & Quellen
Groult, Benoîte. 1975. Ainsi soit-elle (dt. 1985: Ödipus’ Schwester: Zorniges zur Macht der Männer über Frauen. München. Droemer Knaur).
Groult, Benoîte. 1989. Salz auf unserer Haut. Aus dem Frz. von Irène Kuhn. München. Droemer Knaur.
Groult, Benoîte. 2008. Mon évasion: Autobiographie. Paris 2008. (dt. 2009: Meine Befreiung. Berlin. Bloomsbury).
Groult, Benoîte. 2019. Vom Fischen und von der Liebe: Mein irisches Tagebuch (1977-2003). Aus dem Frz. von Patricia Klobusiczky. Berlin. Ullstein.
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