geboren am 26. Februar 1858 in Hannover
gestorben am 23. Februar 1927 in Hannover
Musikpädagogin und Begründerin der Tonika-Do-Methode in Deutschland
95. Todestag am 23. Februar 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Fast vergessen scheint Hundoeggers Lebenswerk, denn bis auf den ausführlichen Aufsatz Eva Riegers in Sophie & Co ist nur wenig über die Hannoveranerin verfasst worden: Agnes Hundoeggers Vater war Chefarzt des Städtischen Krankenhauses in Hannover und war ihr als unbestechlicher und von vielen Menschen geschätzter Freund ein großes Vorbild. Die Kinder der Hundoeggers wuchsen in einer Atmosphäre von solider Bildung und musikalischer Offenheit auf. So wurde Hundoeggers musikalisches Talent früh entdeckt und gefördert. Im Alter von 16 Jahren schickten ihre Eltern sie zum Musikstudium nach Berlin. Sie studierte bei Elise Breiderhoff Gesang und bei Ernst Rudorff Klavier. 1881 schloss sie ihr Studium mit besonderer Auszeichnung in beiden Fächern ab und führte ihre Gesangsausbildung bei Julius Stockhausen in Frankfurt fort.
Nach Hannover zurückgekehrt konzertierte sie als Pianistin und als Oratorien- und Liedsängerin. Zusätzlich gab sie Klavier- und Gesangunterricht und bald fiel ihr das Fehlen einer überzeugenden Gehörbildungsmethode auf. Sie bemerkte bei ihren SchülerInnen Schwierigkeiten beim Aufschreiben von Melodien und Harmonien nach dem Gehör und begab sie sich auf die Suche nach einer geeigneten Lehr- und Lernmethode.
Im Frühling 1896 brachten ihr Freunde verschiedene Lehrbücher der Tonic Sol-Fa-Methode aus England mit. Sie studierte sie eingehend, und die Einfachheit und Logik des Systems überzeugte sie. Sie beschloss, im selben Jahr einen Ferienkurs der T.S.F-Gesellschaft in einem kleinen Vorort Londons zu besuchen. Begeistert berichtete sie:
»Die Eindrücke und Erfahrungen des einen Monats, in dem ich mich dort dieser großen Gemeinschaft zugehörig fühlte, haben in meinem Leben und meiner beruflichen Tätigkeit einen Wendepunkt bedeutet. Mit Beschämung musste ich sehr bald meinen deutschen Musikerdünkel einpacken. Es kam hier ja gar nicht auf persönliche künstlerische Leistung an, sondern auf die Fähigkeit, sich unterrichtend auf ein gegebenes Thema und ein bestimmtes Klassenniveau einzustellen und eine Aufgabe mit pädagogischem Verständnis zu lösen.«
Die Kinder sollten nämlich nicht nach üblicher Papageienmethode singen lernen, sondern mittels der Solmisation das Verhältnis der Töne zueinander verinnerlichen. Hier werden einzelne Töne durch Silben (do, re, mi, fa, so, la, ti) und dazugehörige Handzeichen kindgerecht vermittelt. Nicht gebunden an vorgeschriebene Übungen hat der/die Lehrende die Möglichkeit, binnendifferenzierend zu unterrichten.
In Hannover begann Hundoegger sofort, das Erlernte mit drei Kindern (vier, fünfeinhalb und sieben Jahre) auszuprobieren. Ihr Erfolg mit der neuen Methode war verblüffend, und es wurden bald weitere Kinderklassen eröffnet. Sie übersetzte zudem das Lehrbuch von J. Spencer Curwen (Sohn), um es deutschen MusiklehrerInnen zugänglich zu machen. Dabei entdeckte sie, dass Curwen die Einführung in die Notenschrift nicht berücksichtigte. Da die ihr bekannte Galin-Chevé-Methode einen gelungenen Übergang zur Notenschrift vermittelte, beschloss sie, beide zu kombinieren. Überdies modifizierte sie die Silbenschrift, Bezeichnungen im rhythmischen Bereich und einige Handzeichen.
Ein Jahr nach ihrem Besuch in London gab Hundoegger den Leitfaden der Tonika Do-Lehre auf eigene Kosten heraus. Um diese zu verbreiten, gab Hundoegger, immer von einer kleinen Kinderschar begleitet, Kurse in verschiedenen Städten. Im selben Jahr wurde der Gesangunterricht von Alma Bräuer im Mädchenlyzeum Südhaus in Hannover nach Tonika-Do erteilt.
Doch obwohl Hundoeggers Leitfaden ausdrücklich für den Schulgebrauch vorgesehen war, standen Volksschullehrer der Methode sehr ablehnend gegenüber. Die männlichen Kollegen unterstützten die Ziffernmethode des Volksschullehrers Carl Eitz. Hundoegger spürte, dass der Widerstand gegen T.D. auf einem Widerstand gegen sie als Frau beruhte. Auch in den 20-er Jahren wehte den T.D.-Verfechterinnen aufgrund ihres Geschlechts ein heftiger Wind entgegen. In einem Brief an Marianne Oehmigen schreibt Hundoegger:
»Von der Einladung, dem Eytz-Lager eine aufklärende Vorführung zu machen, verspreche ich mir nicht so sehr viel Erfolg, es kann ja aber sein, dass Sie es dort mit weniger fanatischen Menschen zu tun haben, dann könnte ja etwas Ersprießliches dabei herauskommen; da Sie aber als Einzelne, noch dazu als Frau vermutlich einer großen Majorität von Männern gegenüberstehen, so sehe ich nicht besonders rosig.«
Um die korrekte Weitergabe der Methode zu sichern und um sie zu institutionalisieren, gründete Hundoegger im Jahr 1909 den Tonika-Do-Bund e.V. und den Tonika-Do-Verlag in Hannover und führte ein Prüfungssystem ein. Den ersten öffentlichen Erfolg erlebte der T.D.-Bund 1921 bei der der Schulmusikwoche, die vom Zentral-Institut für Erziehungs- und Unterrichtswesen in Berlin veranstaltet wurde.
Hundoegger wurde von ihren SchülerInnen als Pädagogin sehr geschätzt. Sie waren hingerissen von ihrer großen Musikalität und ihrer Menschlichkeit. Agnes Ritter erinnerte sich noch mit 91 Jahren an Hundoeggers pädagogische Fähigkeiten, nämlich nicht nur Geist und Seele mit großer Erlebnisfähigkeit der Werke, die sie unterrichtete, zu erfüllen, sondern ihr darüber hinaus durch Zuwendung »Halt und Hilfe im Sturm und Drang jener Jugendjahre« gegeben zu haben. Am 23. Februar 1927 starb Hundoegger und wurde auf dem hannoverschen Friedhof Engesohde beigesetzt.
(Text von 2012)
Verfasserin: Karina Seefeldt
Zitate
Georg Ismer zur Trauerfeier von Agnes Hundoegger:
Doch hat sie auch die Bitternis des Wortes erfahren müssen, dass ein Prophet in seinem Vaterlande nichts gilt. Ihre Heimatstadt Hannover verschloss sich ihren Ideen. Und die höchste preußische Schulbehörde verbot die Tonika-Do-Lehre in den Schulen. Sie war zuerst ganz allein auf sich angewiesen. Sie ging ihren Weg unter Aufopferung ihrer selbst und – ihres Vermögens. Liegt nicht ein Vergleich nahe mit Pestalozzi? Dieser, auch nur auf sich selbst gestellt, sich und sein Vermögen einer Idee opfernd: Der Idee der allgemeinen Menschenbildung. Hier ist's die Idee einer allgemeineren musikalischen Bildung.
(Anmerkung von Luise F. Pusch: Pestalozzi opferte vor allem das Vermögen seiner Frau, Anna Pestalozzi, geb. Schulthess, die deswegen in ständiger Angst vor dem Bankrott lebte.)
Links
1 Becker, Andreas: Albert Greiner und die Augsburger Singschule. Dissertation.
2 Fromm, Michael: Über relative Solmisation. Musik in der Schule.
3 Google Buchsuche: Agnes Hundoegger.
4 Phleps, Thomas: Die richtige Methode oder Worüber Musikpädagogen sich streiten. Anmerkungen zur Funktion und zum Funktionieren von Solmisationssilben und ihren Produzenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Letzte Linkprüfung durchgeführt am 17.02.2017 09:42:01 (AN)
Literatur & Quellen
Werke
Hundoegger, Agnes (1897): Leifaden der Tonika-Do-Methode für den Schulgebrauch. Hannover. Tonika-Do-Bund. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Hundoegger, Agnes. (1925): 100 Kanons für die sangesfreudige Jugend in Noten und Tonika-Do-Schrift. Hannover. Tonika-Do-Verlag. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Hundoegger, Agnes (1926): Übungsbuch zum Leitfaden der Tonika-Do-Lehre. Hannover. Tonika-Do-Bund.
Hundoegger, Agnes. (1927): Alte, altmodige und neuere ein- und zweistimmige Lieder. Hannover. Tonika-Do-Bund (Ergänzungsheft zum Übungsbuch zum Leitfaden der Tonika-Do-Lehre). (Suchen bei WorldCat)
Hundoegger, Agnes (1927): Tonika Do Quartettspiel. Hannover. Tonika-Do-Verlag. (Suchen bei WorldCat)
Hundoegger, Agnes (1934): Ubungen zum Vomblattsingen für Schulen, Singgruppen, Chöre und Musikseminare. Berlin. Tonika-Do-Verlag. (Suchen bei WorldCat)
Hundoegger, Agnes (1967): Lehrweise nach Tonika Do. Neubearbeitung des Leitfadens von Elisabeth Noack. Köln. Kistner u. Siegel – Abteilung Tonika-Do-Verlag. ISBN 3-920541-10-3. (Suchen bei WorldCat)
Quellen
Hundoegger, Agnes (1925): Brief an Marianne Oehmigen. Hannover. Institut für Musikpädagogische Forschung (Nachlass Agnes Hundoegger).
Hundoegger, Agnes (1926): Die Tonika-Do-Lehre in Deutschland. In: Die Musikerziehung.
Hundoegger, Agnes (o. J.): Die Tonika-Do Lehre in Kindergarten und Grundschule. In: Tonika-Do-Bund e.V. Hannover. Institut für Musikpädagogische Forschung (Nachlass Agnes Hundoegger).
Ritter, Agnes (1995): Erinnerungen an Agnes Hundoegger (1858-1927). Handschriftlich mit Foto. Hannover. Institut für Musikpädagogische Forschung (Nachlass Agnes Hundoegger).
Schroeder, Hiltrud (Hg.) (1990): Sophie & Co. Bedeutende Frauen Hannovers. Biographische Portraits. Darin: Agnes Hundoegger (1858-1927). »Die Heimatstadt verschloß sich ihren Ideen« von Eva Rieger. Hannover. Fackelträger. ISBN 3771615216. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Weiterführende Literatur
Reagin, Nancy Ruth (1995): A German women's movement. Class and gender in Hanover. 1880 – 1933. Chapel Hill. University of North Carolina Press. ISBN 0-8078-2210-8. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.