Minarettabstimmung
Kommentar von Helke Sander
Statt in nahezu allen Kommentaren lesen zu müssen, dass die Schweizer Entscheidung ein Skandal sei, die Rechte auf dem Vormarsch, das Antidemokratische zur Kenntlichkeit entwickelt usw., würde ich gerne einmal analysiert haben, warum a) bei einer Volksabstimmung die Wahlbeteiligung so außerordentlich groß war und b) - wie von mir nicht nachzuprüfen, aber offenbar durch Fakten untermauert - so viele Frauen für das sogenannte Minarettverbot gestimmt haben. In den Kommentaren liest es sich so, als seien alle irregeleitet und auf dem Weg, Nazis zu werden. Gäbe es nicht noch andere Interpretationsmöglichkeiten?
Vielleicht haben ganz andere Überlegungen die Abstimmenden zu ihren Entscheidungen geführt. Überlegungen, die vielleicht mit dem Wort „dauerndes Unbehagen“ gekennzeichnet werden könnten.
Ich will mal ein eigenes Erlebnis dazu mitteilen, das mich immer noch umtreibt, weil ich nach wie vor nicht weiß, wie ich mich hätte verhalten sollen oder können. Und anders als in Situationen, in denen ein Nicht-Deutscher von einem Deutschen angegriffen wird, steht darüber dann am nächsten Tag nichts in der Zeitung: Ein fast leerer U-Bahnhof in Berlin. Die Treppe herunter geht ein vielleicht dreißigjähriger hübscher bärtiger Mann in einem weißen langen Gewand mit weißem Käppchen. Hinter ihm stolpert eine vollkommen in eine schwarze Burka gehüllte Frau, die nicht mal das traditionelle Gitter vor dem Gesicht hat, sondern vollkommen schwarz verhüllt ist. Sie kann offenbar gar nichts sehen. Von den Bewegungen her ist sie jung und schlank, vermutlich Anfang zwanzig und seine Frau. Der Mann steuert sie, indem er sie von außen fest am Unterarm gepackt, hinter sich herzieht. Sie muss ja auch noch Abstand zu ihm halten und sich möglichst nicht die Knochen brechen.
Darf das in Berlin sein? Ist EINE so behandelte Frau tragbar, HUNDERT aber nicht? Ist das mit unserem Grundgesetz vereinbar oder gehört das auch zur Glaubensfreiheit des Mannes? Würde ein solches Verhalten einem Mann gegenüber nicht Folter genannt? Ein immer wieder auftauchendes Argument in den Kommentaren zur Abstimmung lautet, dass die ca. 400.000 Moslems in der Schweiz gut integriert seien und das Abstimmungsergebnis schon deswegen absurd. Wenn man allerdings ein bisschen recherchiert, wird man feststellen, dass es auch in der Schweiz Ehrenmorde gab und Zwangsheiraten und dass die Schweiz immerhin schon Gerichtsurteile gefällt hat gegen die auch im übrigen Europa zunehmende Zahl von Klitorisbeschneidungen. Und den abstimmenden Frauen in der Schweiz dürfte auch nicht entgangen sein, dass in allen vom Islam geprägten Ländern Frauen entweder rechtlos sind oder jedenfalls sehr in ihren Rechten beschnitten. Insofern ist dieses Abstimmungsergebnis meiner Meinung nach ein solidarischer Akt mit unterdrückten und um ihre Freiheitsrechte kämpfenden Frauen aus islamisch geprägten Ländern, es ist aber auch eine Aufforderung, gründlich darüber nachzudenken, ob wir in Europa dabei sind, die mühsam erkämpften zivilen Errungenschaften möglicherweise leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Bestimmte Ängste sollen ausdiskutiert werden (Das hieße nebenbei gesagt: Geschlechterfragen in die Politik zu bringen).
Im gleichen Atemzug mit der Kritik am Abstimmungsverhalten wird auch darauf verwiesen, dass Gewerkschaften, Kirchen, alle möglichen Verbände und Parteien als Institutionen anders abgestimmt hätten. Ausnahmsweise haben nun die Repräsentierten, die ja diese Institutionen bilden, selber ihre Meinung ausdrücken dürfen und darauf hingewiesen, dass sich manche Fragen nicht schematisch abbügeln lassen. Es wird darauf verwiesen, dass bei einer möglichen Volksabstimmung in Deutschland der größte Teil gegen Atomkraft stimmen würde (da wäre die Bevölkerung „reif“ und „gut“) , vermutlich ebenso viele gegen die Europaverträge (da wären sich die Kommentatoren uneins) und in ebenso hoher Zahl gegen die sogenannten Minarette (da wären die gleichen schon als Rechte abgestempelt).
Zunehmend wird mit „Glaubensfreiheit“ argumentiert und ihrem Schutz durchs Grundgesetz. Man möge hier nicht vergessen, dass der Kampf gegen die Intoleranz der Kirchen Jahrhunderte gedauert hat und die Trennung von Staat und Kirche ein ungeheurer Schritt in die Zivilgesellschaft war. Dass überhaupt die Kirchen heute in Fragen der Moral so ausführlich zu Wort kommen dürfen, als schleppten nicht gerade sie Jahrhunderte währende Schreckenstaten mit sich herum, wäre in diesem Zusammenhang auch zu erörtern. Obwohl in deutschen Großstädten die Mehrzahl der Menschen sich als Nichtgläubige oder Konfessionslose definieren und im deutschen Osten auch die Landbevölkerung, wird in der Öffentlichkeit so getan, als seien die christlichen Kirchen Horte der Toleranz. Dass sie nun so sehr für die Moscheebauten eintreten, hat vermutlich auch noch andere als nur hehre Gründe. Wie man weiß, sind die Kirchen weitgehend leer, aber die Moscheen sind voll.
Die Moscheen oder moslemischen Betstuben, die es seit den Siebzigern in Deutschland gibt, waren anfangs auch nicht voll. Und es gab praktisch keine Kopftuch tragenden Frauen oder Mädchen. Es ist also schon eine Untersuchung wert, woher der plötzliche Einbruch von Frömmigkeit kommt, wie er finanziert wird und von wem er ausgeht. Dies alles nur mit einer Sehnsucht nach Transzendenz zu erklären, die plötzlich unsere hauptsächlich türkischen Mitbürger befallen haben soll, scheint doch ein wenig zu simpel. Aber genau darauf berufen sich alle, die jetzt nach der „Freiheit der Religionsausübung“ schreien. Und dieser einfachen Lösung haben die SchweizerInnen gerade einen Riegel vorzuschieben versucht.
Helke Sander © Dezember 09
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
13 Kommentare
Nächster Eintrag: Hurra, wir kriegen eine Moschee… – ob wir wollen oder nicht
Vorheriger Eintrag: Die Unterschriftenliste für Polanski
04.01.2010 um 23:11 Uhr halina bendkowski
Was wäre Feminismus ohne Pseudo? Kommentar zum Kommentar von Ursula Müller zu Helke Sander
Wieviel weiß Ursula Müller, wogegen Feministinnen protestiert haben? Nicht viel. Wie ihrem Kommentar zu entnehmen ist, unterstellt sie Feministinnen, sie hätten kein eindeutiges Verhältnis bezüglich ihrer Kritik und wären insgeheim eurozentristisch?
Man kann natürlich nicht für alle sprechen. Was aber ihr Verweis auf den Eurozentrismus bedeutet, bleibt unklar. Dieser Vorwurf ist so allgemein und unverbindlich wie in der Praxis antifeministisch. Zurecht kritisiert sie den Kulturrelativismus bei Gerichtsurteilen, die den kulturellen Hintergrund bei Gewalttaten bis in die 90er als strafmildernd behandelt hatten. Die Aufkündigung der herrschenden patriarchalischen Allianz wurde von Feministinnen zwei Jahrzehnte lang mit großem Einsatz verfolgt, und zwar immer verfolgt von dem Vorwurf des Eurozentrismus.
Es ist mittlerweile bekannt, daß diejenigen Frauen, die in der Schweiz für das Minarettverbot gestimmt haben, dieses gar nicht meinten. Und sie haben nicht dafür gestimmt, weil sie nicht durchblicken, sondern weil sie ein Stopzeichen gegen die Folgen des Religionszwanges für Frauen setzen wollten.
Und das ist nun ein Thema, das feministisch sich nicht von alleine und tolerant gegenüber den herrschenden Religionen von alleine erledigt, wie wir aus Erfahrung wissen. Pseudo ist so zu tun als ob das im Falle des Islams so sei. Mitnichten, wie man an der Einschüchterung von muslimischen IslamkritikerInnen weiß. Dieses nicht wahrnehmen zu wollen, ist das feministisch?
Ich bin gegen Volksentscheide, weil sie alles in die Macht derjenigen legen, die Schwieriges mit Ja oder Nein beantwortet haben wollen.
Das bedeutet nicht, daß die Wahrheit in der Mitte ruht.
freundlichst .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Email-Adresse zu sehen)
agentin für feminismus & geschlechterdemokratie
28.12.2009 um 21:09 Uhr Anne
Von einer “freiheit” der Religion/ausübung kann eigentlich doch nur gesprochen werden, wenn auch musliminnen sich gegen den islam als religion oder (wenn überhaupt) für eine andere religion entscheiden könnten?
Die freie religionswahl gilt für die westliche welt als menschenrecht - der übertritt z.b. zum christentum dagegen als recht gefährlich.
Saida Keller-Messahli, präsidentin des forums für einen fortschrittlichen islam, weist darauf hin, dass für extremisten demokratische gesetze wenig zählen. “Im islam ist die apostasie strikt verboten; sie ist die grösste blasphemie, sagt die liberal denkende muslimin. Deshalb seien konversionen selten. Für die mehrheit sei es unvorstellbar, sich vom islam abzuwenden. Wer es trotzdem wage, der müsse sich auch in europa vor übergriffen in acht nehmen”. Es besteht auch die gefahr, von der muslimischen gemeinde oder der eigenen familie bedroht zu werden.
Wie kann mann hier überhaupt von “freiheit” sprechen? und was ist das für ein beherrschendes religiöses system, das von frauenfeindlichkeit bestimmt wird und auch apostaten bedroht?
@ Duerr
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je ein klerikaler beider religionen z.b. bei den vielen sog. ehrenmorden/schwestermorden zu protesten aufgerufen hat - geschweige denn, dass muslimische männer gegen diese verbrechen an frauen und gegen weitere verbrechen islamischer extremisten - die im `namen` des islam geschehen - öffentlich demonstriert haben .
Gehört die forderung nach freier religionswahl nicht mit zum thema “minarettverbot” ? Solange es keine trennung zwischen religion, staat und rechtssystem gibt und solange für frauen keine möglichkeit der abkehr von einer patriarchalen religion besteht, empfinde ich die patriarchale machtSymbolik der minarette als eine menschenrechtsverletzung.
Zu den weiteren architektonischen machtsymbolen für materielle überlegenheit, dominanz, herrschaft, menschenfeindlichkeit gehören neben weiteren religiösen phallussymbolen (kirchtürme) auch `banken` ...
28.12.2009 um 14:46 Uhr Duerr
@Ursula Müller: Ich bin mit fast allem einverstanden, was Sie sagen - von der Sache her. Dass Sie aber H. Sander angreifen: Nein! Differenzierte Analyse kann ein solcher Artikel nicht leisten, soll er auch nicht, sonst wird’s ein Buch, das am Bildschirm niemand liest. Und es darf doch wohl alldahier soviel Abstraktionsvermögen vorausgesetzt werden, dass bewusst mitgedacht wird, dass “nicht alle Muslime so sind, dass es auch andere gibt”. (grr, wieder einmal…!)
Ich wiederhole mich: Die Empörung der Christen ist heuchlerisch! Noch heute sind Frauen im Christentum offiziell Menschen zweiter Klasse - Grundgesetze und Verfassungen hin oder her. Und nicht nur bei den Christen, in der Gesamtgesellschaft!
In der Schweiz wird jede Woche eine Frau von ihrem Mann ermordet, weil sie ihn verlassen will oder sonst nich spurt. (seit Jahren 60 Frauen/Jahr) Familiendrama nennt mann das - es steht aber das exakt gleiche Prinzip dahinter wie bei den Ehrenmorden! Wir haben 10 % offiziell Arme. 90 % davon sind Frauen und Kinder. Gleichstellung? Lächerlich. Das ist “Gott-gegeben” und die Strafe dafür, dass diese Frauen ihren Männern nicht zur Verfügung stehen wollen. Christlichen Männern! Die Unterschiede sind minim und äusserlich. Die Moslems könnten uns nur wenig an Emanzipation wegnehmen.
Es nützt nämlich verdammt wenig, wenn Menschenrechte, Gleichstellung und -berechtigung auf dem Papier stehen, dies aber weder in Gerichten, noch in Aemtern, der Politik, den Universitäten und Schulen, noch in der Arbeitswelt und im Privaten GELTUNG hat und DURCHGESETZT, GELEBT wird! Ganz anders als die Bibel, die die Frau offen und brutal diffamiert, schreibt der Koran all das was H.S. und Müller (zu Recht) kritisieren NICHT vor! Und wieder spielen solche Haarspalterei-Fairness-Ja-aber-Diskussionen den Männern in die Hände, weil sie sich nicht mit dem grundlegenden Problem beschäftigen, nämlich der Abwertung der Frauen. Sie verzetteln unsere Kräfte, anstatt sie zu bündeln. Man könnte damit anfangen, bedingungslose Solidarität unter Frauen zu verlangen/propagieren, sei dies im Geschäftsleben, im privaten Bereich oder in der Politik. Warum wählen Frauen eigentlich immer noch Männer?! Warum kaufen Frauen nicht bewusst und gezielt vor allem bei Frauen? Das hülfe auch den Musliminnen - nämlich als Vorbild. Auch hier sind kaum Unterschiede auszumachen: Die Frauen sind in ihrer Vereinzelung allesamt in der gleichen hoffnungslosen Lage: Jede isoliert mit ihren Kindern, aufgehetzt gegen jede andere Frau (Konkurrenzangst), ökonomisch abhängig gemacht von Männern werden wir gegeneinander ausgespielt. Nicht die Minarette sind das Problem, sondern die gesamten gesellschaftlichen Strukturen, die Gehirnwäsche (Erziehung) der wir unterzogen werden und die religiös verbrämt - hier wie da - noch immer voll durchschlägt - UND wir Frauen, die wir einfach nicht merken wollen, denn Männer - ach es sind ja nicht alle soooo - ob christlich oder muslimisch - wollen Frauen, die zudienen, sexuell verfügbar sind, die Klappe halten und dankbar sind, dass sie am Leben gelassen werden. Frauen, die noch Kirchensteuer bezahlen, arbeiten exakt jenen in die Hände, die nichts verändern wollen - hier wie da!
Ja, Frau Müller, dies ist keine differenziert ausgewogene Antwort. Sie soll und will es auch nicht sein. Sie soll das zugrundeliegende Problem zeigen, nämlich die patriarchale Abwertung der Frau als Lebensspenderin und -erhalterin, als diejenige, die das Leben erst ermöglicht, 75 % der Arbeit erledigt und dafür 10 % der Löhne kassiert! Differenziert diskutieren will ich gerne, wenn es dann nur noch um Details geht, wenn die Lebensberechtigung für Frauen auch in den Köpfen und Herzen der mächtigen Klerikalen BEIDER Seiten verankert ist und wenn Päpste und Mullahs endlich klar und deutlich FÜR die Frauen Stellung nehmen, weil es dann keine Rolle mehr spielt, ob die Minarette ein Kreuz, einen Gockel oder einen Halbmond tragen!
Duerr
27.12.2009 um 18:42 Uhr Helke Sander
Besten Dank für die diversen Kommentare zu meinem Minarett-Kommentar.
Auf den Beitrag von Frau Müller möchte ich allerdings eingehen, weil er meiner Meinung nach genau das tut, wogegen sich offenbar die Ja-Stimmenden erhoben haben. (Tatsächlich sind meine Argumente Vermutungen von mir, wie ich schon geschrieben habe, und ich habe nicht behauptet, genau zu wissen, wie viele Verbrechen tatsächlich in der Schweiz geschehen sind, sondern nur, dass es auch dort Zwangsheiraten usw. gibt, wie leicht herauszufinden ist.). Ich habe in meinem Beitrag behauptet, dass es den Ja-Stimmenden gar nicht um die Minarette ging, sondern dass sie diese Abstimmung zum Anlass nahmen, nachdrücklich auf ein Problem hinzuweisen, das anders offenbar nicht ernst genommen wird.
Bei dem Problem handelt es sich darum, dass die inzwischen erreichten Standards und Gleichberechtigungsparagraphen für viele Frauen, besonders aber für türkische Migrantinnen, die im Einzugsbereich dieser Gesetze leben, nicht gelten. Das ist erstmal jenseits von irgendeiner Schuldzuweisung zu analysieren.
Die patriarchal strukturierten, meist dörflichen Zuwanderer befinden sich in den neuen Gesellschaften in Umbruchssituationen, die für alle Beteiligten schwer zu handhaben sind. Die Mädchen besonders sind zwei Kulturkreisen ausgesetzt, die vollkommen unterschiedlich funktionieren. Von ihren Eltern erzogen werden sie aber weitgehend nach den strengen und für Frauen geltenden Normen ihres dörflichen (!) Heimatlandes (möglicherweise auch aus Angst vor unbekannten Bedrohungen). Darum ist die ganze Kopftuchdebatte eben nicht nur als Frage der Religionsfreiheit abzuhandeln, sondern auch als Kampf von Männern, für sich selbst eine alte Sicherheit und einen Platz in der Gesellschaft zu behaupten, indem sie immer noch über Frauen verfügen können, was eben auch über Kleidervorschriften abgehandelt wird.
Die Migrantinnen-Mädchen sind weit entfernt davon, die gleichen Rechte zu genießen wie ihre einheimischen Altersgenossinnen. Und das nicht erst, wenn sie verheiratet werden, sondern von klein auf. Da es sich nicht um einzelne handelt, sondern um sehr viele, die oft nicht einmal erfahren können, welche Wege ihnen offen stehen, um sich aus der Enge (die natürlich auch Schutz gewährt, ich weiß, ich weiß) zu befreien, wächst da ein massives gesellschaftliches Problem heran.
Ich bin überzeugt, dass es den meisten Einheimischen egal wäre, was sich die einzelnen Frauen um den Kopf wickeln oder auf ihn setzen, wenn sie davon überzeugt wären, dass dies ein freiwilliger Akt wäre, der in Kenntnis aller damit zusammenhängenden Aspekte beschlossen wurde. Da viele Feministinnen aber wissen, dass die Iranerinnen z.B. 1979 zu Abertausenden auf die Strasse gingen, um sich gegen den Schleier zu wehren und sehr viele hingerichtet wurden, weil sie sich weigerten, ihn zu tragen, sind ihre Sorgen berechtigt. Dabei kommt es natürlich immer wieder zu Situationen, die endlos in Witzen geschildert werden: Jemand versucht, die Frau vor einem sie schlagenden Ehemann zu schützen, worauf sie sich sofort mit dem Ehemann solidarisiert und auf den Retter losgeht.
In dieser undankbaren Rolle befinden sich häufig diejenigen, die darauf zeigen, dass es hier ein Problem gibt.
Denn wenn wir schon dauernd über die grundgesetzlich garantierte Glaubensfreiheit reden, sollten wir nicht vergessen, dass vor dem Grundgesetz Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Es scheint, als gebe es hier nun einen Konflikt zwischen zwei Grundrechten. Das muss ausdiskutiert und nicht weiter verharmlost oder überhaupt negiert werden.
Was es allerdings immer noch nicht gibt, und das ist wirklich verwerflich: ein türkisch untertiteltes deutsches Fernsehprogramm und für die vielen Analphabetinnen bei den türkischen Frauen ein aufklärerisches und sie über ihre Rechte unterrichtendes Frauenprogramm.
Helke Sander
27.12.09
20.12.2009 um 19:32 Uhr Ursula Müller
Mit ihrem Text liegt Helke Sander schief, mehr noch: er ist höchst bedenklich und gefährlich, denn sie bietet eine Vermischung von Dingen an, die zu einer harten Masse zusammen backen, die nur mit dem Messer eines scharfen Verstandes auseinander zu nehmen sind. Das will ich versuchen.
Die Autorin, die ich immer sehr geschätzt habe, beginnt zunächst mit ihrem Wunsch nach detaillierterer Analyse des Schweizer Wahlverhaltens zum Minarettbauverbot und fragt – scheinbar harmlos und neutral - , ob es nicht auch andere Interpretationsmöglichkeiten gebe. Wie diese wohl eher rhetorisch gemeinte Frage schon vermuten lässt, bietet sie uns solche dann an.
Dabei geht sie nach einem verbreiteten Muster vor, indem sie zunächst ein persönliches Erlebnis schildert, das so schlimm ist, dass man/frau sich über diesen Fall von Frauenunterdrückung einfach empören muss. Nun wäre es angesichts dieser Begebenheit eigentlich folgerichtig, wenn H. S. auf das vom französischen Staatspräsidenten Sarkozy geforderte Burkaverbot zu sprechen käme, sie lenkt die Lesenden jedoch von Berlin wieder in die Schweiz.
Was hat - diese Frage drängt sich auf - die völlig schwarz verhüllte Frau in Berlin mit dem Neubauverbot von Minaretten in der Schweiz zu tun? Eigentlich überhaupt nichts und doch sehr viel, hatten doch die BefürworterInnen des Verbots mit einer in eine schwarze Burka gehüllte Frau vor einer Menge von Minaretten, die aus der Schweizer Flagge ragen, für ihr Anliegen geworben. Sie sehen also zwischen beidem, der Burka und den Minaretten, durchaus einen Zusammenhang und wollen – so wie H. S. auch – diesen den Betrachtenden vermitteln. Und die Botschaft ist offensichtlich angekommen. Zumindest bei den Frauen, die dafür gestimmt haben, denn von ihnen wurde berichtet, sie hätten die Frauenfeindlichkeit des Islam gefürchtet. Wehret den Anfängen! wird durch das Bild suggeriert, erst wollen sie die Schweiz mit hohen schlanken Türmen zupflastern und morgen stecken sie alle ihre Frauen in Burkas. Wie es danach weitergehen könnte, legt uns H. S. nahe, indem sie Ehrenmorde, Zwangsheiraten und Klitorisbeschneidungen erwähnt. Früher gab es den Spruch: „Wer lügt, der stiehlt und frisst auch kleine Kinder.“ Der Unterschied zwischen diesem Spruch und der von H. S. aufgebauten Assoziationskette besteht jedoch darin, dass der Spruch nicht ernst gemeint war, mehr noch, er wollte sogar ganz bewusst auf ein Vorurteilsmuster aufmerksam machen.
Aber das war nun gewiss nicht H. S.s Absicht. Vielmehr wollte sie auf die mangelhafte bis fehlende Integration von Muslimen in der Schweiz hinweisen. Ein gängiges Argument. Da wäre es für mich nun interessant gewesen, zu erfahren, was ihre Recherche ergeben hat: Wie viele Ehrenmorde, Zwangsheiraten und Klitorisbeschneidungen waren in welchem Zeitraum bekannt geworden? Wie sind die Gerichte damit umgegangen? Welche Präventivmaßnahmen hat die Schweiz ergriffen und wie effektiv waren diese bisher? Und vor allem: Wie hat die muslimische Gemeinde darauf reagiert? Mir liegt daran, dass ein Staat deutlich macht, dass es sich bei den genannten Delikten um Verbrechen handelt, die geahndet werden müssen, denn ich glaube nicht, dass künftig minarettlose Moscheen denjenigen in der Schweiz lebenden Menschen, die Ehrenmorde, Zwangsheiraten und Klitorisbeschneidungen als Allah wohlgefällig ansehen, signalisieren werden, dass dies intolerabel ist.
Auch liegt mir sehr daran zu erfahren, ob die muslimische Gemeinde in der Schweiz (wie etwa die in Deutschland und der Türkei) klar Position bezieht und solches Verhalten nicht nur als nicht vom Islam verlangt, sondern sogar als strafwürdig ansieht.
Ich stimme H. S. auch nicht zu, dass Frauen in vom Islam geprägten Ländern in ihren Rechten stark eingeschränkt seien. Richtig ist vielmehr, dass sich eine bestimmte frauenfeindliche Interpretation des Islam in manchen Ländern in den letzten Jahren und Jahrzehnten z. T. mit Gewalt durchgesetzt hat. So hatten Frauen in Afghanistan vor der Taliban-Zeit deutlich mehr Rechte als jetzt, ebenso die Frauen im vorrevolutionären Iran (wie etwa der Film „Persepolis“ sehr gut vermittelt hat). Trotzdem war die Bevölkerung solcher Länder in der Vergangenheit mehrheitlich nicht weniger muslimisch als heute, wo repressive Maßnahmen gegen Frauen umgesetzt werden. Erst extrem frauenfeindliche, patriarchale Machthaber haben sich der Religion bedient, um ihre Politik durchzusetzen.
Trotzdem gibt es in manchen dieser Länder Frauenbewegungen oder unter Exilantinnen Feministinnen und Organisationen, die für Frauenrechte kämpfen. Mit ihnen solidarisch zu sein, sie in ihrem Kampf zu unterstützen, halte ich für sehr wichtig. Sie nicht zu fragen, wie wir unsere Solidarität ausdrücken, womit wir sie unterstützen können, dagegen halte ich für eurozentristisch, um nicht zu sagen hochmütig und arrogant. Vielleicht haben dies Kämpferinnen ja andere Wünsche an uns als die Durchsetzung eines Minarettverbots. (Hier schließe ich mich auch nicht dem Sprachgebrauch von H. S. an, die von „sogenannten Minaretten“ spricht. Das ist eine Form von Polemik, die ich ablehne.)
Wie H. S. möchte auch ich gerne wissen, ob wir „mühsam erkämpfte zivile Errungenschaften in Europa nun leichtfertig auf’s Spiel setzen“. Dazu brauche ich aber von ihr noch die Information, um welche Errungenschaften es sich hier handelt. Die Trennung von Staat und Kirche kann es ja wohl nicht sein, denn die wird in Europa mehr oder weniger praktiziert; bei uns in Deutschland existiert sie nur teilweise. So werden soziale Einrichtungen der katholischen Kirche mit staatlichen Mitteln unterstützt, obwohl Frauen in der katholischen Kirche keinen gleichberechtigten Zugang zu allen Ämtern haben. Auch werden orthodoxe jüdische Gemeinden staatlich gefördert, obwohl orthodoxe Juden täglich Gott dafür danken, dass sie nicht als Frau geboren wurden (so haben es mir US-amerikanische Jüdinnen in den 70er Jahren empört berichtet). Man/frau stelle sich den Eklat vor, wenn solche Gebete von Muslimen ruchbar würden. Welche Errungenschaften meint H. S. nun? Die Antwort erschließt sich aus dem Text nicht.
Denn H. S. bedient sich immer wieder der „Technik“ der vagen Andeutungen, z. B. über nicht-hehre Gründe, warum Kirchen sich gegen das Verbot von neuen Minaretten (nicht wie H. S. schreibt gegen Moscheebauten – Wunschdenken?) aussprechen, oder wenn H. S. andere Erklärungen für den „plötzlichen Einbruch von Frömmigkeit bei unseren hauptsächlich türkischen Mitbürgern“ andeutet. Tatsächlich ist letzteres Phänomen durchaus schon von WissenschaftlerInnen thematisiert worden, allerdings oft nicht auf Frauenfeindlichkeit oder den Islam allein bezogen, sondern in einem breiteren Kontext, der den Blick u. a. auch auf christlichen Fundamentalismus (etwa die christlich begründete Verfolgung von Lesben und Schwulen in Polen und Russland) oder den in den USA zunehmenden Kreationismus richtet, die buchstabengetreue Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte und die Ablehnung der Evolutionstheorie. Sich lediglich auf den Islam zu beziehen, wäre wirklich einfach, zu einfach, um gesellschaftlichen Veränderungen auf die Spur zu kommen.
Für gefährlich halte ich H. S.s Vorgehensweise deshalb, weil sie mit emotional besetzten Stichworten Stimmungen erzeugt, Meinungen in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken versucht, dabei mit unbestimmten Andeutungen arbeitet, Teilwahrheiten zusammenträgt und es an Genauigkeit und Differenziertheit fehlen lässt. Statt eines solch populistischen Vorgehens, das kritisches Denken nicht fördert, wünsche ich mir korrekte umfassende Informationen, Berichte frei von Polemik, einen öffentlichen Dialog zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Feministinnen, Unterstützung von muslimischen Frauen, die gegen islamisch begründete Frauenfeindlichkeit vorgehen, auch dann, wenn sich diese Frauen mit ihren Gleichberechtigungsforderungen ihrerseits auf den Islam und Koran beziehen. Es sollte aber eine Unterstützung sein, die diese auch selbst wollen. Vor allem aber wünsche ich mir, dass alle Feministinnen gegen Frauenfeindlichkeit in jeder Form und von jedem Schweregrad eintreten (und nicht gegen den Neubau von Minaretten), egal, von wem sie begangen werden, nicht nur von einzelnen Muslimen. Für Frauenfeindlichkeit und -diskriminierung in Deutschland ließe sich eine lange Liste aufstellen, angefangen von der geringen, undifferenzierten Behandlung der Frauenbewegungen und ihrer Ziele im Schulunterricht bis hin zur hohen Lohndiskrepanz zwischen Frauen und Männern.
Manchmal werde ich den Verdacht nicht so, dass die Beschäftigung mit der angeblichen Frauenfeindlichkeit des Islam in seiner Gesamtheit, aufgezeigt an kritik- und strafwürdigem Verhalten einzelner Personen oder Gruppierungen dazu benutzt wird, um Frauen zu beruhigen, ihnen zu signalisieren, dass ihre Anliegen Gehör finden, der Bevölkerung zu ermöglichen, sich von den rückständigen bis verabscheuungswürdigen Muslimen zu distanzieren, und abzulenken von all dem, was hier bei uns an Frauenfeindlichem noch bekämpft werden muss. Das sollten Feministinnen auf gar keinen Fall mitmachen und auch nicht mit sich machen lassen.
16.12.2009 um 18:54 Uhr Friederike
Keine Frage, es gibt eine Menge Dinge, die im Zusammenhang mit einigen Auswüchsen in der moslemischen Gesellschaft und im Zusammenhang mit Islamismus diskutiert werden könnten - und müßten. Nur haben Minarette eben nicht zwingend etwas mit Islamismus zu tun. Minarette stehen auch neben Moscheen völlig gemäßigter Gemeinden, und Minarette stehen auch neben Moscheen, in die Frauen gehen, die sonst kein Kopftuch und keinen Schleier tragen und die nicht von ihren Männern unterdrückt werden (soll es geben). Es ist die Gleichsetzung zwischen Minaretten und allem Üblem, das mit dem Islam begründet wird, die mich an der schweizer Volksabstimmung so ärgert.
Und es komme keiner auf die Idee, die christliche Kirche, die katholische oder fundamentalistische evangelische Gruppen zumal, sei so viel toleranter wie der fundamentalistische Islam.
Und Dank an Duerr für ihren/seinen Kommentar.
15.12.2009 um 20:59 Uhr sabine
hoffentlich schicken auch alle anderen den großartigen sander-artikel an so viele menschen und menschengruppen wie möglich! als ich bei den Grünen fragte, warum es eine christliche AG gäbe, war die künast’sche antwort unmutig/gelangweilt und knapp: “Meinungsfreiheit”. In seinem buch MANIFEST DES EVOLUTIONÄREN HUMANISMUS (Alibri Verlag)nennt der autor Dr. Schmidt-Salomon gott ein “imaginäres alphamännchen”. die uninformierten realo-alphamännchen Grass und Ströbele (nur zum beispiel)fordern muslim. feiertage/moscheen etc.
war da eigentlich ein aufschrei der Grünen Frauen (z.Bsp.)??
12.12.2009 um 21:37 Uhr Anne
Absolute zustimmung zu den ausführungen von Helke Sander. Danke!
Ich bedauere, dass die öffentliche diskussion bisher wenig ansätze gezeigt hat und gerade DIE andere interpretationsmöglichkeit zu wenig in den vordergrund stellt.
“Der koran, der für die moslems als gesetzesquelle gilt, schreibt frauenfeindliche und frauen verachtende regeln vor, z.b. verhüllung des ganzen körpers, ausser hände und gesicht, zwangsheirat, ehrenmord, züchtigung durch den ehemann bei ungehorsam. Moscheen sind männerhäuser, minarette sind männliche machtsymbole. Mit dem bau von minaretten wird gleichzeitig ein sichtbares zeichen für die staatliche akzeptanz der unterdrückung der frau gesetzt. Das muss unter allen umständen vermieden werden. (Julia Onken, schweiz. feministin, initiatorin)
Es sollte nicht unbeachtet bleiben, wie viele islamkritikerinnen und frauenrechtlerinnen aufgrund ihres mutigen einsatzes für die rechte der frauen i.d. islam. welt opfer von morddrohungen, repressalien, züchtigungen und mordanschlägen werden.
Erst kürzlich wurde wieder gegen eine bekannte streitbare buchautorin, die vehement für die rechte der muslim. frauen kämpft, eine morddrohung ausgesprochen - nach herausgabe ihres neuen buches ....
Das dauernde unbehagen ist gross - gab es nicht 1998 ein polit. öffentl. vorgetragenes gedicht des türkischen dichters Ziya Gökalp, das von dem damaligen bürgermeister von istanbul, Erdogan, zustimmend zitiert wurde: “Die moscheen sind unsere kasernen, die minarette unsere bajonette, die kuppeln unsere helme und die gläubigen unsere soldaten.”
Wozu brauchen wir bajonette - minarette und kirchtürme als phallische machtsymbole…? Sind patriarchale religionen nicht genug geprägt von frauenfeindlichkeit - einem frauenbild der zweitrangigkeit, der minderwertigkeit und der unfreiheit der frau?