Luise F. Pusch: Die Eier des Staatsoberhaupts, und andere Glossen
Luise F. Pusch Die Eier des Staatsoberhaupts, und andere Glossen Wallstein Verlag Göttingen. 144 Seiten, € 9,90
Rezensionen: Literaturkritik.de (Rolf Löchel)
AVIVA-Berlin (Stefanie Denkert)
Rezensionen von LeserInnen bei amazon
Marianne Krüll in Virginia: Frauenbuchkritik, Heft 44 (2008):
Die Bundesadlerin Luise F. Pusch muss den LeserInnen der Virginia nicht mehr vorgestellt werden. Denn mit ihren sprachkritischen Texten und vor allem mit ihren feministisch-linguistischen, satirischen Glossen war und ist sie für viele von uns schon immer eine Augen-, Ohren- und Geist-Öffnerin, die uns lehrt, die subtilen Mechanismen der sprachlichen Diskriminierung von Frauen wahrzunehmen. Seit 1982 erschienen ihre Glossen zuerst in der »Courage«, dann in einem Band bei Suhrkamp. Seit 2001 sind sie nachzulesen auf ihrem großartigen Webportal [url=http://www.fembio.org]http://www.fembio.org[/url], das ihr riesiges Archiv von Frauenbiografien (inzwischen über 32.000) und Unmengen von Informationen zu Frauenthemen enthält. Seit 2006 stellt sie ihre Glossen, nunmehr in wöchentlicher Folge, ins Netz. Für alle, die doch lieber ein Buch in die Hand nehmen, hat sie zum 25-jährigen Jubiläum eine Auswahl von 45 der besten Glossen aus den Jahren 1999 bis 2007 veröffentlicht.
Luise Pusch will provozieren, will irritieren, will aufrütteln mit ihren ver-rückten, die Dinge zurechtrückenden Beispielen. Sie will, dass Frauen sprachlich gewürdigt werden und sprachlich sichtbar sind, dass nicht 99 Sängerinnen durch die Hinzufügung eines Mannes zu 100 Sängern gemacht werden können. Sie schreibt, dass wir zwar bei dem Satz »Die Deutschen sind tüchtige Hausfrauen« aufmerken würden, weil da ja die Hälfte der Deutschen fehle; dass aber niemand bei dem Satz »Die Deutschen sind tüchtige Soldaten« die weiblichen Deutschen vermisse, die (zum Glück!) nicht Soldaten sind. Und bei dem berühmten Spruch aus ApO-Zeiten: »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment«, vermutet sie, dass sicherlich keine Lesben gemeint waren, sondern dass die 68-Männer vielmehr Frauen als ihre Betthäschen betrachteten, nicht aber als Mitstreiterinnen der Bewegung anerkannten.
Das Themenspektrum der Glossen ist enorm breit und immer aktuell. Luise Pusch spießt auf, was ihr in den Medien, auf der Straße, in der Literatur, in Gesprächen auffällt. Da ist vieles, worauf auch sprachbewusste Feministinnen nicht kommen. Denn in unserer Männersprache, die auch wir Frauen zu sprechen gezwungen sind, ist das Übergehen und Übersehen von Frauen kein zufälliges, sondern ein systematisches, weitgehend unbewusstes Muster männlicher Dominanz gegenüber Frauen. Luise Pusch hat ganz offensichtlich eine Mordswut über die Gemeinheiten, die Frauen durch sprachliche Abwertung angetan werden. Doch daraus erwächst bei ihr auch ein Mordsspaß, den Spieß umzudrehen und zum Beispiel eine männliche Hebamme »Hebammerich« zu nennen, wenn Männer nicht bereit sind, weibliche Berufsbezeichnungen anzunehmen.
Doch die Texte sind keineswegs nur anklagend. Luise Pusch freut sich über positive Entwicklungen, so etwa, dass es auf der Kasseler Documenta 2007 so viele Werke von Künstlerinnen zu sehen gab. Sie findet, dass Angela Merkels Kanzlerinnenschaft unser frauenspezifisches politisches Bewusstsein »Merklich« verbessert hat, allein durch die Notwendigkeit, sie ständig als Kanzlerin tituliert zu hören. (M.K.: Allerdings heißt ihr Amt immer noch Kanzleramt!)
Sehr gut gefällt mir, wie Luise Pusch mit dem Thema Lesbisch-Sein – allgemein und mit ihrem eigenen – umgeht. In völliger Selbstverständlichkeit bezieht sie sich häufig auf Joey Horsley, ihre in den USA lebende Gefährtin und deren feministisch-linguistische Beobachtungen im englisch-amerikanischen Sprachraum. Sie ist damit für viele lesbisch lebende Frauen ein großes Vorbild.
Über die einzelnen Glossen zu schreiben, geht nicht. Aber die über Klaus Mann muss ich erwähnen: »Klaus Mann hatte das Privileg, in der Nähe eines Genies aufzuwachsen.« Da denkt jede natürlich an Thomas Mann, aber sie fährt fort: »Nicht, was Sie jetzt denken, ich meine seine Urgroßmutter Hedwig Dohm.« Danach folgt eine hinreißende Betrachtung darüber, weshalb Männer die berühmten Frauen in ihren Herkunftsfamilien vergessen!
Der irritierende Titel des Buchs stammt von der Glosse »Die Eier des Staatsoberhaupts«, in der es um eine US-amerikanische Gouverneurin geht, die zweieiige Zwillinge bekam und um die Reaktion der Öffentlichkeit. Wieder ein Beispiel für Luises F. Puschs Ver-Störung unserer Erwartungen. Allerdings hätte als Titel ihres Buches auch ein anderer gut gepasst, etwa »Die Bundesadlerin«, weil auf dem Buchdeckel ein solcher Vogel (das witzige Kunstwerk von Christine Kramer Panier) abgebildet ist. Denn Luise Pusch hat herausgefunden, dass bei Greifvögeln wie Adlern und Falken die weiblichen Tiere bis zu 50 % größer sind als die männlichen! Also ist unser Bundesadler eine stolze Sie, die als Männchen verkannt wird!
Und dann die Glosse über die Altersfeindlichkeit und wie wir alten Frauen uns dagegen wehren können: Alter kann und sollte nicht nur Verfall, sondern eine »Zeit der Vollendung sein, in der wir endlich rund und weise werden«. »Rund bin ich schon«, schreibt sie, »nun warte ich zuversichtlich auf die Weisheit ...« Aber, liebe Luise, du bist doch schon lange beides – rund und weise! Bitte, bleib uns so noch lange erhalten! (Veröff. mit freundlicher Genehmigung von Marianne Krüll).
Dr. Marianne Krüll, geb. 1936 in Berlin. Mutter von zwei Töchtern, Großmutter, Schriftstellerin, Soziologin. Ehemals Akademische Rätin am Seminar für Soziologie der Universität Bonn. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte z.Zt.: Familien-Biographien, Frauenforschung, Mütter-Töchter-Beziehungen. Engagierte Feministin und BücherFrau des Jahres 2007. Hier ist ihre Homepage:
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