geb. am 7. März 1998 in Los Angeles
US-amerikanische Dichterin
25. Geburtstag am 7. März 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Amanda Gorman trat im kanariengelben Mantel, mit hoch getürmter Afrofrisur und mit rotem Haarband ans Mikrofon. Es war der 20. Januar 2021 in der amerikanischen Hauptstadt Washington. Es war kalt, die Sonne kam und ging während der Amtseinführung des neuen Präsidenten, Joe Biden. Die 22jährige trug ihr Gedicht vor, “The Hill We Climb”. Das Gedicht - anmutig mit ausladender Gestik vorgetragen als ob sie ein Orchester für eine Person dirigierte, in der rhythmischen Tradition von Rap und Slam Poetry—und die Bilder der jungen schwarzen Frau. Beides ging um die Welt und verzauberte Millionen.
“Den Hügel hinauf”, so der Titel auf Deutsch, thematisierte den schmerzhaften Riss durch Amanda Gormans Land und dessen gemeinschaftliche Heilung.
The Hill, der Hügel, so heißt das Capitol, auf dem der US-Kongress tagt. Es ist das Zentrum der US-amerikanischen Demokratie. Der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021, zwei Wochen vor der Amtseinführung, wurde zum Sinnbild eines Landes, das spätestens seit der Ära Trump tief gespalten und angeschlagen war.
Etwa 800 Anhängern von Ex-Präsident Donald Trump war es gelungen, ins Capitol einzudringen und die gemeinsame Sitzung beider Parlamentskammern für mehrere Stunden zu unterbrechen. Abgeordnete flüchteten, verbarrikadierten sich, Büros wurden verwüstet, in den Ecken hinterließen die Randalierenden Kot und Urin. Und fünf Menschen kamen ums Leben. Amanda Gorman schrieb ihr Gedicht in der pandemischen Einsamkeit in Los Angeles, während diese Bilder aus Washington im Fernsehen liefen.
In einem Podcast mit Hillary Clinton erinnert sich Amanda Gorman: “Anfang Januar arbeitete ich an meinem Gedicht im Schneckentempo. Und dann passierte der Aufstand am Capitol. Ich wusste sofort, das Thema der Amtseinführung muss Einheit sein. Aber als Dichterin fühlte ich eine Verantwortung, die Frage zu stellen: Einheit, warum und wieso? Es war etwas, was das Land und die Welt unbedingt hören mussten. Es war ein Moment der neuen Heiligung, der neuen Weihung des Capitols, aber auch der Demokratie.”
In “The Hill We Climb” verschmilzt die Aktivistin Amanda Gorman das Politische mit dem Persönlichen. Sie stelle sich ein Land und eine Zeit vor, sagte sie
Wo ein kleines, dünnes schwarzes Mädchen
Nachfahrin von Sklavinnen,
Kind einer alleinerziehenden Mutter
davon träumen kann, Präsidentin zu werden, und
nun hier, heute für einen Präsidenten vorträgt.
Amanda Gorman hat schon einen frühen und steilen Aufstieg als Dichterin hinter sich, als sie auf den Stufen des Capitols rezitiert. Mit 16 wird sie die Dichtungspreisträgerin der Stadt Los Angeles und mit 19 die erste Nationale Jugenddichterin der USA (National Youth Poet Laureate). Jill Biden, die Frau des nächsten Staatsoberhaupts der USA, kannte Gormans Arbeit und schlug dem Amtseinführungskomitee vor, die junge Poetin einzuladen.
Amanda Gorman ist in der multikulturellen Stadt Los Angeles aufgewachsen. Ihre Mutter, Joan Wicks, alleinerziehend, ist Lehrerin im Stadtteil Watts, einem sozialen Brennpunkt. Aber gelebt hat Amanda Gorman mit ihrer Mutter und der Zwillingsschwester Gabrielle im bürgerlichen Vorort Westchester. Gorman ging auf eine progressive Privatschule im wohlhabenden Santa Monica. Durch das Hin und Her zwischen den sehr unterschiedlichen Nachbarschaften lernte Gorman aus erster Hand die Ungleichheit in der Gesellschaft kennen.
Der selbstbewusste Auftritt in Washington erweckte den Eindruck, als sei diese außergewöhnliche junge Frau schon immer so gewesen. Aber Amanda Gorman musste lernen, einen Sprachfehler zu überwinden. Als sie in den Kindergarten kam, wurde bei der Fünfjährigen eine Verarbeitungsstörung beim Hören diagnostiziert, die eine Sprachstörung nach sich zog. Jahrelang arbeitete Gorman daran, bestimmte Laute auszusprechen, zum Beispiel das R. Es dauerte lange, bis sie “poetry” sagen konnte und nicht “poetwy”. Sprachtherapie half ihr dabei und Üben, Üben, Üben. Noch mit 20 fiel es ihr schwer, den eigenen Nachnamen richtig auszusprechen.
Am 4. Februar 2021 bringt das Time Magazine als Aufmacher ein Gespräch zwischen Michelle Obama und Amanda Gorman, beide schmücken die Titelseite. Die ehemalige First Lady und die junge Dichterin tauschen ihre Erfahrungen und Ansichten aus, was es heißt, in der US-amerikanischen Gesellschaft schwarz und weiblich zu sein. Gorman sagt, “Öffentlich vorzutragen als schwarzes Mädchen ist schon einschüchternd, - schon mit meiner dunklen Haut, mit meinen Haaren und meiner Rasse auf der Bühne zu stehen - als ein Typ Mensch, der nicht oft in aller Öffentlichkeit willkommen geheißen oder gefeiert wird. Und dann noch jemand mit Sprachfehler, das verschärfte mein „Hochstaplersyndrom“ – ich machte mir Sorgen, ist das, was ich zu sagen habe, gut genug? Und noch die zusätzliche Angst, ist die Art, wie ich spreche, gut genug?”
In einem Fernsehinterview mit dem US-Sender NBC im September 2021 verrät Gorman, warum sie vorhat, 2036 für das höchste Amt der USA zu kandidieren. Dann hat sie nämlich das von der amerikanischen Verfassung vorgeschriebene Alter von 35 erreicht. „Ich kann mich erinnern, da war ich 11 Jahre alt, und ich war in der Schule und sprach vor meiner Klasse mit Leidenschaft darüber, wie ich die Welt verändern möchte. Da sagte meine Lehrerin scherzhaft ‘Ha ha, du solltest für das Amt des Präsidenten kandidieren,’ und ich sagte, ‘Ja, das sollte ich tun.’“
(Text von 2022)
Verfasserin: Lila Hess
Links
Hillary Clinton im Gespräch mit Amanda Gorman
Interview Amanda Gorman und Michelle Obama
Amanda Gorman liest Gedichte aus ihrem Buch Call Us What We Carry
Amanda Gorman rezitiert ihr Gedicht “The Hill We Climb” bei der Amtseinführung von Joe Biden
Literatur & Quellen
Gorman, Amanda. 2021. Call Us What We Carry: Poems. New York NY. Viking.
Gorman, Amanda. 2021. The Hill We Climb - Den Hügel hinauf: Zweisprachige Ausgabe. Aus dem am. Englisch von Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker und Uda Strätling. Hamburg. Hoffmann und Campe.
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