(Alice Munro, geb. Laidlaw)
geboren am 10. Juli 1931 in Wingham, Ontario, Kanada
gestorben am 13. Mai 2024 in Ontario, Kanada
kanadische Schriftstellerin,
Literatur-Nobelpreisträgerin 2013
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Vier Wochen nach dem 11. September 2001 erschien in der Zeitschrift The New Yorker die Kurzgeschichte “Comfort” von Alice Munro, die gar nichts mit Terror oder Action zu tun hat. Es ist eine sehr private, stille Geschichte über Trauer, Verlust und Neuanfang. Der Story-Editor bekannte in einem Interview, er hätte nach dem Schock keine bessere Geschichte als diese gewusst.
Alice Munro ist nach einhelligem Urteil der Literaturkritik die bedeutendste lebende Autorin von Kurzgeschichten – und das, obwohl ihre Geschichten alltägliche Probleme “gewöhnlicher” Personen (noch dazu überwiegend weiblicher) in scheinbar langweiligen kanadischen Kleinstädten zum Inhalt haben. Dazu die Autorin: “Kleine oder große Themen gibt es nicht. Die großen Dinge, das Böse in der Welt, hat eine direkte Beziehung zu dem Bösen, das es um einen Esstisch herum gibt, wenn die Leute einander etwas antun.” Und: “Die Kompexität der Dinge – der Dinge innerhalb der Dinge – scheint einfach endlos. Ich meine, nichts ist leicht, nichts ist einfach.”
Oft wird Munro “Kanadas Tschechow” genannt, wozu ein Kritiker bemerkte: “Dieser Vergleich ist ein Rezensentenklischee, aber er passt so genau, dass er unvermeidlich bleibt. Sie besitzt Tschechows scharfes Auge fürs Detail und seine Empathie mit Menschen jeglicher Art.”
Nach dem relativ späten Debüt mit der Ernte von 15 Jahren literarischer Arbeit, “Dance of the Happy Shades” (1968), veröffentlichte Munro zehn weitere Bände, die seit den 1980er Jahren auch ihr deutsches Publikum fanden. Heute wird jeder neue Munro-Band umgehend übersetzt.
Alice Laidlaw wurde 1931 in der Nähe von Wingham im kanadischen Bundesstaat Ontario geboren. Die Silberfuchsfarm des Vaters konnte sich in der Wirtschaftsdepression der 30er Jahre nicht halten. Alice fand, sie hätte kein Talent zur feinen Dame, zu der die Mutter sie und ihre beiden Schwestern erziehen wollte, und flüchtete sich in die Welt der Bücher. 1941 erkrankte die Mutter an einer seltenen Form von Parkinson, der sie 1959 erlag. Munro macht sich Vorwürfe, dass sie ihrem starken Drang zu schreiben folgte, statt ihr beizustehen: “Hätte ich statt dieses inneren Feuers mehr Wärme gehabt, hätte ich ihr sehr helfen können.”
In den 50ern heiratete sie Jim Munro und gebar vier Töchter; Catherine, die zweite, starb kurz nach der Geburt. 1963 eröffneten die Munros in Victoria eine Buchhandlung, die sich bald einen guten Namen machte. Die Zeit zum Schreiben musste sich Munro in diesen Jahren mühsam zusammenklauben; sie half sich mit kurzen Erzählformen und damit, dass sie bei der Haus- und Familienarbeit unablässig über ihre Gestalten und Plots nachdachte. 1972 trennte sich Munro von Jim; 1976 heiratete sie den Geographen Gerald Fremlin, mit dem sie bis heute zusammenlebt.
“Mehr als jedeR SchriftstellerIn seit Tschechow erreicht Munro in jeder ihrer Geschichten eine gestaltartige Vollständigkeit der Wiedergabe eines Lebens. Sie war schon immer genial beim Entwickeln und Auspacken von Momenten der Erleuchtung. Aber in ihren letzten drei Geschichtensammlungen hat sie den wirklich großen Sprung zur Weltklasse gemacht und wurde eine Meisterin der Spannung. ... Bevor du die Geschichte nicht zu Ende gelesen hast, hast du keine Ahnung, was sie wirklich bedeutet. Es ist immer die letzte Seite oder die beiden letzten, in der alle Lichter angehen.” (Jonathan Franzen, 2004)(Text von 2005)
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Alice Munro starb am 13. Mai 2024 im Alter von 92 Jahren.
Verfasserin: Luise F. Pusch
Links
“New Yorker”-Interview (Englisch)
Literaturkritik.de über Tricks
Literatur & Quellen
Alice-Munro-Lesebox: Enthält die Erzählungs-Sammlungen Das Bettlermädchen; Der Mond über der Eisbahn und Jupitermonde. Berliner Taschenbuch Verlag.
Munro, Alice. 2004 [2001]. Himmel und Hölle: Neun Erzählungen [=Hateship, Friendship, Courtship, Loveship, Marriage]. Aus dem Engl. von Heidi Zerning. Frankfurt/M. Fischer.
Munro, Alice. 2006 [2004]. Tricks: Acht Erzählungen [=Runaway]. Aus dem Engl. von Heidi Zerning. Frankfurt/M. S. Fischer
Munro, Sheila. 2001. Lives of Mothers & Daughters: Growing up with Alice Munro. Toronto. McClelland & Stewart.
Thacker, Robert. Hg. 1999. The Rest of the Story: Critical Essays on Alice Munro. Toronto. ECW Press.
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