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(Agnes Giebel, geb. Reichert)
geboren am 10. August 1921 in Heerlen, Holland
gestorben am 24. April 2017 in Köln
100. Geburtstag am 10. August 2021
deutsche Sängerin
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
„Wenn Bach Agnes Giebel gekannt hätte, er würde für sie Tautropfen und Silberfäden komponiert haben.“ So charakterisierte der Thomaskantor Günther Ramin die Stimme Agnes Giebels.
Helena Agnes Maria Reichert wurde 1921 in Heerlen, Holland als Älteste von drei Geschwistern geboren. Die Eltern waren dort hingezogen, um den politischen Unruhen in Deutschland zu entfliehen. In Agnes' viertem Lebensjahr jedoch kehrte die Familie nach Essen-Steele, dem Ort des väterlichen Elternhauses, zurück.
Agnes wuchs in bescheidenen, harmonischen familiären Verhältnissen auf. Das Singen in der Familie gehörte zu den alltäglichen Selbstverständlichkeiten. Der Chorleiter Jo Gromann gründete 1935 den Steeler Kinderchor, und natürlich war Agnes Reichert dabei. Sie war 13 Jahre alt. Sehr schnell erkannte Jo Gromann das Talent des Mädchens und förderte es behutsam und stetig. Oft hatten die Chorkinder Gelegenheit zu solistischem Singen. So hörte die junge Agnes Reichert zum ersten Mal ein Kunstlied – Mondnacht von Schumann. Zutiefst bewegt von dem, was dieses Lied in ihr auslöste, wünschte sie sich die Noten von den Eltern und fing an, selbst Kunstlieder zu singen.
Inzwischen hatte Agnes Reichert nach der Volksschule auch die Handelsschule besucht und arbeitete dann als Sekretärin.
Es war Jo Gromann, der sie ermutigte, sich zur Bühneneignungsprüfung am Essener Theater anzumelden. Sie bestand die Prüfung auf Anhieb. 1942 begann Agnes Reichert ihr Gesangsstudium bei Hilde Wesselmann an der Folkwangschule in Essen. Im Dezember 1943 heiratete sie den Soldaten Hans Giebel, der 1947 in Russland starb. Aus dieser Ehe stammt ein Sohn. Später folgten noch zwei Töchter aus zweiter Ehe.
Nach einer Unterbrechung wurde Agnes Giebel erneut in Hilde Wesselmanns Gesangsklasse an der Folkwangschule aufgenommen mit dem Ziel der Ausbildung zur Konzertsängerin. Dort avancierte sie schnell zum Star der Hochschule. Entsprechend häuften sich auch die Konzertanfragen.
Ihr erstes Orchesterkonzert war eine Aufführung des Bachschen Weihnachtsoratoriums am 14. Dezember 1947 in der Lutherkirche in Remscheid, wo sie mit ihrer „makellosen, strahlenden Stimme“ begeisterte.
Anfang der 1950-er Jahre nahm Agnes Giebel ihre erste Schallplatte auf. Die Auftritte häuften sich dermaßen, dass sie Hilde Wesselmann um Rat fragte. Wie konnte sie in kurzer Zeit so viel Repertoire lernen? In Hilde Wesselmann hatte sie die ideale Lehrerin für ihre Stimme gefunden: eine hochmusikalische Pädagogin, die die Stimmen nicht forcierte.
Agnes Giebel war seit Mitte der 50-er Jahre “die“ deutsche Bach-Sopranistin, sang bei Günther Ramin in Leipzig, seinen Nachfolgern Kurt Thomas und Erhard Mauersberger, Karl Richter in München, Karl Ristenpart in Berlin, Theodor Egel in Freiburg sowie Ernest Ansermet und Eugen Jochum.
Zeitgleich ereignete sich ihr internationaler Durchbruch auf der Oratorien- und Konzertbühne: 1956 sprang sie kurzfristig als Sopranistin für eine Einspielung der Carmina Burana mit dem WDR Symphonie-Orchester ein. Der Komponist Carl Orff war anwesend, die Leitung hatte Wolfgang Sawallisch. Sie sang mit hochkarätigen Sängerkollegen wie dem Tenor Paul Kuen - auch Tenor in Bayreuth - zusammen. Die Schallplatteneinspielung, autorisiert vom Komponisten, wurde ein großer Erfolg, v.a. in den USA. Daraus ergaben sich neue internationale Kontakte, u. a. mit Otto Klemperer und dem London Philharmonia Orchestra. Ihre Karriere entwickelt sich entsprechend dem Dominoeffekt. Sie singt in London in Mahlers 8. Symphonie unter Jascha Horenstein, arbeitet wiederholt mit Sergiu Celibidache zusammen, bringt in Luzern unter Joseph Keilberths Leitung gemeinsam mit Dietrich Fischer-Dieskau Brahms' Ein Deutsches Requiem zur Aufführung, um nur einige weitere Kooperationen mit bedeutenden Dirigenten und Sängerkollegen ihrer Zeit zu benennen.
Ende der Fünfzigerjahre wandte sich Agnes Giebel eingehend dem Liedgesang zu. Davor waren sporadisch Liederabende zustande gekommen. Herbert Kanders, ihr Mann und Manager, machte sich auf die Suche nach einem erfahrenen und möglichst bekannten Pianisten als Begleiter für seine Frau. Der Deutsche Sebastian Peschko, der Niederländer Felix de Nobel und später der Schweizer Karl Engel wurden die Auserwählten. Sie profilierte sich zielstrebig und hatte so im Jahr 1963 über 20 Liederabende im In- und Ausland.
Die große Konzert- und Liedsängerin Agnes Giebel wurde oft gefragt, warum sie der Opernbühne fernblieb. Einer der Gründe mag ihr Hang zur Natürlichkeit gewesen sein - sie sagte, „[es] liegt ... mir nicht, Gefühle zu produzieren, die ich nicht wirklich empfinde.“ Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass sie doch Oper sang, wenn auch konzertant, für den Rundfunk oder Schallplatteneinspielungen. Auch die zeitgenössische Musik machte sie sich zu eigen. Neben Schumanns „Frauenliebe und Leben“ prägte sie ihre künstlerische Laufbahn hindurch der Liedzyklus „Marienleben“ von Paul Hindemith.
Agnes Giebel erhielt sich ihre Stimme bis ins Alter. Sie unterrichtete, gab Meisterkurse, reiste u.a. nach Japan zu Kongressen. Im Herbst 2002 verlieh Bundespräsident Johannes Rau ihr das Bundesverdienstkreuz.
(Text von 2020)
Verfasserin: Mayling Konga und Petra Mauersberger
Zitate
„Hören Sie, wie pures Gold erklingt…“ (Sergiu Celibidache über Agnes Giebel)
„Man darf nicht ausatmen beim Singen – den Ton wie trinken.“ Agnes Giebel in Da Capo
„Du hast eine Jahrhundertstimme.“ (Hilde Wesselmann)
Literatur & Quellen
Agnes Giebel singt Lieder von Julius Weismann. München. o.J. (Schallplattentext)
Agnes Giebel: Da Capo – Interview mit August Everding 1992.
Kesting, Jürgen. 1986. Die großen Sänger. 3 Bde. Düsseldorf. Claassen.
Kurtz, Michael. 2008. Agnes Giebel – Auf Flügeln des Gesangs. Köln. Dohr.
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