Biographien Anna Maria Schwegelin
Infotafel in der Kemptener Innenstadt
(auch: Anna Maria Schwägelin, Schwegele, Schwägele)
geboren am 23. Januar 1729 in Lachen bei Grönenbach
gestorben am 7. Februar 1781 in Kempten
letzte in Deutschland als "Hexe" zum Tode Verurteilte
295. Geburtstag am 23. Januar 2024
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Biografie
Am 11. April 1775 erging in Kempten im Allgäu das Urteil über Anna Maria Schwegelin,
„… dass die Maleficantin wegen dieser mit dem bösen Feind aingegangener wiederholter Bündtnuß, als einem deren ärgsten Lastern, dem Scharfrichter zu Handen und Banden übergeben, auf die gewöhnliche Richtstatt geführt, daselbst durch das Schwerd vom Leben zum Tode hingerichtet, der Körper hingegen verbrannt werden solle, dies ihr zur wohlverdienten Straf, anderen hingegen zum Beyspiel und Exempel, allermaßen sie dahin condaminiret (verurteilt) wird.“
Dieser Prozess war der letzte Hexenprozess auf deutschem Boden, fand also bereits in der Zeit der Aufklärung statt.
Anna Maria Schwegelin wird am 23. Januar 1729 in Lachen bei Grönenbach als Kind armer Söldner- und Tagewerksleute geboren. Im Alter von etwa 34 Jahren verspricht ihr der Kutscher ihres protestantischen Dienstherrn die Ehe, macht aber zur Bedingung, dass sie ihrem katholischen Glauben abschwört und seine Konfession annimmt, was sie auch tut. Als sich der Kutscher aber von ihr abwendet, bereut sie diesen Schritt und sucht in der Beichte Vergebung.
Sie meint, von Gott keine Vergebung erwarten zu dürfen und quält sich fortan mit Selbstvorwürfen.
Sie wechselt jetzt häufig ihre Dienstverhältnisse und wird im Jahr 1770 als Pflege- und Sozialfall zunächst ins Leprosenhaus Obergünzburg eingewiesen, dann ins Armenhaus Langenegg, das der Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein auf der Burg Langenegg bei Martinszell eingerichtet hat.
Die häufig verwirrte Schwegelin hat in Langenegg ein sehr hartes Leben, kann ihr Arbeitssoll nicht immer erfüllen und wird von der Unteraufseherin, der Mitgefangenen Kuhstallerin, oft geschlagen und mit Essensentzug bestraft.
Im Februar 1775 zeigt die Kuhstallerin Anna Maria Schwegelin beim Criminal-Amt des Stiftes Kempten als Hexe an. Schließlich habe sie zugegeben, „sich mit dem Teufel versündigt zu haben“. Sie wird nach Kempten in Haft gebracht, viermal von den Landrichtern verhört und am 30. März 1775 zum Tode verurteilt. Zur Hinrichtung kam es jedoch nicht, weil sie überregionales Aufsehen und Proteste erregt hätte.
Der Historiker Wolfgang Petz entdeckte 1995 in alten Kirchenbüchern den Vermerk, dass eine „A. Maria Schwegelin“ 1781, also sechs Jahre nach dem Urteil, im Stockhaus starb.
Weil das Leben der letzten „Hexe“ in der Kemptener Stadtgeschichte bislang eher als amüsante Anekdote behandelt wurde, setzte sich seit etwa 1985 eine Gruppe geschichtsbewusster Frauen für ein würdiges Gedenken an das letzte Opfer des Hexenwahns ein. Seit 2002 ist der Schwegelin eine schlichte Brunnenschale gewidmet, die sich vor der barocken Residenz, dem ehemaligen Benediktinerkloster und Gerichtgebäude befindet. Auf einem Sockel daneben stehen auf einer unscheinbaren Gedenktafel ihre Lebensdaten und der Satz „Zur Erinnerung an das Leiden und Sterben ungezählter Frauen, die während der jahrhundertelangen Verfolgung als Hexen diffamiert und ermordet worden sind. Erinnerung ist das Geheimnis der Vergebung.“
Der Kemptener Frauenausschuss und die bis 2015 im Stadtrat vertretene Kempt’ner Frauenliste haben sich jahrelang vergeblich für eine Aufwertung des Brunnens mit einem Kunstwerk eingesetzt. Zwei Bildhauerinnen hatten dafür einen mächtigen Flügel aus farbig patinierter Bronze entworfen. Das Projekt sollte durch Spenden finanziert werden und kam deshalb nicht zustande. So ein auffallendes Gedenken an eine dunkle Seite der Lokalgeschichte war den Stadtvätern dann doch „zu teuer“. Seit Herbst 2018 gibt es immerhin eine Stele an prominenter Stelle in der Nähe des Brunnens, mit ausführlichen Informationen über die Lebensgeschichte der Schwegelin, zum Prozessverlauf und zu den Hexenprozessen in der Region. Es ist also doch gelungen, der „letzten Hexe“ ein öffentliches Zeichen der Achtung setzen.
(Text von 2019)
Verfasserin: Elisabeth Brock
Links
Petz, Wolfgang: Schwägelin, Anna Maria. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller und Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net.
Online: https://www.historicum.net/purl/45zty/ (letzte Linkprüfung 06.04.2019)
Arcucci, Isabella. 11.04.2011. Radio Bayern 2. Das Kalenderblatt: 11.04.1775. Die Hexe Anna Schwägelin wird verschont.
Online: https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/hexe-geschichte-anna-maria-schwaegelin100.html (letzte Linkprüfung 06.04.2019)
Bei der Kellen, Ralf. 20.06.2007. Deutschlandfunk. Buchkritik - Archiv. Spätes Opfer einer Massenhysterie. Wolfgang Petz: „Die letzte Hexe“, Campus Verlag, 204 Seiten.
Online: https://www.deutschlandfunkkultur.de/spaetes-opfer-einer-massenhysterie.950.de.html?dram:article_id=135157 (letzte Linkprüfung 06.04.2019)
Waldmüller, Rupert. 18.12.2018. Bayern 24. Die “letze Hexe” von Kempten.
Online: https://www.br.de/nachrichten/bayern/die-letzte-hexe-von-kempten,RCVsVOF (letzte Linkprüfung 06.04.2019)
Literatur & Quellen
Wolfgang Behringer: Hexen: Glaube, Verfolgung, Vermarktung. 5. Auflage, Beck, München 2009 (Erstausgabe 1998).
Uwe Gardein: Die letzte Hexe - Maria Anna Schwegelin. Historischer Roman. Meßkirch, Gmeiner Verlag, 2015.
Birgit Kata: Die Jubelfeiern zur Geschichte des Fürststiftes Kempten zwischen 1777 und 2002 in ihren historischen Kontexten. In: Birgit Kata u. a. (Hrsg.): Mehr als 1000 Jahre: Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752 – 1802. Allgäuer Forschungen zur Archäologie und Geschichte, Nr. 1. LIKIAS, Kempten/Friedberg 2006, S. 84.
Wolfgang Petz: Die letzte Hexe. Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin. Campus, Frankfurt am Main/New York 2007.
Wolfgang Petz: Der letzte Hexenprozess im Reich. Der Fall der Anna Maria Schwägelin 1775 in der Fürstabtei Kempten. In: Behringer, Lorenz, Bauer (Hg.), Späte Hexenprozesse. Der Umgang der Aufklärung mit dem Irrationalen (Hexenforschung Band 14), Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2016, S. 67–87. Publikationsserver der Universität Augsburg: https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/2283/file/Petz_Hexenprozess_Kempten.pdf (letzte Linkprüfung 06.04.2019)
Hansjörg Straßer: Anna Schwegelin. Der letzte Hexenprozeß auf deutschem Boden – 1775 in Kempten (Allgäuer Heimatbücher Bd. 84). Verlag für Heimatpflege Kempten im Heimatbund Allgäu e.V., Kempten 1985.von Wachter (Hrsg.): Der letzte Hexenprozess des Stiftes Kempten., In: Allgäuer Geschichtsfreund, Band 5, 1982m –s, 8–14, 21–25, 37–41, 60–63
Wolfgang Wüst (Hg.): Historische Kriminalitätsforschung in landesgeschichtlicher Perspektive. Fallstudien aus Bayern und seinen Nachbarregionen 1500–1800 (Franconia 9. Beihefte zum Jahrbuch für fränkische Landesforschung) Wissenschaftlicher Kommissionsverlag, Erlangen 2017.
Antonia Zenker: Eine Untersuchung anhand der Beispielprozesse der Anna Maria Schwägelin und der Maria Holl, sowie Entwicklungen der Hexenverfolgung heute in Kenia. Grin Verlag, München/Ravensburg, 2018.
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