Reichstags-Handbuch, V. Wahlperiode 1930. Hrsg. vom Bureau des Reichstags. Berlin, Verlag der Reichsdruckerei 1930, S. 550.
(geb. Rabe)
geboren am 12. Juli 1898 in Delitzsch
gestorben an 13. Dezember 1982 in Delitzsch
deutsche Gewerkschafterin und Politikerin (SPD); Abgeordnete im Dt. Reichstag, erste Frauensekretärin des Fabrikarbeiterverbands
125. Geburtstag am 12. Juli 2023
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Biografie
1890 wurde im Ballhof in Hannover der „Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands“ gegründet, auch kurz Fabrikarbeiterverband (FAV) genannt, die Gewerkschaft der ungelernten Arbeiter. Zwei Jahre später, beim ersten Ordentlichen Verbandstag des FAV, beschloss dieser als erste Gewerkschaft in Deutschland die Aufnahme von Frauen und die Umbenennung in den damals revolutionär wirkenden Namen „Verband der Fabrik-, Land- und gewerblichen Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“. Binnen eines Jahres war ein Drittel der ca. 3.200 Mitglieder weiblich.
Anna Rabe, wie sie bis zur Eheschließung mit dem Buchdrucker Paul Zammert 1926 hieß, wurde 1918 Gewerkschaftsmitglied und mit 22 Jahren in den Arbeiterrat im Bitterfelder Chemiewerk gewählt. Betriebsratsmitglied konnte sie nicht werden; das Betriebsrätegesetz verlangte ein Mindestalter von 24.
In ihrer Geburtsstadt Delitzsch nahe Leipzig ließen die rauchenden Fabrikschlote den Wohlstand des Industrieortes erkennen. Im Betrieb des Vaters, eines selbständigen Zigarrenmachers, half die gesamte Familie, Anna drehte als Kind Deckblätter. Aber ihr Berufswunsch war Dienstmädchen, „in Stellung“ zu gehen, obwohl das einen Arbeitstag von sechzehn Stunden, oftmals an sieben Tagen der Woche bei geringem Lohn und die Abhängigkeit von der Herrschaft bedeutete. Als 1914 zu Beginn des 1. Weltkriegs für die Kriegswirtschaft Arbeitskräfte benötigt wurden, wollte man sie in eine Munitionsfabrik schicken. Waffenherstellung lehnte sie ab, und entschied sich für eine Lederwarenfabrik, später arbeitete sie im Braunkohletage- und Straßenbau, dann wechselte sie ins Bitterfelder Chemiewerk. Sie trat in die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) ein und engagierte sich bei der Arbeiterwohlfahrt. Für den FAV bekleidete sie das Amt einer Unterkassiererin und hatte beim Einsammeln der Gewerkschaftsbeiträge viele Hauskontakte.
„Frauen, beteiligt euch am Bildungsangebot des Fabrikarbeiterverbandes und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ - dieser Aufruf im Verbandsorgan des FAV war ein Appell! Nach einem ihr von der Gewerkschaft ermöglichten Studium an der „Akademie der Arbeit“ bewarb sich Zammert 1927 erfolgreich um einen Posten bei der Gauleitung in Frankfurt a.M.; „Gau“ war die damalige Bezeichnung für unsere heutigen Bezirke. Ein Jahr später wurde sie Mitglied des Hauptvorstands des FAV mit Sitz in Hannover und baute unter dem Motto „Frauenarbeit von Frauen für Frauen“ ein Frauensekretariat auf. Damit wurde sie die erste Frauensekretärin einer Einzelgewerkschaft. Die Verbandszeitschrift hatte von nun an mit „Frauenfragen“ eine neue Spalte. Sie reiste viel, betreute besonders Betriebe mit einem hohen Arbeiterinnenanteil. Dort klärte sie über Rechte wie Arbeitsschutzbestimmungen oder Schwangeren- und Mutterschutz auf - Themen, die auch noch in der Weimarer Zeit gern übersehen wurden. In der Volkshochschule Hannover gab sie Kurse zur „Frau in der sozialen Gesetzgebung“.
Nach der Besetzung des hannoverschen Gewerkschaftshauses am 1. April 1933 und noch vor der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai wurde Anna Zammert, wie viele aktive Gewerkschaftsmitglieder, verhaftet. Sechs Monate verbrachte sie im Gefängnis, nach der Entlassung ging die Verfolgung weiter. Im September 1930 war sie für die SPD Nachrückerin im Wahlkreis Südhannover-Braunschweig und blieb bis Juni 1933 Reichstagsmitglied, wenn auch nur als Hinterbänklerin auf Platz 657 des Sitzungssaals.
1935 emigrierte das Ehepaar Zammert nach Dänemark, floh von dort weiter nach Norwegen, wo Anna nach der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wieder in Haft genommen wurde. Nach der Entlassung ging die Flucht weiter nach Schweden. Dort vertrat sie die Frauen in der Landesgruppe der deutschen Gewerkschafter in Schweden.
Nach dem 2. Weltkrieg kehrte sie nach Hannover zurück, um in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Sie engagierte sich bei der Arbeiterwohlfahrt und bemühte sich vergeblich um eine Stelle als Frauensekretärin bei der I.G. Chemie-Papier-Keramik, der Nachfolgeorganisation des FAV. Eine Zeit lang hatte sie die Funktion der Bezirksfrauensekretärin bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Hamburg. Aber für die Remigrantin gab es keine sinnvolle Verwendung, alle interessanten und anspruchsvolleren Posten waren besetzt. Enttäuscht kehrte Anna Zammert Deutschland erneut den Rücken. Seit 1953 wieder in Schweden, arbeitete sie beim schwedischen Fabrikarbeiterverband. Erst 1975, nach dem Tod ihres Mannes, zog sie zu ihrer Tochter nach Delitzsch in die damalige DDR. Diese Tochter hatte sie nach der Geburt 1927 bei der Großmutter untergebracht, wo sie auch aufwuchs. Immer hat Anna Zammert ihr Privatleben der Gewerkschaftsarbeit untergeordnet, ihr Mann „hielt ihr den Rücken frei“. In Delitzsch starb sie am 13. Dezember 1982 im Alter von 84 Jahren.
Hannover hat seit Dezember 2013 eine Anna-Zammert-Straße, die Verbindungsstraße zwischen Am Südbahnhof und dem Fachmarktzentrum An der Weide.
(Text von 2021
Verfasserin: Barbara Fleischer
Links
Anna Zammert; https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Zammert (abgerufen am 25.2.2021)
Literatur & Quellen
Böttcher, Dirk; Klaus Mlynek, Waldemar Röhrbein & Hugo Thielen. Hannoversches Biographisches Lexikon - Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hannover, Schlütersche 2002.
Huber, Antje. Hg. 1984. Frauen in der Politik - Die Sozialdemokratinnen: “Verdient die Nachtigall Lob, wenn sie singt?” Stuttgart; Herford. Seewald.
Hormann-Reckeweg, Birgit: Anna Zammert 1898 1982 , die erste Frauensekretärin des Fabrikarbeiterverbandes. In: Frauenwelten. Hrsg. von Angela Dinghaus. Hildesheim 1993, S. 263-267.
Reichstags-Handbuch, V. Wahlperiode 1930. Hrsg. vom Bureau des Reichstags. Berlin, Verlag der Reichsdruckerei 1930. Darin Anna Zammert, S. 518.
Weber, Hermann (Hrsg.): Vom Fabrikarbeiterverband zur Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik. Materialien und Dokumente. Köln, Bund-Verl. 1989.
Bildquellen
Anna Zammert.jpg
Reichstags-Handbuch, V. Wahlperiode 1930. Hrsg. vom Bureau des Reichstags. Berlin, Verlag der Reichsdruckerei 1930, S. 550.
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