geboren am 9. Februar 1874 in Boston, MA
gestorben am 12. Mai 1925 in Boston, MA
amerikanische Lyrikerin, Salonière, Kritikerin und Büchersammlerin
150. Geburtstag am 9. Februar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Amy Lowell, bedeutende amerikanische Lyrikerin des “Imagismus” im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts, gehörte zu den “Brahmins”, dem “Bostoner Patriziat”, von dem es u.a. heißt: “Die Cabots sprechen nur mit den Lowells, und die Lowells sprechen nur mit Gott.” Amy war nicht nur steinreich, sie war noch dazu sehr geschäftstüchtig in der Vermarktung ihrer Werke, die sie geschickt in wichtigen Literaturzeitschriften und Anthologien plazierte und vor Riesenauditorien ausdrucksvoll vorzutragen verstand. Sie war untersetzt und litt zeitlebens an Übergewicht, was einer Karriere als Schauspielerin im Wege stand, und so brachte sie ihr ausgeprägtes darstellerisches Talent auf diese Weise zur Geltung. Amy Lowell war klug, belesen, witzig, selbstbewußt, leidenschaftlich und exzentrisch, ganz ähnlich wie ihre nur sechs Tage ältere Landsfrau Gertrude Stein aus Pennsylvania, ebenfalls eine der Mütter der Moderne, die sie allerdings niemals persönlich kennenlernte, obwohl sie ansonsten “Gott und die Welt” in der amerikanischen und europäischen Literaturszene nicht nur kannte, sondern auch förderte, einlud und fürstinlich bewirtete.
Gertrude Stein ist eine Ikone der Frauenbewegung, vor allem wegen ihrer Unabhängigkeit von patriarchalen Denkmustern und Verhaltensvorschriften. Amy Lowell - leider hierzulande fast völlig unbekannt und sogar in den USA weitgehend vergessen - ist als feministisches Vorbild nicht weniger eindrucksvoll: Auch sie war ein rebellischer und unabhängiger Geist. Sie und ihre Lebensgefährtin Ada Russell, die Amy in über hundert erotischen Gedichten besang, lebten ihre Liebe offen und unangefochten mitten im puritanischen Neuengland. Natürlich waren Amys vornehme Abstammung und ihre finanzielle Macht für so einen “herausfordernden” Lebensstil nicht unvorteilhaft.
Bis zu ihrem 38. Lebensjahr hatte Amy sich ihrer Fortbildung, ihrem geliebten Garten, dem Ausbau ihrer erlesenen Sammlung wertvoller Bücher und Handschriften und der Verwaltung ihres Reichtums gewidmet. 1912 erschien ihr erster Gedichtband; die Reaktion war reserviert, was sie in eine tiefe Krise stürzte. Im selben Jahr lernte sie die elf Jahre ältere geschiedene Schauspielerin Ada Russell kennen, eine schöne, warmherzige, sanfte und humorvolle Frau. Amy lud sie bald in die Ferien ein, sie kümmerte sich um sie während einer schweren Operation, kurz sie warb so intensiv um sie, daß Ada schließlich nachgab und in ihr großes Anwesen “Sevenels” in Brookline zog. Bis zu Amys frühem Tod (sie starb mit 51 Jahren an einem Schlaganfall) blieben die beiden unzertrennlich.
Die Zeit mit Ada Russell war Amy Lowells produktivste und erfolgreichste Zeit als Lyrikerin, Salonière und treibende Kraft des angloamerikanischen Literaturbetriebs. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, die literarische Schule des Imagismus in den USA heimisch zu machen und selbst darin eine zentrale Rolle zu spielen.
Der Imagismus war eine revolutionäre, für die literarische Moderne tonangebende Gegenbewegung zur “viktorianischen” Lyrik der Zeit (zu der auch Amy ihre Beiträge verfaßte) mit ihren nichtendenwollenden “dramatischen”, streng metrischen und gereimten Gedichten. Der Imagismus wollte von all dem das Gegenteil: knappe Sprache, präzise Bilder, freie Form.
Amy Lowell verfaßte auch eine 1100 Seiten starke Biographie ihres Lieblingsdichters John Keats, die 40 Jahre lang als maßstäblich galt. Trotz all ihrer Verdienste als Wegbereiterin der literarischen Moderne in den USA ist das, was dem breiten Publikum im Gedächtnis blieb, eher die Exzentrikerin Amy Lowell, die selten vor 13 Uhr aufstand von einem Lager, das immer mit genau 16 Kissen ausgepolstert sein mußte, die öffentlich Zigarren rauchte und so dick war, daß sie ihren eigenen Anblick mied und - auch in ihren Hotelsuiten - sämtliche Spiegel verhängen ließ, die sieben SchäferhündInnen hielt, deren Junge sie als ihre “Kinder” zu bezeichnen pflegte.
Wenn eine die andere Amy Lowell kennenlernen will, sollte sie ihre Gedichte an Ada Russell lesen. Sie wirken unglaublich modern: zeitlos wie die Gedichte Sapphos.
Aubade
As I would free the white almond from the green husk
So I would strip your trappings off,
Beloved.
And fingering the smooth and polished kernel
I should see that in my hands glittered a gem beyond counting.
Morgenständchen
Wie ich die weiße Mandel aus ihrem grünen Haus befreien würde
So würde ich dir die Hüllen abstreifen,
Geliebte.
Und wenn ich den glatten, polierten Kern tastete,
sähe ich in meinen Händen ein unschätzbares Juwel glänzen.
Decade
When you came, you were like red wine and honey,
And the taste of you burnt my mouth with its sweetness.
Now you are like morning bread,
Smooth and pleasant.
I hardly taste you at all for I know your savour,
But I am completely nourished.
Dekade
Als du kamst, warst du wie Rotwein und Honig,
Und dein Geschmack brannte meinen Mund mit seiner Süße.
Jetzt bist du wie Brot am Morgen,
Weich und angenehm.
Ich schmecke dich fast gar nicht, denn ich kenne deinen Geschmack,
Aber die Nahrung ist vollkommen.
(Übs.: Luise F. Pusch)
(Text von 1998)
Verfasserin: Luise F. Pusch
Links
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Bio, Liebesgedichte, Links (Englisch)
Kommentierte Bibliographie (Englisch)
Literatur & Quellen
Amy Lowell bei books.google.com - eine endlose Fundgrube
Damon, S. Foster. 1935 (Nachdruck 1966). Amy Lowell: A Chronicle. With Extracts from Her Correspondence. Boston. Houghton Mifflin.
Gould, Jean. 1975. Amy: The World of Amy Lowell and the Imagist Movement. New York. Dodd, Mead & Co.
Gregory, Horace. 1958. Amy Lowell: Portrait of the Poet in Her Time. Freeport, NY. Books for Libraries Press.
Horsley, Joey & Luise F. Pusch. 2005. “Zigarrenrauch und Blütenduft”: Amy Lowell (1874-1925) und Ada Dwyer Russell (1863-1952)”; in: dies. Hg. 2001. Berühmte Frauenpaare. Frankfurt/M. Suhrkamp TB 3404. S. 135-193. (Enthält viele Liebesgedichte Englisch-Deutsch)
Lowell, Amy. 1955. The Complete Poetical Works of Amy Lowell. Boston. Houghton Mifflin.
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