Biographien Anna Freifrau von Borries
geboren am 26. April 1854 in Bad Rehme/Westfalen (heute: Bad Oeynhausen)
gestorben am 4. Juni 1951 in Hannover
deutsche Philanthropin und Stifterin, gläubige Christin
170. Geburtstag am 26. April 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Gemeinsam mit ihrer Pflegemutter, bei der Anna von Borries seit ihrem 9. Lebensjahr wohnte, zog sie 1887 nach Hannover. Sie war mit über 30 immer noch unverheiratet, wohlhabend, tief gläubig und suchte eine Beschäftigung. Als „höhere Tochter“, nur vorbereitet auf die Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter, hatte sie keinen Beruf erlernt.
Eine sinnvolle Tätigkeit konnte für sie nur eine ehrenamtliche Aufgabe sein, und sie schloss sich der Inneren Mission an. Regelmäßig besuchte sie nun deren Veranstaltungen. Tief bewegt wurde sie vom Bericht eines Pastors über eine Skandinavienreise, denn sie erfuhr von der dortigen vorbildlichen Betreuung der „Krüppel“ und wurde darauf hingewiesen, dass niemand in Deutschland sich der Fürsorge dieser als lästig empfundenen Menschen annehme. Trotz der Bismarckschen Sozialgesetze kümmerte man sich wenig um Behinderte. Jegliche besondere „Fürsorge“ auch für Blinde oder Taubstumme, wurde von kirchlichen Initiativen geleistet, oft von „Damen der Gesellschaft“, die sich ehrenamtlich engagierten. In Hannover war mit Ida Arenhold als treibender Kraft das Friederikenstift gegründet worden, eine Stiftung von Königin Marie ermöglichte die Entstehung der Henriettenstiftung mit Emmy Danckwerts als erster Oberin. Anna von Borries fand in der Krüppelfürsorge ihre Lebensaufgabe.
Sicherlich spielt auch ihr persönliches Schicksal und ein Rückenleiden, das sie seit einem Unfall im Kindesalter immer wieder plagte, eine Rolle. Auf dem elterlichen Gut war sie beim wilden Spiel von einem halb abgeladenen Erntewagen gestürzt. Sie war rücklings hart aufgeschlagen und bewegungslos auf dem Hofpflaster liegen geblieben. Knechte, die das Geschrei der Brüder gehört hatten, trugen sie ins Haus. Nachdem sie wieder zu sich gekommen war, kümmerte sich niemand mehr um diesen scheinbar alltäglichen Zwischenfall.
Der Vater hatte nach seiner Zeit als Amtmann im damals zu Dänemark gehörenden Herzogtum Lauenburg das Landgut Dalldorf gekauft. Hier verbrachte die Familie mit zu Beginn drei, später acht Kindern eine glückliche Zeit. Die Erziehung war dürftig, wechselnde und wenig interessierte Hauslehrer sorgten nicht für eine fundierte Bildung. Später musste vieles nachgeholt werden. Knapp zwei Jahre nach dem Tod des Vaters endete das Landleben. Die kränkelnde Mutter war nicht mehr in der Lage, das Gut zu bewirtschaften, sodass die Familie im April 1866 an den Ratzeburger See zog, wo immerhin noch Haustiere und Pferde gehalten wurden.
Doch auch diese Zeit währte nicht lange. Vor ihrem eigenen Tod hatte die Mutter eine Pflegefamilie gefunden, die 1867 alle acht Waisenkinder im Alter zwischen 3 und 15 Jahren aufnahm. Die Geschwister hatten das Haus längst verlassen, als Anna von Borries nach dem Tod des Pflegevaters 1887 nach Hannover übersiedelte.
Der Grundstock für ein Heim, in dem Körperbehinderten geistige und soziale Hilfe gewährt wurde, war ihre Stiftung von 5000 Reichsmark, einer damals hohen Summe. Eine ansehnliche Erbschaft aus dem Vermögen des Großvaters machte sie möglich. 360 Mark jährlich kostete die Versorgung eines Kindes.
Ein neu gegründeter Verein wurde tätig mit dem Ziel, jugendlichen Krüppeln „die ohne Ausbildung zur Arbeitsfähigkeit in Gefahr ständen, zugleich innerlich zu verkrüppeln und zu verkommen und die Zahl der Bettler und Vagabunden zu vermehren, durch eine fachgemäße Ausbildung dazu zu verhelfen, dass sie sich durch Arbeit nützlich machen und ihr eigen Brot essen könnten, wodurch sie zugleich innerlich gehoben und gestärkt würden“.
Weitere Spenden flossen, angeregt durch die Stifterin, die unermüdlich für ihre Institution warb. Die bescheidenen Anfänge 1893 mit einem Heim in Herrenhausen, wo eine Pflegerin acht Kinder betreute, führten über ein größeres Haus in Hannovers Südstadt zu einem Neubau in der Nähe des Stephansstiftes im Stadtteil Kleefeld. Der Magistrat bewilligte einen Bauplatz in der Tonkuhle der ehemaligen Stadtziegelei. In dem 1897 fertiggestellten Haus betreute eine Diakonisse der Henriettenstiftung die Pfleglinge. 1901 wurde es nach der Stifterin benannt.
Anna von Borries kümmerte sich um das, was wir heute „Fundraising“ nennen. Unermüdlich war sie „in Sachen Krüppelheim“ unterwegs, vielfältig engagiert, indem sie Beiträge für Sonntagsblätter verfasste, Zeitungsartikel und persönliche Werbebriefe schrieb, Kirchenkonzerte, Basare und Kollekten organisierte. Aber auch in Belangen der Verwaltung wurde sie aktiv wie bei der Beschaffung von Möbeln, orthopädischen Hilfsmitteln oder bei der Einstellung von qualifiziertem Personal. Sogar das deutsche Kaiserpaar konnte zur Übernahme der Schirmherrschaft für Spendensammlungen bewegt werden. Sie selbst machte kein Aufheben um ihre Person, ihr Einsatz geschah aus Nächstenliebe, sie wollte möglichst ungenannt bleiben. Im erweiterten Gebäude nahm die Zahl der Pfleglinge, ebenso wie die der Erziehungs- und Ausbildungsplätze zu. Schulzimmer, Werkstätten, ein Lehrlingsheim und moderne Therapieeinrichtungen wurden eingerichtet.
Anna von Borries spürte mit zunehmendem Alter gesundheitliche Probleme, die immer wieder lange Kuraufenthalte nötig machten. Nach 17 Jahren unermüdlicher Tätigkeit zog sie sich im Alter von 54 Jahren aus der aktiven Vereins- und Vorstandsarbeit zurück und siedelte zur Familie eines Bruders nach Blankenburg im Harz über. Der Kontakt nach Hannover blieb erhalten, und nach dem Tod des Bruders kehrte sie als zahlende Pensionärin 1926 ins Annastift zurück. Dort starb sie, hochbetagt, am 4. Juni 1951. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Friedhof des Stephansstifts.
Seit 2002 lautet die Adresse des Annastifts Anna-von-Borries-Straße. Das Diakoniekrankenhaus und die Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule sind eine moderne orthopädische Fachklinik mit zahlreichen Einrichtungen. Das Annastift gehört gemeinsam mit dem Friederiken- und dem Henriettenstift zu „Diakovere“. Der Name steht für die Abkürzung aus Diakonie und Hannover. (Text von 2019
Verfasserin: Barbara Fleischer
Literatur & Quellen
50 Jahre Annastift 1897-1947. Hrsg. Vom Centralausschuss der Inneren Mission der Dt. Ev. Kirche. Hannover 1947. Darin Anna von Borries, S. 8.
70 Jahre Annastift, Orthopädische Heil- und Pflegeanstalt. Hannover-Kleefeld, Annastift 1967.
Anna von Borries In: Sophie & Co. Bedeutende Frauen Hannovers. Biograph. Porträts hrsg. von Hiltrud Schröder. 2. Aufl. Hannover 1996, S. 228-229.
Borries, Anna von: Das Krüppelheim Annastift vor Hannover und dessen Entwicklung. o.O. (Hannover) 1927.
Borries, Götz von: Die Geschwister von Borries, Biographien. Engelsbach, Fouqué Literaturverl. 1998. Darin besonders: Kap. 4: Anna von Borries, S. 50-61.
Dicke, Werner: Anna von Borries. Die Helferin der Körperbehinderten. Hannover, Annastift 1997. 2. Nachdruck der Erstausg. von 1954.
Hachmeister, Göran: Die Herausforderung zu helfen, Anna von Borries 1854-1951. Hannover, Anna von Borries Stiftung 2014.
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