geboren am 2. März 1950 in Körprich/Saarland
gestorben am 23. April 2011 in Berlin
deutsche Feministin, Rechtsanwältin und Politikerin
10. Todestag am 23. April 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Fleiß, großes Engagement und unbedingte Parteilichkeit für Frauen brachten die Rechtsanwältin und Notarin Anne Klein bis in den Berliner Senat: Als Kandidatin der Alternativen Liste (AL) wurde sie 1989 die erste feministische und offen lesbische Senatorin für Jugend, Frauen und Familie. Die Frauenszene jubelte, dass endlich eine der Ihren die Möglichkeit zu Veränderungen bekommen sollte. Im Amt blieb sie nicht einmal zwei Jahre. In der kurzen Zeit hat sie zweifellos eine ganze Menge erreicht. Nur war das vielen ihrer Weggefährtinnen immer noch nicht genug; die Erwartungen an sie waren sehr hoch.
Anne Klein stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Als Jüngste von drei Kindern wird sie in einem Dorf im Landkreis Saarlouis geboren. Als Jugendliche nennt sie sich »Anouk« und tingelt als Schlagersängerin durch die Lande. Nach dem Abitur am Dillinger Realgymnasium studiert sie zunächst Psychologie, dann Jura in Saarbrücken, ab 1972 in Berlin. Ihr Rechtsreferendariat tritt sie 1975 in einer feministischen Anwältinnenkanzlei an. Auch mit ihrer eigenen Kanzlei, die sie 1978 gründet, setzt sie diese Linie fort: Sie vertritt ausschließlich Frauen – gegen den Einspruch der Anwaltskammer, die der Auffassung ist, ein/e AnwältIn müsse prinzipiell alle vertreten.
Mitte der 1970er Jahre ist die Frauenbewegung in vollem Gange, und Anne Klein trägt ihren Teil dazu bei, gegen Unterdrückung und Gewalt und für die Rechte von Frauen zu kämpfen. In Kreuzberg gründet sie mit Mitstreiterinnen eine feministische Rechtsberatungsstelle und kämpft für die Gründung des ersten Berliner Frauenhauses. Während der 4. Sommeruniversität 1979, ebenfalls in Berlin, referiert sie zur Frage eines Antidiskriminierungsgesetzes, dessen Notwendigkeit sie verneint. Sie warnt einerseits vor dem Bumerangeffekt, der Frauen drohe, sollte ein solches Gesetz für beide Geschlechter gelten; andererseits fragt sie, ob sich Frauen nicht selbst in eine Minderheiten-, eine Außenseiterinnenposition begäben, wenn sie ein spezielles Gesetz für sich fordern. Sie verweist darauf, wie häufig die Rechtsprechungspraxis dem Gesetz widerspricht und allein auf der Interpretation von – auch frauenfeindlichen – Staatsanwälten und Richtern beruht. Vielmehr plädiert sie für Aktionismus, für Demonstrationen, für die Verweigerung gegenüber patriarchalen Machtstrukturen: »Es ist ein verändertes Bewusstsein, was uns helfen kann, aber nicht ein neues Gesetz.«
Nur wenige Jahre später hat sich ihre Ansicht dazu offenbar geändert. Nachdem die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag gewählt worden sind, unterbricht Anne Klein ihre Anwältinnentätigkeit und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der grünen Bundestagsfraktion eng mit Waltraud Schoppe und Petra Kelly zusammen. Sie verfasst den ersten Entwurf zu einem Antidiskriminierungsgesetz, das einige Jahre später in veränderter Fassung in den Bundestag eingebracht wird. Auch der Gesetzesentwurf über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stammt von ihr – sie ahnt nicht, dass dieses erst 20 Jahre später – 2005 – vom Bundestag verabschiedet werden wird. Im von ihr mitbegründeten »Arbeitskreis Frauenpolitik« bemüht sie sich um die Verankerung feministischer Positionen in der grünen Politik. Sie plädiert für einen rein weiblichen Fraktionsvorstand, obwohl ihr klar ist, dass dieser nicht nur mit Feministinnen besetzt sein wird. Allerdings rechnet sie nicht damit, dass sich die dann Gewählten am Stil der »Politmacker« der Fraktion orientieren und den Frauen, denen sie ihre Positionen verdanken, ihre Solidarität verweigern.
Nach dem Wahlsieg des SPD-Kandidaten Walter Momper 1989 ernennt die koalierende AL die parteilose Anne Klein zur Senatorin für Familie, Jugend und das neugeschaffene Ressort für Frauen. Sie ist eine von acht Senatorinnen und sechs Senatoren; die weibliche Überzahl ist ein Novum in der deutschen (Landes-)Politik. Innerhalb des Senats sorgt sie für kurze Kommunikationswege: Mit den anderen sieben Senatorinnen verbindet sie ein freundschaftliches und unterstützendes Verhältnis, was nicht zuletzt dem regelmäßigen gemeinsamen »Hexenfrühstück« zu verdanken ist.
Die »Aktenfresserin« lässt sich nicht viel Zeit: Sie installiert in ihrem Hause ein Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen – das erste dieser Art in Deutschland. Mit Beharrlichkeit sorgt sie für die finanzielle Absicherung von »Wildwasser«, ein Projekt für sexueller Gewalt ausgesetzten Frauen und Mädchen, und initiiert ein Mädchenhaus sowie eine Zuflucht für Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. Sie sichert die Existenz der mittlerweile drei Frauenhäuser und schafft die finanzielle Eigenbeteiligung für Frauen ab, die dort Schutz suchen. Gegen hartnäckige Widerstände, auch aus den eigenen Reihen, setzt sie das Landes-Antidiskriminierungsgesetz durch. Im Bundesrat besteht sie auf der Behandlung des Abtreibungsrechts im Einigungsvertrag.
Dies alles geht nicht geräuschlos über die Bühne. Sie wird nicht nur von der CDU-Opposition und vom Männer-Machtklüngel angegriffen, sondern auch von Kritikerinnen aus der Frauenszene. Sie werfen ihr vor, nicht schnell genug für die bessere Ausstattung von Kindertagesstätten und ein Landes-Gleichstellungsgesetzes zu sorgen. Dass bei aller Disziplin, Rationalität und Sensibilität und trotz guter Argumente Politik ein mühsames Geschäft ist, hat nicht nur Anne Klein selbst unterschätzt.
Für Aufruhr sorgen Berichte der Springer-Presse, Anne Klein habe 1987 am »Pilotenspiel« teilgenommen, einem zweifelhaften, aber nicht illegalen Glücksspiel nach dem Schneeballsystem, das zu jener Zeit in Yuppie-Kreisen en vogue ist. Obgleich sie ihren Gewinn umgehend dem Frauenhaus spendet, wird sie als »Zocker-Zora« diskreditiert und ihre Eignung als Jugendsenatorin angezweifelt. Rückhalt in der Szene oder der AL findet sie kaum.
Als Ende 1990 die rot-grüne Koalition platzt und anschließend Wahlen für Gesamt-Berlin stattfinden, kandidiert Anne Klein nicht mehr. Sie arbeitet wieder als Anwältin und Notarin in ihrer Wilmersdorfer Kanzlei und engagiert sich auch innerhalb ihres Berufsstandes für mehr Gerechtigkeit. Als die erste Präsidentin eines Rechtsanwaltsversorgungswerkes (1999–2006) setzt sie durch, dass dieses auch jenen AnwältInnen eine Mindestrente zahlt, die in weniger gut bezahlten Rechtsgebieten arbeiten, und dass der Versorgungsanspruch auf gleichgeschlechtliche Hinterbliebene ausgedehnt wird. 2006 wird sie zur Vizepräsidentin der Anwaltsunion Deutschland gewählt. Über viele Jahre gehört sie der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes an.
Am 23. April 2011 stirbt Anne Klein im Alter von gerade 61 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs und wird auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße in Friedenau beigesetzt. Sie hinterlässt ihre Lebensgefährtin, mit der sie über 26 Jahre liiert war. Der Heinrich-Böll-Stiftung vermacht Anne Klein eine größere Summe, aus der künftig der mit 10.000 € dotierte Anne-Klein-Frauenpreis verliehen werden soll. Mit diesem Preis werden Frauen aus dem In- oder Ausland ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für die Verwirklichung von Geschlechterdemokratie und gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts einsetzen. Er wird ab 2012 jeweils an ihrem Geburtstag am 2. März überreicht.
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Ich bin eine gute Juristin, und ich möchte mich als Fachfrau für Frauen zur Verfügung stellen, weil die fast überall in dieser Gesellschaft zu kurz kommen.
Wer die Gesellschaft modernisieren will, muss mit Gegenwind rechnen.
Ist die Unterdrückung noch nicht so transparent und erdrückend, dass individualistische Gruppierungen innerhalb der Frauenbewegung auf Spiritualismus, Mütterwahn und Sektiererei abflippen [?]
Als Anwältin konnte ich einiges zur Emanzipation von Frauen, aber auch Männern – beispielsweise als bessere Väter – beitragen.
Rechtshistorisch und rechtstheoretisch ist bekannt, dass Gesetze noch nie Bewußtsein verändert haben, im Gegenteil, das rigide Bewusstsein hat Gesetze ausgehöhlt und sie zur Farce gemacht (siehe Nationalsozialismus).
Ich habe AL-Frauenpolitik gemacht. Also etwas, was es bei der AL eigentlich gar nicht gibt. Was es gibt, ist ein mit Emotionen schwer belastetes Konkurrenzding unter AL-Frauen. Als Feministin Anne Klein hatte ich kaum Unterstützung von der AL. […] Das Atomgesetz kennen die [= Männer der AL] in- und auswendig. Aber kennen sie auch die Gesetzeslage zur Gleichberechtigung der Frau? […] Ich muss ich mich als Nervensäge präsentieren. Wenn die erstmal begriffen haben, was Frauenpolitik für sie bedeutet, schieben die ja nichts mehr freiwillig rüber.
Je mehr ich in die Nähe der Mächtigen gerate, desto deutlicher fühle ich meine Ohnmacht.
Wir halten es rechtspolitisch nicht für vertretbar, bzw. verfassungswidrig, sexuelle Gewaltfragen in der Ehe oder einer anderen Lebensgemeinschaft geringer zu bestrafen bzw. von der Strafverfolgung ganz auszunehmen. Wir wenden uns insbesondere gegen den Vorschlag, die sexuelle Nötigung von Verbrechen zum Vergehen herunterzustufen, die Mindeststrafe bei § 177 Abs. 1 StGB von zwei Jahren auf ein Jahr herabzusetzen und gegen die Behauptung, sexuelle Gewalt lasse sich wegtherapieren und daran ggf. einen Sanktionsverzicht (§ 177 Abs. 4) zu knüpfen. Dies ist systemwidrig und dogmatisch nicht zu begründen. Wir sehen darin nicht nur eine Verharmlosung des Problems der sexuellen Gewalt von Männern gegenüber Frauen, sondern gleichzeitig eine Rechtlos- bzw. Schlechterstellung der Ehefrau und der Frauen, die in der Lebensgemeinschaft sexuellen Übergriffen seitens der Lebenspartner ausgesetzt sind.
Wir können doch nicht so tun, als ob im Hier und Jetzt Männer und Frauen die gleichen Voraussetzungen hätten! Solange Männer erwarten, dass ihre Frau die Kinder versorgt und ihnen den Rücken für ihre Karriere freihält, müssen sie auch die wirtschaftliche Verantwortung dafür übernehmen.
Lieber Krebs, du bist stärker als ich, aber du gibst mir die Chance, herauszufinden, warum du zu mir kamst. Ob es eine Herausforderung ist, dass ich kämpfen soll, und zwar um mich selbst?
Links
Ex-Senatorin Klein ist klar: Nie wieder! Berliner Zeitung, 15.08.1995 (1995).
Online verfügbar unter http://www.berliner-zeitung.de/archiv/ex-senatorin-klein-ist-klar—nie-wieder-,10810590,8989422.html, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Anne Klein gestorben. Queer.de, 26.04.2011 (2011).
Online verfügbar unter http://www.queer.de/detail.php?article_id=14122, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Rechtsanwältinnen Anne Klein & Coll. Berlin - Familienrecht, Erbrecht - Anne Klein, Rechtsanwältin, Notarin a.D. (2011).
Online verfügbar unter http://www.anne-klein-kanzlei.de/anne_klein.html, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Heinrich-Böll-Stiftung (2011): Preis für Verwirklichung von Geschlechterdemokratie: Anne-Klein-Frauenpreis. Mit Links zu Anne Klein (unten auf der Seite). Heinrich-Böll-Stiftung.
Online verfügbar unter http://www.boell.de/stiftung/ehrungen/ehrungen-anne-klein-preis-12505.html, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Lorig, Dieter (2009): Was wurde aus Bilsdorfs Senatorin in Berlin? Saarbrücker Zeitung, 18.03.2009.
Online verfügbar unter http://www.pfaelzischer-merkur.de/sz-berichte/saarlouis/Saarlouis-Anne-Klein-Senatorin-Berlin-Bilsdorf-Frauenhaus;art2807,2834821, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Rennefanz, Sabine (2011): Ex-Frauensenatorin Anne Klein wurde beigesetzt. Ein Leben für die Rechte der Frauen. Berliner Zeitung, 17.05.2011.
Online verfügbar unter http://www.berliner-zeitung.de/newsticker/ex-frauensenatorin-anne-klein-wurde-beigesetzt-ein-leben-fuer-die-rechte-der-frauen,10917074,10787582.html, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Roggenkamp, Viola (1990): Anne Klein: Die Senatorin geht. In: EMMA 11/1990.
Online verfügbar unter http://www.emma.de/hefte/ausgaben-1990/november-1990/anne-klein-die-senatorin-geht/, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Schwab, Waltraud (2011): Noch einmal das Meer sehen. taz, 26.02.2011.
Online verfügbar unter http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=hi&dig=2011%2F02%2F26%2Fa0020&cHash=bbe6cc2b36, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Schwarzer, Alice (2011): Anne Klein ist tot. EMMAonline, 23.4.2011.
Online verfügbar unter http://www.emma.de/news-artikel-seiten/anne-klein-ist-tot/, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Wille, Klaus (1994): Berlins Ex-Senatorin Anne Klein ist vor allem Anwältin der Frauen. Jetzt sitzt sie am gläsernen Schreibtisch. In: Berliner Zeitung, 30.07.1994.
Online verfügbar unter http://www.berliner-zeitung.de/archiv/berlins-ex-senatorin-anne-klein-ist-vor-allem-anwaeltin-der-frauen-wie-geht-s—anne-klein—jetzt-sitzt-sie-am-glaesernen-schreibtisch,10810590,8859268.html, zuletzt geprüft am 16.04.2021.
Literatur & Quellen
Klein, Anne (1981): Brauchen wir ein Antidiskriminierungsgesetz? In: Dokumentationsgruppe der Sommeruniversität der Frauen e. V. (Hg.): Autonomie oder Institution. Über die Leidenschaft und Macht von Frauen ; Beiträge zur 4. Sommeruniversität der Frauen Berlin 1979. Berlin. Dokumentationsgruppe der Sommeruniversität der Frauen e. V. ISBN 3922050026 S. 30–33 (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Klein, Anne (1990): Wegweiser für Frauen in Berlin. Treffpunkte, Projekte, Beratung. Berlin. Senatsverwaltung für Frauen Jugend und Familie. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Klein, Anne; Michalik, Regina (1985): Frauenvorstand – feministischer Coup oder nur ein Vorstand ohne Männer? In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Band 13. S. 128–130.
Klein, Anne; Volmary, Gabriele et al. (1985): Vorläufiger Entwurf eines Antidiskriminierungs-Gesetzes. Bonn. Bundes-AG Frauen der Grünen. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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