Washington entmannt das Englische
Der Titel meiner Glosse ist irreführend, aber nur aus didaktischen Gründen. Unter „Washington“ verstehen die meisten von uns die Hauptstadt der USA, den Regierungssitz - oder gleich die Regierung. Wir lesen/verstehen also den Titel vermutlich etwa so: „Die Obama-Administration gendert die englische Sprache“. So weit sind wir leider noch nicht.
Das Wort „Washington“ ist mehrdeutig. Mit „Washington“ ist hier „nur“ der Bundesstaat Washington im äußersten Nordwesten der USA gemeint. Washington State beschloss soeben eine Radikalkur für alle seine Gesetze: Sie sind strikt geschlechtsneutral zu formulieren. Mehr dazu hier.
Auch das Wort „chairman“ ist mehrdeutig. Es hat eine Hauptbedeutung, nämlich „männlicher Vorsitzender“, und eine künstlich erzeugte und am Leben erhaltene Nebenbedeutung, nämlich „Person, die den Vorsitz führt“. Ähnlich wie „chairman“ sind viele englische Personenbezeichnungen gebaut. Deren Hauptbedeutung sollte es nun an den Kragen gehen, sie wurde nicht mehr geduldet. Das „man“ wurde getilgt, und so wurde aus dem lange als „geschlechtsneutral“ verkauften „chairman“ schlicht: „chair“ und aus „ombudsman“ schlicht „ombud“.
Insgesamt mussten rund 3000 Änderungen vorgenommen werden, um die Gesetze in eine geschlechtsneutrale Form zu bringen. Es brauchten nur relativ wenige Wörter geändert zu werden (bekanntlich ist das Englische schon per se beneidenswert geschlechtsneutral), dies dafür aber immer wieder, für jedes Vorkommen. So wurde „ombudsman“ sicher fast hundert Mal zu „ombud“ verkürzt, aus "freshman" wurde rund dreißig Mal „first year student“, undsofort.
Ich habe mir die Mühe - und das Vergnügen - gemacht, die rund 500 Seiten der zur Geschlechtsneutralität korrigierten Gesetze durchzusehen. Wenn Sie sich auch dafür interessieren, können Sie sich das Konvolut als PDF-Datei hier ansehen. Hier die Liste der entsorgten man-Wörter mit ihren Ersetzungen:
brakeman > brake operator chairman > chair chairmanship > position of chair dairyman > dairy farmer draughtsmen > drafters fireman > fire tender, fire fighter fisherman > fisher flagman > flagger freshman > first year student gripman > grip operator journeyman > journey level electrician longshoremen > longshore workers man's past > humankind's past materialman > material supplier motorman > motor operator nurseryman > nursery dealer ombudsman > ombud patrol man > patroller penmanship > handwriting policemen > police ranchman > rancher sportsmanlike conduct > sporting conduct sportsmen > sports enthusiasts
Und hier die 3 Fälle, wo „man“ nicht ersetzt oder gestrichen, sondern stattdessen die Doppelform gewählt wurde:
horsemen > horsemen or horsewomen seaman > seaman or seawoman servicemen > servicemen or servicewomen
Die Pronomina he, his und him wurden durchweg durch he or she, his or her und him or her ersetzt. Das „Splitting“, wie ich es vor über 30 Jahren genannt habe, machte sicher etwa die Hälfte der 3000 Korrekturen aus. Ich zeige Ihnen, wie methodisch, ja geradezu unerbittlich der Staat dabei vorging:
„Sprachliche Eleganz“ war offenbar kein Thema. Geschlechtsneutralität war/ist das höhere Gut; ihm hat die „Eleganz“ sich unterzuordnen. Wer wird auch von juristischer Sprache unbedingt Eleganz erwarten?!
Und was können wir für unsere deutsche Männersprache daraus lernen? Bei uns reicht es nicht, aus einem „Müllmann“ beispielsweise einen „Müllentsorger“ zu machen, denn der ist immer noch maskulin. Also Splitting? „Müllmänner und -frauen“? Wird das nicht auf die Dauer zu lästig, wie unsere Männer immer sagen? Ja!
Es ist zu lästig, die Männer immer mitzuerwähnen. Deshalb haben wir zur Therapierung des Deutschen schon vor bald 30 Jahren das umfassende Femininum vorgeschlagen: Aus "Müllmännern" oder "Geschäftsführern" werden "Müllfrauen" bzw. "Geschäftsführerinnen", wobei die Männer natürlich immer herzlich mitgemeint sind. Diese Lösung des Problems könnte, wenn wir das Rotationsprinzip anwenden, einige hundert Jahre gelten.
Da aber unsere Männer die Feminisierung partout nicht aushalten können, weshalb wir Frauen weiterhin die Maskulinisierung erdulden sollen - wird es irgendwann zu einer grundsätzlichen Änderung der deutschen Grammatik für diesen Problembereich kommen müssen. Mein Vorschlag, auch dies seit Jahrzehnten: Abschaffung des -in und zusätzlich einige flankierende Maßnahmen, deren Erörterung hier zu weit führen würde: Es heißt „die Freund“ und „der Freund“, genau wie „die Angestellte“ und „der Angestellte“. Dann brauchen wir auch nicht mehr „freundinlich“ und „Freundinnenschaft“ zu sagen. Um es feministisch-linguistisch auszudrücken: Auch Frauen haben ein Recht auf die Wortstämme! Wir müssen die Stämme besetzen, für uns reklamieren. ----------------- Dank an Alison Brown für den Hinweis auf die vorbildlichen Sprach-Fortschritte im Bundesstaat Washington. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
8 Kommentare
Nächster Eintrag: Die Epigone oder: Frauen in der Kunst
Vorheriger Eintrag: Männer sind wie Schnellkochtöpfe
18.05.2013 um 12:58 Uhr anne
begriffe wie müllfrauen oder müllmänner sind völlig überholt - die berufssparte heisst `müllwerkerin und müllwerker`. während die arbeit der müllwerker relativ gut bezahlt wird, machen die vielen müllwerkerinnen in dem weniger gut bezahlten job am müllsortierband die weitaus schmutzigere - weniger duftende - arbeit, die niemand gerne machen möchte - waren/sind frauen es nicht gewohnt, den `dreck` anderer - z.b. der ehe-/männer - wegzuräumen? auch mädchen machen müllabfuhr (stadtreinigung), so erlebt beim girl`s day ..
17.05.2013 um 22:34 Uhr Dürr
Es gibt sie: Hier bei mir sind regelmässig auch Frauen am Müllwagen!
Das Märchen vom superschweren Job ist längst überhohlt, weil 90% Container sind, welche von d.Maschine gehoben u.geleert werden, diese ansonsten auf Rollen zu bewegen sind. Die Säcke wiegen nicht über 10 kg…
lg
Dürr
17.05.2013 um 18:42 Uhr Andrea Kunze
Ich würde ja gerne von den Müllfrauen sprechen, wenn es denn welche gäbe. Nun gut, es mag sie geben, ich habe allerdings noch nie eine gesehen! Ich wünsche Ihnen trotzdem viel Erfolg mit Ihrem Projekt der “gerächten Sprache”.
09.05.2013 um 19:41 Uhr Boris Schneider
Sehr gut, dass sie damit angefangen haben. So kann man die Wandlung einer Sprache live mitverfolgen. Wir sind Zeugen aktiver Geschichte und wenn sie aus gutem Grund stattfindet, ist es gar noch besser.
07.05.2013 um 19:29 Uhr Mazza
Für die Wertschätzung der Frau im Job, im Alltag etc. kämpfen Feministinnen seit Jahrzehnten und weitaus länger und haben aufgrund ihres starken Engagements schon etliche Erfolge erzielt. Gleiches Recht auf Wertschätzung gilt auch für unsere Mutter-Sprache, die eine Männersprache ist. Manchmal merkwürdig , da wird Gleichberechtigung gefordert, aber wenn es um gerechte Sprache geht, verliert sich das Engagement in unsinnigen Ausreden, weil zu un/bequem? Diskriminierung fängt bei der Sprache an, und es ist nicht nachvollziehbar, dass wir Frauen gerade dort die Ungleichheit weiter betreiben sollten. Auch die feministische Sprachkritik befindet sich im Ranking ganz oben.
” Viele von uns leiden an den vielfältigen unsolidarischen Umgangsformen, die in Frauenzusammenhängen immer wieder zum Ausdruck kommen. Es handelt sich dabei um letztlich zerstörerische Tendenzen wie Neid, Missgunst, Dominanzverhalten, gegenseitige Abwertung, Passivität, Unverbindlichkeit und Schlamperei einiger Frauen, die die Arbeit aller gefährden. Diese Formen des Umgangs sind zum einen eine Folge der Tatsache, dass wir frauenorientiertes Verhalten nicht von klein auf gelernt haben und resultieren zum anderen daraus, dass wir aus der symbolischen Ordnung der Welt ausgeschlossen sind. Sprache, Kultur, Religion, verwendete Symbolik, kurz: alle geistigen und psycho-sozialen Ausdrucksformen sind männlich-patriarchal geprägt und das heißt: auf männliche Bedürfnisse hin zugeschnitten. So hatte unser Denken und Handeln nie einen eigenständigen Wert und wir lernten, es als bedeutungslos einzustufen. Weil Männer uns als Frauen nicht wirklich ernst nahmen, taten wir es auch nicht.” (Feministische Partei Die Frauen)
“Die Grammatikregeln wollen, dass das Männliche stärker ist als das Weibliche und der homme (Mann) repräsentiert die gesamte Menschheit: les hommes (im Frz. `Männer` und `Menschheit`)” (Susan Sontag, 1972)
07.05.2013 um 13:42 Uhr Ky
Das englische, bzw. amerikanische Recht hat außerdem noch den Vorteil, dass nur sehr wenig davon tatsächlich aufgeschrieben wurde. Deshalb kommen oft die aus Hollywood bekannten Präzedenzfälle zum Einsatz. Unsere Gesetze sind jedoch geradezu deteialverliebt niedergeschreiben und deswegen wäre der Umfang der Änderungen auch schwer abzusehen.
Können wir und sicht lieber auf wichtigere Sachen konzentrieren, zB die reale Wertschätzung von Frauen im Job, im Alltag, etc? Dann wären die Recourcen wenigstens sinnvoll genutzt. Man kann ja viele Sprachänderungen vorgeben, aber halten wird sich im wirklichen Leben ja doch keiner dran, und das kann ich - ehrlich gesagt - gut verstehen.
29.04.2013 um 22:51 Uhr Dürr
Wie wäre es mit “Müllende” für Müllmänner/-frauen und dafür für jene, die mahlen “Mühlende” usw.?
Wenn die englisch Sprechenden Wortschöpfungen verkraften - sogar im Gesetz - wieso sollen deutsch Sprechende das nicht überleben?
Anders formuliert: Hängt die persönliche Identität unserer Männer wirklich nur daran, Nicht-Frau zu sein? Diese ginge bei einer durchgehenden Genderisierung ja dann tatsächlich verloren…
Bloss, dann wäre es mit der männlichen Identität wohl überhaupt gar nicht weit her, weshalb es dann ja egal wäre, i.S. von gleichgültig, bzw. i.S. von gleich gültig…
Lg Dürr
29.04.2013 um 22:35 Uhr Alison
gern gescheh’n :-)
Ich habe mir vor einige Jahren die Muehe gemacht, die Statuten von Mensa Oesterreich zu entmannen, die waren viel kuerzer. Jedoch, die Hauptarbeit machte eine andere Mitglied, eine ehemalige Gleichstellungsbeauftragte von einer montane Universitaet.