geboren am 2. September 1821 in Watertown, Massachusetts
gestorben am 23. Januar 1915 in Boston
US-amerikanische Bildhauerin und Lyrikerin
200. Geburtstag am 2. September 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Henry James nannte die Gruppe von amerikanischen Bildhauerinnen (Harriet Hosmer, Emma Stebbins u.a.), die um die Mitte des Jahrhunderts nach Rom pilgerten, “die weiße, marmorne Herde.” Obwohl Anne Whitney viermal nach Europa reiste und fünf Jahre dort verbrachte, blieb sie der Herde fern.
Als Tochter einer alten Bostoner Familie hatte sie eine Privaterziehung erhalten. Aber sie durfte den Mann, den sie liebte, nicht heiraten. Es hieß, in seiner Familie gebe es Geisteskranke. Sie überlegte mit der Schwester, welche Alternativen sie als Unverheiratete habe. Später lernte sie die vierzehn Jahre jüngere Malerin Adeline Manning kennen, die ihre Lebensgefährtin wurde.
Zuerst versuchte es Whitney als Lehrerin, dann als Dichterin. Eines Tages spielte sie zufällig mit nassem Ton und stellte dabei fest, daß sie Talent zum Modellieren hatte. Sie war schon Mitte dreißig. Wegen des Bürgerkrieges durfte sie noch nicht nach Rom. So studierte sie einstweilen Anatomie und fing an zu bildhauern. Ihr erstes großes Werk, eine Lady Godiva, verfertigte sie 1861.
Inzwischen war ein Gedichtband erschienen. Whitney war tief beeinflusst von der romantischen Poesie, aber ihre Gedichte und Skulpturen zeigen auch realistische Tendenzen und ihr Interesse für Tagespolitik. Sie hatte Kontakt mit Frauenrechtlerinnen und Abolitionistinnen. Ihre liberale, soziale Einstellung zeigt sich besonders in zweien ihrer berühmtesten Werke: Roma (1869), die die ewige Stadt als Bettlerin symbolisch darstellt, und die monumentale Frauenfigur Harriet Martineau (1883). Diese Statue wurde von verschiedenen Bostoner Institutionen abgelehnt, bis sie in der Wellesley College Hall aufgestellt wurde, wo Whitney auch unterrichtet hatte.
Zwischen ihrem 50. und 80. Lebensjahr erhielt die Bildhauerin viele wichtige Aufträge: Samuel Adams (1873) für die Rotunda des Capitols und Leif Eriksson (1887), das an der Commonwealth Avenue in Boston steht. 1875 hatte sie auch einen anonymen Wettbewerb gewonnen. Als es sich herausstellte, daß das Werk von einer Frau stammte, vergab die Jury den Auftrag an einen Mann. Whitney schrieb an die Familie: “Um mich auszulöschen, braucht es schon etwas mehr als eine Bostoner Kunst-Jury.” Sie hatte recht; seit 1902 steht diese überlebensgroße Bronze von Charles Sumner in Harvard Square. Es sollte ihr letztes großes Werk sein.
Mit Manning verbrachte sie seit 1882 die Sommer in Shelburne, New Hampshire. Nun gab sie ihr Atelier in Boston auf. Die überarbeiteten und neugeordneten Gedichte wurden 1906 privat veröffentlicht. Kurz zuvor war die Freundin gestorben. Whitney überlebte die meisten ihrer Zeitgenossinnen. Als sie 1915 im Charlesgate Hotel starb, war ihr Werk schon vergessen. (Text von 1995)
Verfasserin: Margaret E. Ward
Zitate
...Whitney never lost sight of the political events of her day. In this respect, her outlook was quite different from that of other Americans, for whom travel to Europe offered the chance to step away from current concerns” (Whitney verlor nie die politischen Tagesgeschehnisse aus den Augen. In dieser Hinsicht war ihre Einstellung völlig anders als bei anderen Amerikanern, für die der Europaaufenthalt eine Chance war, aktuelle Probleme hinter sich zu lassen.
(Lisa Reitzes, S. 46)
Aus einem Brief an die Familie, als Whitney in Rom weilte: “First of all, the Woman Suffrage question should be settled. I cannot conceive such an outrage possible as the assumption of power to refuse it when the right is claimed.”
(Zuerst muß die Frauenstimmrechts-Frage entschieden werden. Ich kann mir gar nichts Abscheulicheres vorstellen als die Anmaßung, dies Recht zu verweigern, wenn es gefordert wird.)
Auszug aus “Even As A Rose” [ein Gedicht, das Whitney an ihre Lebensgefährtin Adeline Manning schrieb. Es beschließt den Gedichtband, der 1906 (kurz nach Mannings Tod) veröffentlicht wurde.
The rest, the peace,
The strife of day outgrown.
We know the sign and heed the low command,
And hand in hand,
Bearing our treasure safe above the blight
And waste of years, - the slow surcease
Of life's full fount, - we journey free
With trust in the great mystery
Toward the fast-coming night.[Die Ruhe, der Frieden,
Der Streit des Tages ausgestanden.
Wir kennen das Zeichen und beachten den leisen Befehl,
Und Hand in Hand,
Unseren Schatz sicher tragend über Verfall
Und Verwüstung der Jahre, - das langsame Versiegen
Des reichen Lebensquells - gehen wir frei
Voll Vertrauen auf das große Geheimnis
In die rasch nahende Nacht.]Übs. Luise F. Pusch
Links
Wikipedia englisch mit Bildergalerie
Literatur & Quellen
Chadwick, Whitney. 1990. Women, Art, and Society. London. Thames & Hudson.
Dictionary of American Biography. 1934. Hg. Dumas Malone. New York. Scribner's Sons.
Notable American Women: A Biographical Dictionary. 1971. Hg. Edward T. James, Janet Wilson James & Paul S. Boyer. 3 Bde. Cambridge, MA. The Belknap Press of Harvard UP.
Payne, Elizabeth Rogers. 1962. Ann Whitney Sculptor. (Reprint from Art Quarterly, Autumn 1962, S. 244-61.) New York.
Petersen, Karen u. J.J. Wilson. 1978. Women Artists: Recognition and Reappraisal from the Early Middle Ages to the Twentieth Century. London. The Women's Press.
Reitzes, Lisa B. 1994. “The Political Voice of the Artist: Anne Whitney's Roma and Harriet Martineau”, American Art (National Museum of American Art, Smithsonian) 8 (1994) Nr. 2, S. 45-65.
Thorp, Margaret Farrand. 1965. The Literary Sculptors. Durham, NC. Duke UP.
Vassar College Art Gallery. 1972. The White Marmorean Flock: Nineteenth-Century American Women Neoclassical Sculptors.
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