(Suzanna Arundhati Roy)
geboren am 24. November 1961 in Shillong, Meghalaya
indische Schriftstellerin, politische Aktivistin und Globalisierungskritikerin
60. Geburtstag am 24. November 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Arundhati Roy schreibt leidenschaftlich, provozierend und radikal subjektiv über den fortschreitenden Ausverkauf Indiens und benennt die Verantwortlichen, die zumeist weit entfernt vom Ort des Geschehens in den Machtzentren der Welt sitzen. Vehement verteidigt sie die »nicht indoktrinierte Ungezähmtheit« der indischen Lebensart gegen die Herrschaft des Strichcodes. Seit dem Erscheinen ihres Romans »Der Gott der kleinen Dinge« 1997, für den sie den britischen Booker Literaturpreis erhält, ist Arundhati Roy die international bekannteste Schriftstellerin Indiens.
Arundhati Roy ist in Aymanam am Ufer des Meenachil Flusses im südindischen Bundesstaat Kerala aufgewachsen. Ihre Mutter, die den Thomaschristen angehört, ließ sich von Roys Vater, einem bengalischen Hindu und Teeplantagenbesitzer, scheiden. Ihrer Tochter rät sie: »Was auch immer du tust, heirate nie. Und schlaf erst mit einem Mann, wenn du finanziell unabhängig bist.« Roy genießt es, nicht den für Mädchen der indischen Mittelschicht typischen Konditionierungen ausgesetzt zu sein: »Ich war ein Kind, das überall herumstreunen und stundenlang mit der Angel am Fluss sitzen durfte… Dieser Mangel an Konvention war einfach herrlich«.
Die Kehrseite ihres unkonventionellen und ungebundenen Lebens mit ihrer Mutter ist ihre Schutzlosigkeit, ihr Außenseiterdasein, indem sie keiner Kaste, keiner Religion, keinem tharavaad (Haus der Vorfahren) angehört. Sechzehnjährig zieht sie nach Neu-Delhi und wohnt mit Freunden in einer Wellblechhütte in der Armenkolonie Ferozeshah Kotla, direkt neben dem College, an dem sie Architektur studiert.
Als sie 1984 den Filmemacher Pradeep Kishen kennenlernt, der nach Gerard da Cunha ihr zweiter Ehemann wird, entdeckt sie die Möglichkeiten des Films, spielt kleine Rollen und beginnt Drehbücher zu schreiben. Doch die Arbeit im Team entspricht nicht ihrem Naturell. Sie bezeichnet sich als »klassische Einzelgängerin« und widmet sich ab 1992 der Arbeit an ihrem Roman »Der Gott der kleinen Dinge«. Das Dorf ihrer Kindheit wird zum Schauplatz einer Familientragödie, die aus der kindlichen Perspektive der Zwillinge Estha und Rahel geschildert wird. In einem kunstvollen Gewebe aus Erinnerungen, Andeutungen und Rückblenden erzählt die Autorin Geschichten gescheiterter Liebe. Sichtbar werden die politischen und emotionalen Verstrickungen dreier Generationen vor dem Hintergrund der Auswirkungen der britischen Kolonialherrschaft, des indischen Kastendenkens, massiver Frauendiskriminierung und der fortschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlagen. Aufgerieben zwischen individuellem Aufbegehren und kulturellem Zwang sind die Lebensentwürfe der ProtagonistInnen zum Scheitern verurteilt.
»Der Gott der kleinen Dinge ist ein Buch, das eine Verbindung zwischen den kleinsten und den größten Dingen auf der Welt herstellt«, erklärt die Autorin. Roys Gott ist kein großer christlicher oder hinduistischer Gott, sondern ein kleiner Gott des Verlusts, der Vergänglichkeit und der Verwundbarkeit. Angesichts der globalen Bedrohung durch Atombomben, Staudämme, Umweltzerstörung und Genozid können menschliche Qualitäten wie Liebe und Achtsamkeit sich kaum noch behaupten. Doch in ihrem unweigerlichen Scheitern bewahren sie ihre Integrität. Arundhati Roys Empathie und ihr Engagement gilt den VerliererInnen und Benachteiligten, denen gegenüber sie sich als gebildete Frau privilegiert fühlt. Sie will »die Bevölkerung wissen lassen, was in der Welt vorgeht. Es gibt eine ganze Industrie, die sich nach Kräften bemüht, die Leute davon abzuhalten, zu verstehen, was ihnen angetan wird.«
Durch den internationalen Erfolg ihres Buches bestärkt und geschützt, setzt Arundhati Roy ihre schriftstellerische Arbeit radikal für die Aufklärung über Missstände in Indien ein. Mit dem Booker-Preisgeld von 50.000 Pfund Sterling unterstützt sie den Widerstand der verarmten einheimischen Bevölkerung gegen das Narmada-Staudammprojekt und dokumentiert in ihrem Essay »…dann ertrinken wir eben« die menschenverachtende Vertreibungspolitik der Regierung. »Als Sklavin, die sich erdreistet, ihren König zu kritisieren« klagt sie die Heuchelei und Brutalität der Machtpolitik der USA an und bezieht Stellung gegen den Irakkrieg. Schreibend macht sie die Verheerungen der neoliberalen Globalisierungsprozesse sichtbar und fordert zum Widerstand auf.
2003 wird Arundhati Roy der mit 350.000 Dollar dotierte »Preis für kulturelle Freiheit« der amerikanischen Lannan-Familienstiftung zuerkannt. Das Preisgeld verteilt sie an 50 indische Menschenrechtsgruppen, Bildungseinrichtungen und Theatergruppen, die für soziale und gesellschaftliche Veränderungen eintreten.
Im April 2010 besucht Roy Guerillagruppen in den Dschungeln Zentralindiens und veröffentlich einen Bericht ihrer »Wanderung mit den Genossen«, in welchem sie die Perspektive der marxistischen Guerilla reflektiert und ihre Sympathie bekundet. Roy, der mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht wird, spricht von einem »Krieg gegen die Armen« und fordert die Regierung zum Umdenken und zu Verhandlungen auf.
Arundhati Roy ermutigt Menschen in aller Welt, neue Formen gewaltfreien Widerstands zu entwickeln, denn »es reicht nicht mehr, nur Recht zu haben. Wir müssen gewinnen.«
Verfasserin: Kerstin Reimers
Zitate
Sogar in der brutalen, beschädigten Welt, in der wir leben, gibt es Schönheit. Eine verborgene, ungestüme Schönheit … Wir müssen sie suchen, pflegen und lieben. (AR, Das Ende der Illusion. S. 153f)
Es ist die Neugier, die mich antreibt. Sie führt mich tief ins Herz der Welt. (AR, Wahrheit und Macht. S. 72)
Links
Internet Movie Database: Arundhati Roy. Filmografie. (Link aufrufen)
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Arundhati Roy. Bücher und Medien. (Link aufrufen)
Klas, Gerhard (2009): Die unerschrockene Arundhati Roy. In: EMMA September/Oktober 2009. (Link aufrufen)
Lebenshaus Schwäbische Alb: Roy, Arundhati. Artikelsammlung. (Link aufrufen)
Lehmann, Ana (2010): Geliebt, gehasst, gefürchtet - Arundhati Roy. 08.03.2010. Deutsche Welle (www.dw-world.de). (Link aufrufen)
Roy, Arundhati (2003): Die Einsamkeit von Noam Chomsky. Übersetzung: Kreck. ZNet. (Link aufrufen)
Roy, Arundhati (2004): Feiertagsproteste stoppen keine Kriege. Rede der indischen Schriftstellerin auf dem 4. Weltsozialforum in Mumbai. In: junge welt, 20.01.2004. AG Friedensforschung. (Link aufrufen)
Roy, Arundhati (2009): Das schwindende Licht der Demokratie. Rede zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals Berlin 2009. Übersetzung aus dem Englischen: Lilian-Astrid Geese. PDF-Datei, 14 S. (Link aufrufen)
Roy, Arundhati (2010): Wanderung mit den Genossen. In den Dschungeln Zentralindiens mit der Guerilla. Übersetzt von Einar Schlereth. Tlaxcala. (Link aufrufen)
Sontheimer, Michael (2003): Alles wird geschändet. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy über den Krieg im Irak und den weltweiten Widerstand gegen die amerikanische Hegemonie. In: DER SPIEGEL 15/2003. (Link aufrufen)
weroy.org: We. A documentary featuring the words of Arundhati Roy (Link aufrufen)
Wikiquote: Arundhati Roy. Zitate. (Link aufrufen)
YouTube: Arundhati Roy. Videos (Reden, Interviews…). (Link aufrufen)
Z Space: Arundhati Roy. Articles, Commentaries, Video, Audio, Quotes, Books (Link aufrufen)
ZNet: Arundhati Roy. Linksammlung zu deutschen Online-Texten. (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
deutschsprachige Literatur
Auffermann, Verena (Hg.) (2009): Leidenschaften. 99 Autorinnen der Weltliteratur. München. Bertelsmann. ISBN 978-3-570-01048-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hofmann, Sybille (2008): The God of Small Things von Arundhati Roy. Eine Analyse der Romanstruktur. Saarbrücken. VDM Verlag Dr. Müller. ISBN 978-3-639-01687-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Mayr, Richard (2001): Arundhati Roy und Joseph Conrad. Der Einbruch des Erdkolonialismus in die Familie. Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Magisterarbeit, 2001. Hamburg. Kovač. (Schriftenreihe Eleusis, 5) ISBN 3-8300-0460-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (1997): Der Gott der kleinen Dinge. Roman. (=The God of small things) Übersetzt von Anette Grube. 1. Aufl. München. Blessing. ISBN 3-89667-020-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Roy, Arundhati (2002): Die Politik der Macht. Dt. Erstausg., 1. München. Goldmann. (Goldmann, 72987 : btb) ISBN 3-442-72987-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2004): Wahrheit und Macht. Arundhati Roy im Gespräch mit David Barsamian. (=The checkbook and the cruise missile) Mit einem Vorwort von Naomi Klein. Dt. Erstausg., 1. München. btb. (btb, 73304) ISBN 3-442-73304-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2006): Barbara Auer liest »Der Gott der kleinen Dinge« von Arundhati Roy. 3 CDs. Gekürzte Lesung. München. Random House; Random House Audio. (Starke Stimmen, 6) ISBN 978-3-86604-187-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2010): Aus der Werkstatt der Demokratie. Essays. (=Listening to grasshoppers) Frankfurt, M. S. Fischer. ISBN 978-3-10-066066-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Roy, Arundhati (2003): War talk. Cambridge, Mass. South End Press. ISBN 0-89608-724-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2004): Public power in the age of empire. A Seven Stories Press 1st. New York. Seven Stories Press. (Open stories pamphlet series) ISBN 1583226826. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2004): The ordinary person's guide to empire. 1. publ. London. Flamingo; Harper Perennial. ISBN 0-00-718163-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2008): The shape of the beast. Conversations with Arundhati Roy. New Delhi. Penguin Books India. ISBN 9780670082070. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati (2009): Field notes on democracy. Listening to grasshoppers. Chicago, Ill. Haymarket Books. ISBN 160846024X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati; Chomsky, Noam et al. (2001): War is peace. Nottingham. Russel Press. (The spokesman, 73.2001) ISBN 0851246605. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Roy, Arundhati; Zinn, Howard (2003): Come september. Oakland, Calif. AK Press. ISBN 1-902593-80-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
The Guardian Rediff.com Green Left Weekly commondreams.org amartya.de Bryant College tomheller.de AsiaClara Desh Videsh Looking Glass News
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