geboren 1896 in Qaanaaq (früher Thule) Nordwestgrönland
gestorben am 2. Oktober 1933 in Qaanaaq
grönländische Expeditionsteilnehmerin und Polarforscherin
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Arnaruluunguaq bedeutet in der Sprache der Inughuit Nordwestgrönlands „kleine Frau“, aber sie wurde zu einer großen und unvergessenen Frau: mit ihrem Vetter Qavigarssuaq Miteq begleitete sie den Polarforscher und Anthropologen Knud Rasmussen auf seiner legendären 5. Thule-Expedition. Mehr als 18 000 km legten sie von 1921 bis 1924 mit dem Hundeschlitten zurück. Es war die längste Schlittenreise, die jemals unternommen worden ist. Rasmussens Ziel war es, alle Eskimostämme in Grönland, Kanada, Nordamerika und Alaska bis zum Pazifischen Ozean kennenzulernen, zu erforschen, ihre Mythen und Sagen zu sammeln und zu dokumentieren. Die geplante Weiterfahrt nach Sibirien konnte nicht stattfinden, da das sowjetische Zentralbüro in Moskau der Expeditionsgruppe keine Einreiseerlaubnis erstellte.
Arnaruluunguaq war die erste Eskimofrau, die alle ihre Stammesverwandten auf dieser über drei Jahre dauernden, von enormen Anstrengungen gekennzeichneten Reise kennenlernte.
„In Anbetracht der Kraftentfaltung, die diese Reise erforderte, weiß ich nicht, wen ich mehr bewundern soll, die Hunde oder die Eskimo, die alle in guter Gesundheit die Strapazen der dreieinhalbjährigen Reise ausgehalten haben. Soviel weiß ich aber mit Sicherheit, dass es mir schwer werden wird, in den nachfolgenden Schilderungen stark genug zu betonen, was sie alle für mich persönlich bedeuten“, schreibt Knud Rasmussen am Anfang seines Buches „Die große Schlittenreise“ (S. 9).
1925 verfasste er in der Zeitung „Tidens Kvinder“ (Frauen der Zeit) einen beinahe verherrlichenden Artikel über Arnaruluunguaq: „Sie, die einzige Frau, die jemals die Nordwestpassage bereist hat, wird als eine Person in die dänisch-grönländische Geschichte eingehen, die niemals vergessen werden darf.“
Arnaruluunguaq selbst aber hinterließ nicht viele Worte, weder Briefe noch Tagebücher sind bekannt, in der Literatur über die Expedition wird sie nicht einmal explizit zitiert, so dass ihre Aussagen auf Wiedergaben anderer beruhen.
Arnaruluunguaq wurde als jüngstes Kind und einzige Tochter ihrer Mutter namens Aleqarersuaq und ihres Mann Uumaaq, ein bekannter Jäger seines Stammes, geboren. Tragischerweise starb ihr Vater, als sie sieben Jahre alt war, was bedeutete, dass die Familie keinen Versorger mehr hatte. Ohne einen Mann, der die Familie mit seiner Jagdbeute ernährte, waren Frauen und Kinder einer Hungersnot ausgeliefert. Es war damals üblich, in solch einer Situation ein oder mehrere Kinder zu töten, für die es kein Essen gab. Da Arnaruluunguaq das jüngste Kind war, akzeptierte sie, dass sie diejenige war, die sterben musste, und half ihrer Mutter sogar, die Schnur um den Hals zu legen, die sie erwürgen sollte. In diesem Moment jedoch begannen ihr kleiner Bruder Aajako und auch die anderen Geschwister so laut zu weinen und zu schreien, dass die Mutter es nicht übers Herz brachte, ihren Plan in die Tat umzusetzen und die Tochter zu töten. Arnaruluunguaq selbst betrachtete dieses Ereignis als eine Art Wiedergeburt, die ihr eine besondere Einstellung zum Leben eröffnete:
„Sie selbst sagt, dass die Dankbarkeit, die sie erst viele Jahre später empfand, und das Leben, das ihr geschenkt worden war, sie dazu gebracht hat, den Menschen gegenüber still zu sein“, schreibt Knud Rasmussen in „Tidens Kvinder“.
1921 wählte Rasmussen unter anderen Eskimos Arnanruluunguaq und ihren Ehemannmit Iggiannguaq für die 5. Thule- Expedition aus. Iggiannguaq, wie Arnaruluunguaqs Vater ebenfalls ein hervorragender Jäger, war bereits 1903 mit Rasmussen und vorher schon mit Robert Peary (1856 – 1920) gereist. Auch Peter Freuchen (1886 – 1957), Polarforscher und Schriftsteller sowie der dänische Fotograf Leo Hansen (1888 – 1962) waren dabei. Die TeilnehmerInnen aus Qaanaaq trugen die Verantwortung für die Versorgung der ExpeditionsteilnehmerInnen. Die Beschaffung von Fangbeute für Mensch und Tier, die Instandhaltung der Kleidung und der Schlitten war ihnen anvertraut.
Etwa 1883 geboren, hatte Iggiannguaq ein ähnliches Schicksal überlebt wie Arnaruluunguaq: als er 8 Jahre alt war, starb sein Vater und hinterließ eine unversorgte, verhungernde Familie. Die Mutter hatte keine andere Wahl, als die jüngeren Kinder zu töten, damit wenigstens eins eine Überlebenschance hatte.
Iggiannguaq aber schaffte es auf der Expedition nur bis Nuuk. Dort verstarb er an einer Lungenentzündung. Unmittelbar vor der Abreise aus Qaanaaq hatte Arnaruluunguaq schon ihren Bruder Aajako durch Suizid verloren – den Bruder, der ihr als Kind das Leben gerettet hatte. Knud Rasmussen bot der jungen Witwe daraufhin an, nach Hause zurückzukehren, doch sie insistierte darauf mitzukommen. Sie soll ihm gesagt haben: „Früher warst du es, der mich brauchte. Jetzt bin ich es, die dich braucht.“ Außerdem wollte sie auf keinen Fall unter lauter Fremden in Nuuk bleiben. Die Expeditionsgruppe hatte in Nuuk Halt gemacht, um an den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Jubiläums der Ankunft des Grönlandmissionars Hans Egedes teilzunehmen. Mehrere einheimische Expeditionsteilnehmer aber erkrankten schwer durch den Kontakt mit den weißen TeilnehmerInnen: die Eskimos infizierten sich Krankheiten, die ihre Immunsysteme nicht abwehren konnten. Drei ExpeditionsteilnehmerInnen verstarben, darunter auch Iggiannguaq.
„...Igginnguaqs Witwe ist der Tod ihres Mannes naturgemäß sehr nahegegangen. Ich habe es ihr freigestellt, dass sie nach Thule zurückkehren kann…Sie hat mich heute um die Erlaubnis gebeten, fortzusetzen, da sie es für unerträglich betrachtet, hier in Südgrönland für unbestimmte Zeit unter fremden Menschen zu leben… ich bin sehr froh darüber, dass sie weitermacht… sie ist die tüchtigste unter den Frauen, die wir dabeihaben.“ „Sie wollte reisen, um zu vergessen“, deutete Rasmussen Arnaruluunguaqs Entschiedenheit, die Expedition weiterhin zu begleiten.
Am 7. September 1921 begann die Reise, anfangs waren es mehr als zehn TeilnehmerInnen, die in getrennte Gruppierungen die Eskimostämme rund um die Hudson Bay besuchten und erforschten. 1923 war dieser erste Teil der Expedition erfolgreich abgeschlossen und Rasmussen entließ alle TeilnehmerInnen bis auf Arnaruluunguaq und Qaavigarsuaq. ,Von nun an setzten sie zu dritt für mehr als zwei Jahre lang die Reise mit dem Hundeschlitten fort, meist unter härtesten Bedingungen durch unerforschte arktische Territorien.
Aranuruluunguaq erwies sich als unentbehrliches Mitglied der Expedition. Rasmussen war sich bewusst, dass es in besonders Arnaruluunguaqs Verdienst war, dass die Schlittenreise in ihrer ganzen Länge durchgeführt werden konnte. In seinem Artikel in „Tidens kvinder“ beschreibt er ihren fast übermenschlichen Einsatz: sie habe die Fangbeute gekonnt verarbeitet, mit größter Sorgfalt die Mahlzeiten hergerichtet, die Pelz- und Lederkleidung getrocknet, repariert und wasserdicht genäht, was bei minus 50 Grad und schweren Stürmen überlebenswichtig sei. Sie habe es geschafft, auch noch die kleinste Schneehütte in ein heimeliges Zuhause zu verwandeln. „Es war Arnaruluunguaq, die Kaffee servierte, wenn alle nach einem Tag müde waren. Manchmal veranstaltete sie Kaffeekränzchen, und wenn die Stimmung gut war, lud sie zu Whiskypartys ein.“
Darüber hinaus aber betätigte sie sich als kluge Forscherin: sie war eine scharfe Beobachterin und war unentbehrlich bei der Sammlung von arktischen Pflanzen und zoologischem Material für die wissenschaftliche Forschung. Sie arbeitete mit bei archäologischen Ausgrabungen vergangener Siedlungsperioden der Eskimos und trug Material und Informationen über Lebens- und Weltanschauung der einheimischen Gruppen und Stämme zusammen. Auch ihrer Kenntnis und Kompetenz ist die heute in Kopenhagen aufbewahrte Sammlung von 20 000 Objekten eskimoischer Kulturen zu verdanken. Besondere Verdienste erwarb sie sich durch die Anfertigung einer Reihe von Zeichnungen, darunter detaillierte Bilder von Tätowierungen von Eskimo-Frauen.
Rasmussen beschrieb ihre kraftvolle Ausstrahlung, erzählte vom „guten Humor, den sie an sich hatte, den nur eine Frau vermitteln kann, und dass sie genauso unterhaltsam und mutig war wie jeder Mann, als wir auf unserer Reise waren.“ Sie war wohl diejenige, die die meisten Rollen und die unterschiedlichsten Aufgaben übernommen hat. Bis heute gilt sie als Rollenmodell für die Frauen des nördlichen Polarkreises.
Ende 1924, nach dreieinhalb Jahren Fahrt mit dem Hundeschlitten, traten Rasmussen, Arnaruluunguaq und Qaavigarsuaq Miteq von Nome in Alaska aus die Rückreise über Seattle, New York und Washington an. Nachdem sie so lange Zeit den Lebenskreis der Eskimo-Völker studiert hatten, legte Knud Rasmussen nun Wert darauf, den Beiden die westliche Welt zu zeigen. Rasmussen beschaffte den Beiden westliche Kleidung, von der Arnaruluunguaq allerdings wenig begeistert war. Im Polarkreis hatte sie Eisbärenfell-Hosen und Anoraks getragen, die sehr viel wärmer und leichter sind als die amerikanische Damenbekleidung. Sie fror erbärmlich und nannte New York die kälteste Stadt, die sie sich überhaupt vorstellen könne.
Allerdings war sie so begeistert von Fahrten in Aufzügen, dass sie am liebsten den ganzen Tag hinauf und hinab gefahren wäre, um den Panoramablick auf die große Stadt zu genießen.
Rasmussen hatte geglaubt, dass „alle in guter Gesundheit die Strapazen der dreieinhalbjährigen Reise ausgehalten“ hätten, doch beim Aufenthalt in Kopenhagen wurde bei Aranuluunguaq Tuberkulose diagnostiziert und sie musste für mehrere Monate im Krankenhaus behandelt werden. Hier wurde sie für ihre überragende Leistung in der Erforschung der Eskimokulturen mit der Fortjensmedalje in Silber ausgezeichnet – eine Verdienstmedaille, die im Namen des damaligen dänischen Königs Christian X. verliehen wurde. „Ich war nur als Frau auf dieser Reise und bin nur in die Fußstapfen der Männer getreten. Es sind diejenigen, die den Weg geebnet haben, und nicht diejenigen, die nur gefolgt sind, die geehrt werden müssen. Daher fällt es mir schwer, eine solche Auszeichnung anzunehmen“, kommentierte Arnaruluunguaq die Auszeichnung in ihrer gewohnten Bescheidenheit.
Nach ihrem Krankenhausaufenthakt kehrte sie 1925 nach Qaanaaq zurück, wo sie 1928 den Sohn des Polarforschers Robert Peary, Kalipaluk Peary, heiratete. Ihm hatte sie vier Jahre zuvor das Leben gerettet, als er ins Eis eingebrochen war.
Anaruluunguaq wurde nie mehr ganz gesund, sie verstarb am 2. Oktober 1933 in Qaanaaq. Sie war nur 37 Jahre alt geworden.
1985 beschrieb Kalipaluk seine Frau in einem Interview so: „Sie war eine sehr talentierte Frau. Sie war perfekt für alle Arten von Frauenarbeit. Fang- und Fellvorbereitung, Nähen, Essenszubereitung, alles perfekt. Sie konnte sogar einen Hundeschlittenperfekt steuern.“ Allerdings habe sie nie mit ihm über die große Schlittenfahrt gesprochen.
Während im deutschsprachigen Raum fast niemand Arnaruluunguaq kennt – und ihren Namen zudem kaum aussprechen kann – ist sie in Grönland und Dänemark eine bekannte Frau geblieben. Die neuerdings zunehmende Konzentration auf sie mag ihren Grund im wachsenden Selbstbewusstsein der GrönländerInnen für die eigen Identität, die eigene Geschichte und deren herausragenden Persönlichkeiten haben.
Im Jahr 2008 wurde von GrönländerInnen eine Stiftung gegründet mit dem Ziel, ein Denkmal für Arnaruluunguaq zu errichten, in Qaqortoq verleihen private Veranstalter jährlich einen Arnaruluunguaq-Preis.
1991 komponiert Ole Kristiansen für das Sisimiut-Festival einen Song über Anaruluunguaq, 1996 erschien eine Briefmarke mit ihrem Porträt, gestaltet vom grönländischen Künstler Jens Rosing, und in einem Gedicht forderte Aqqaluk Lynge schon 1982 weitere Ehrungen für sie:
Niemand hat eine Tafel,
eine Staue oder ein Buch geschaffen, aber ihr Geist und ihre Stärke
sind überall wie ein Band
für unser Volk. Ohne dich wäre die
Welt nur die Hälfte
und die Reise unvollständig.
Verfasserin: Christa Matenaar
Zitate
Laut Rasmussen soll Arnaruluunguaq auf dem Dach eines Wolkenkratzers in New York gesagt haben:
„Wir, die wir immer geglaubt haben, dass die Natur das Größte und Unvorstellbarste von allem ist! Und hier stehen wir in einer Berglandschaft mit Abgründen und tiefen Schluchten, alles von Menschenhand geschaffen. Was ich sehe, kann ich nicht begreifen, und ich rette meinen Verstand nur durch den Glauben, dass wir alle durch einen plötzlichen und gewaltsamen Tod gestorben sind und dass alles, was wir jetzt sehen, einem anderen Leben gehört.“
Links
http://makko.dk/greenland/hvem-var-arnarulunnguaq/
https://en.wikipedia.org/wiki/Arnarulunnguaq
https://www.arktis.natmus.dk/om-arktis
https://5thule100.dk/
Literatur & Quellen
Knud Rasmussen, Die Schlittenreise, Essen 1944
Mari Kleist, The expedition would not have succeeded without them: The crucial role of the Inuit/Inughuit participants of the Fifth Thule Expedition across Arctic North America, 1921–24. In: Arctic Studies Center Newsletter. Nr. 29, 1. Mai 2022, S. 9–14
Kurt Kristensen: Arnarulunnguaq – Grønlands jernhårde lady. Atuagagdliutit (3. September 1996). S. 12.
Visit Greenland, Arnaruluunguaq - eine starke Frau in einer männerdominierten Welt
Texte des Nationalmuseums Kopenhagen
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