Übersetzungsvorschläge für „Boyhood“
Mannomann! Seit Ende Januar stecken wir hier in Boston knietief im Schnee - ach was knietief, er liegt mannshoch. Nicht nur die Gullys sind zugeschneit, auch die Mannlöcher (manholes). ----------- Vorgestern sah ich im TV Charlie Rose im Gespräch mit Ethan Hawke, der für seine Vater-Rolle in „Boyhood“ als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert wurde. Die Sendung kam wie gerufen für meine Glosse über „Boyhood“. Der Film von Richard Linklater ist für insgesamt 6 Oscars nominiert und hat bei den Golden Globe Awards schon den Preis für „Best Drama“ und soeben bei den British Film Awards (BAFTA) den Preis für Regie und den besten Film bekommen.
Wir hätten uns den viel gepriesenen Film letztes Jahr ja schon mal ansehen können, hatten aber keine Lust. „Boyhood“ liegt uns gender- und altersmäßig nicht besonders nahe und hängt uns als Dauerthema unserer Herrenkultur sowieso zum Hals heraus. „Boyhood“, „Manhood“, „brotherhood of man“ - wo ist schon groß der Unterschied, Mann?
In Deutschland und Frankreich läuft der Film unter seinem Originaltitel, und dies wohl nicht (nur) weil die deutsche wie die französische Popkultur stark amerikanisiert sind und ein englischer Titel sich normalerweise besser vermarktet.
Nein, „Boyhood“ ist einfach schlecht übersetzbar. Und das macht den Titel linguistisch interessant. Auch aus der Perspektive der feministischen Linguistik.
Ethan Hawke erzählte, Linklater hätte ihm Tolstois autobiografische Erzählung „Childhood, Boyhood, Youth“ (детство, отрочество, юность / Detstvo, otročestvo, junost') zu lesen gegeben - das wunderbare Buch hätte sie beide sehr inspiriert.
Auf Französisch heißt Tolstois Erstling Enfance, adolescence, jeunesse. Frühere Übersetzungen ins Deutsche trugen bis in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts Titel wie Kindheit, Knabenjahre (oder -alter), Jünglingsjahre. Seit den dreißiger Jahren sind die „Knaben“ und die „Jünglinge“ aus der Mode; sie waren für Hitler vielleicht zu weich und gemütvoll, er bevorzugte „Hitlerjungen“ - „hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder“ usw. Mit den „Knaben“ und „Jünglingen“ verschwanden auch „Knabenzeit“, „Knabenjahre“ und „Jünglingsjahre“. Tolstois Buch heißt seither schlicht Kindheit und Jugend.
Die „Jungen“ bzw. „Jungs“ sind uns bis heute geblieben. „Boyhood“ könnte also theoretisch mit „Jungenzeit“ oder „Jungenjahre“ übersetzt werden - aber das Wort gibt es anscheinend nicht. Google zeigt keine Ergebnisse, auch nicht der Duden. (Was der Duden dagegen unter „Mädchenjahre“ meldet, ist zu schön, um es zu verschweigen: "Bedeutung: 'jemandes Zeit als Mädchen'. Klingt nach „Jugend eines Transmanns“. Den Film „Mädchenjahre einer Königin“ habe ich aber ganz anders in Erinnerung.)
„Boyhood“ könnte auch übersetzt werden mit „Kindheit eines Jungen“ - aber das klingt nicht so allgemeingültig wie „Boyhood“. Edgar Reitz nannte seinen Vielteiler „Heimat“ und nicht „Meine Heimat“, um auszudrücken, dass er Heimat an sich und als solche meinte. Und Linklaters „Boyhood“-Film soll wohl ebenso exemplarisch für alle „Boyhoods“ dieser Welt stehen.
Und warum konnte der Film auf Deutsch nicht einfach „Jugend“ heißen, kurz und knackig? Schließlich wuselt in dem Film ja auch noch ein Mädchen herum, Linklaters eigene Tochter Lorelei. Die wird nun durch „Boyhood“ völlig ausgeblendet, genau wie das Elternpaar des „boys“. Aber auch wenn die Fokussierung auf den Jungen Absicht war, wäre „Jugend“ als deutscher Titel noch recht passend, denn zu Beginn des Film ist der jugendliche Held 6 und am Ende 18 Jahre alt - und damit schon jahrelang eher ein Jugendlicher als ein Boy. Und was die in „Jugend“ normalerweise mitgemeinten Mädchen betrifft, so sind wir schon daran gewöhnt, dass sie gerne ausgeblendet werden: Vor 70, 80 Jahren verbrachten nichtjüdische deutsche Mädels ihre Girlhood im Bund deutscher Mädel (BdM), nichtjüdische deutsche Jungs ihre Boyhood aber nicht im BDJ - einen „Bund deutscher Jungs“ gab es nicht. Die „Jugend“, bzw. was Hitler darunter verstand, kam in die Hitlerjugend und von dort an die Front.
Oh boy - manchmal ist es von Vorteil, nicht mitgemeint zu sein, Mädels.
Zum Weiterlesen: Judy Bermans kluger Artikel "What If 'Boyhood' Were 'Girlhood'? A Thought Experiment •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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7 Kommentare
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23.02.2015 um 10:14 Uhr anne
unerträglich für das patriarchat und die vorherrschende masku-kultur , wenn starke frauen aufmüpfig werden und ihnen paroli bieten - zur info: jenseits vom `kusche(l)n - kurs`
“Cudos to Patricia Arquette! Sie hat ihre Rede auf der Oscarverleihung in ein feministisches Feuerwerk verwandelt. Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen sollte endlich selbstverständlich sein. Auf Twitter und in den Kommentarspalten laufen Maskus und Konservative Sturm.”
“Danke (...) an jede Frau, die ein Kind geboren hat. An jeden Steuerzahler und jeden Bürger dieser Nation. Wir haben für die Gleichberechtigung aller anderen gekämpft, nun ist es an der Zeit, dass auch wir ein für allemal gleiche Bezahlung und gleiche Rechte für Frauen in den USA haben.”
http://www.sueddeutsche.de/kultur/rechte-von-frauen-hollywood-feiert-patricia-arquette-fuer-feministische-oscar-rede-1.2363281
21.02.2015 um 14:52 Uhr Amy
Zu der Verniedlichungsform `Mädeln oder Mädchen`:
Auch Helmut Kohl nannte die gelernte Physikerin und Politikerin Angela Merkel `gönnerhaft` sein `Mädchen`; heute wissen wir, dass er sie völlig unterschätzt hat, bedeutete sie für den Macho-Mann nur die Übergangslösung, um von der Parteispenden-Affäre der CDU abzulenken. Sie wurde als sein `Mädchen` belacht, bekämpft und unterschätzt.
Welche Frau oder welcher Mann in einer politischen Funktion käme auf die Idee, z.B. Herrn Kohl damals als `mein Bub, Bübchen oder mein Junge` zu bezeichnen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Angela Merkel diese gönnerhafte, launige Gestik und Formulierung `Mädchen` gefallen hat! In einer derartigen öffentl. Situation empfinde ich die Verniedlungsform unpassend, sogar frech oder herabwürdigend. Nachdem das `Mädchen` A.M. aber nicht mehr so funktionierte wie es sich die wichtigen Männer wünschten , äußerte sich z.B. der Bundeskanzler abfällig über die Tisch-Manieren seines Mädchens : Angela Merkel könne nicht richtig mit Messer und Gabeln umgehen; der Wink kam ausgerechnet von diesem Oggersheimer, der als `Elefant im Porzellanladen` kein Unbekannter war.
Noch abfälliger benahm sich der Nachfolger von Helmut Kohl Gerhard Schröder später über Angela Merkel : Die kann das doch gar nicht!
Jedenfalls ist das Zitat von Frau Merkel, gerichtet an das Bübchen Gerhard Schröder, sehr erfrischend:
“Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn irgendwann genauso in die Ecke stellen werde. Ich brauche noch Zeit, aber eines Tages ist es soweit. Darauf freude ich mich schon.”
Die Bübchen sollten Frauen nicht unterschätzen; brauchen wir Frauen eigentlich die Bezeichnung `Mädchen` oder `Püppchen` zur Aufmunterung?
20.02.2015 um 22:56 Uhr Bridge
“Untersuchung an Mädeln” (1971) ist ein Roman von Albert Drach, der in den 90ern verfilmt wurde. Ich kenne weder den Film noch dessen Vorlage, wollte aber den Roman schon lange lesen, wo es um die beweislose Verdächtigung von 2 jungen Autostopperinnen geht, sie hätten ihren Vergewaltiger ermordet. Andererseits wird “ein perfekter Mord” Frauen nicht zugetraut. - Spannend wiederum die Untersuchung von LFP: im Österreichischen gibt es „Mädeln“, die sind nicht so kess wie deutsche „Mädels“, die Mädels kommen aber auch bei uns immer öfter im alltäglichen Sprechen vor. „Hauts gscheit zua, Mädeln,“ sagte zum Beispiel heute unsere (jüdische) Selbstverteidigungstrainerin zu uns fünf über sechzigjährigen Frauen. - Das gender- und altersbedingte Nichtzutreffen der Bezeichnung Mädeln auf mich und meine Partnerin stört mich auch nicht, wenn schwule Freunde, eben “die Buben”, uns so begrüßen. „Mädeln“ und „Buben“ hat, so inadäquat verwendet, etwas humorvoll Freundschaftliches, Zärtliches in meinen Ohren. - In jungen Jahren gab es viele Liebesbriefe zwischen mir und A, die vice versa meist mit “liebstes Mäderl” betitelt waren, was ich heute nicht mehr täte, aber damals waren wir russophil und nannten uns auch, “Täubchen”, nach duschenka. - Mit A besuchte ich 1989 die erste Lesung von Julian Schutting (frisch als Mann!) in Salzburg. Wir kannten und schätzten ihn bereits als Jutta Schutting – eine umwerfende Butch in unseren Augen - und wollten nun sehen, ob noch Weibliches an ihm war, die bis 50 als Frau gelebt hatte und sich dann zur Geschlechtsverifizierung entschloss, nämlich ein Mann zu sein. Wir fanden übereinstimmend, dass dies erfolgreich der Fall war: Julian Schutting war ein Mann—- nur die Hände waren die einer Frau! (Interessant wäre zu untersuchen, ob sich die Geschlechtsumwandlung oder besser: Geschlechtsverdeutlichung oder –verifizierung auch in seinem Werk niedergeschlagen hat?) Lustig war, dass A und ich nach der Lesung hin- und her überlegten, ob wir ihn um ein Autogramm bitten sollten für das neu erschienene Buch, das wir uns gekauft hatten. Nicht besonders ernsthaft stellten wir uns also an in der Schlange der Autogrammheischenden. Als wir drankamen bemerkte Julian Schutting unsere aufgekratzte Stimmung und meinte:
„Da sind ja noch zwei Autogrammmäderl!“ Wir lachten auch und fanden uns richtig eingeschätzt, so kindisch wie wir drauf waren. Meine deutsche Nachbarin, der ich diese Anekdote erzählte, meinte dazu: „Ein weiterer Beweis, dass das nun ein Mann war! Eine Schriftsstellerin würde niemals zu ihren Zuhörerinnen „Mäderln“ sagen!“ – Meiner Auffassung nach hatte sie Recht, aber auch wieder nicht, wie die eingangs erwähnte Geschichte mit der Trainerin zeigt: Österreichisch ist anders, als Mäderl bezeichnet zu sein, oder Mädeln in der Mehrzahl, hat etwas Aufmunterndes, Zärtliches.
14.02.2015 um 14:04 Uhr Anna
Einen Nachtrag , den ich nicht vorenthalten möchte; ganz im Sinne der heutigen `Jugend`/ Realität. Manche Geschichten verkaufen sich besser, wenn `man` weiß, aus dem Buben wird irgendwann mal ein richtiger Mann. http://diestoerenfriedas.de/fifty-shades-sch/
10.02.2015 um 16:18 Uhr Anna
Die Frage, wie würde die Herrenkultur einen Film gestalten , der sich mit dem Jugendalter von Mädchen beschäftigt? Eigentlich liegt das doch auf der Hand, denn erfahrungsgemäß müssen Frauen in den Medien vor allem ihre Barbie-Brüste, viel Haut zeigen und entsprechend der Herrenkultur sexy gestiefelt sein. Ein früher Freund, frühe sexuelle Erfahrungen mit evtl. wesentlich älteren Männern dürften dabei nicht fehlen. Inzwischen läuft die Welle im Kino mit “Shades of Grey” . Die junge Frau nun endlich auch in der BDSM-Szene als williges , handelndes Objekt, ein wenig Schläge auf den Popo , devotes Verhalten, Unterwürfigkeit , weil der ältere, traumatisierte Geliebte das einfordert. Irgendwann wird aber auch ihr das zu viel. Ja, so etwas lässt sich immer gut verkaufen, angeblich ein Liebesmärchen über männlichen Sadismus? Ob das demnächst zum “Girlhood” wird? http://www.taz.de/!31422/ - http://www.aliceschwarzer.de/artikel/wie-masochistisch-sind-frauen-154421
09.02.2015 um 14:16 Uhr Amy
WOW, danke an Luise für die Aufklärung. Typisch wie wichtig sich Männer nehmen zeigt der Titel.. Boyhood. Als ob wir nicht schon ausreichend genug in den Medien über die Buben informiert werden, die endlich zum Manne reifen. Natürlich wird die Schwester in der Filmbeschreibung als nervig bezeichnet. Die Mutter - alleinerziehend - hat einfach kein Glück, auch noch den richtigen Partner zu erhaschen; da fehlt doch was? wieder einmal der Vater? Inzwischen geistert in Zeiten des islamist. barbarischen Terrorismus die schräge Annahme, junge Männer, denen die Väter fehlen, wären für die Gesellschaft ein Sicherheitsrisiko.
Dabei müssten wir zur Filmindustrie lieber Kritik daran üben, dass zumeist Männer hinter der Kamera stehen und auf Frauen schauen, weil die sich in einer Männergesellschaft nur vor der Kamera bewegen sollen.
Lieber wäre mir die Verbreitung der Parole `Sisterhood feels good` im Kampf gegen die Männergesellschaft (weltweit), nachdem wir Frauen seit Jahrhunderten - leider sogar häufig mit Erfolg - auf den Mann dressiert werden… Aber, da anscheinend Männer (Regisseure) hinter der Kamera weitaus mehr willkommen sind und überall mit Leichtigkeit Preise für ihre Werke einfangen können, bleibt den Frauen nur der Platz vor der Kamera oder im Publikum oder als modische Ausstellungstücke/Beigaben..
09.02.2015 um 13:33 Uhr Lena Vandrey
Im “Wörterbuch des Unmenschen” von Sternberger und Süßkind steht, dass es die Bezeichnungen “Mädels” und “Jungs” vor den Nazis nicht gab. Es hieß “Mädchen” und “Knaben”. Der Knabe ist völlig verschwunden, und Mädchen wird von Frauen nicht gemocht. Mein Kochbuch sollte “Kochbilderbuch für Erwachsene Mädchen” heißen, aber die Verlagsfrauen lehnten den Titel ab: Zu schlechte Erinnerungen an ihre Mädchen-Zeit, während Männer sich gerne mit “alter Junge” und sogar “alter Knabe” ansprechen. Mit einigen 70-plus muss ich von einer Freundin “Hallo Mädels” hören und ein Bekannter schreibt “Ihr lieben Mädels”. Und nun schreibt Luise das auch. Aber vielleicht ist es ironisch gemeint oder wendet sich an ein jüngeres Publikum?
Es gibt einen Unterschied jedoch: Mädchen ist sächlich und eine Diminutivform, Mädel aber ist was? Die Verkleinerungsform einer Diminutivform?
Ich lese gerade “Die Merowinger oder die totale Familie” von Doderer. Darin geht es um einen Freiherrn, einen Wüstling und Wüterich, welchem es über diverse Heiraten gelingt, sein eigener Großvater, Vater, Onkel, Schwager und Neffe zu werden, und somit das Familienvermögen zu konfiszieren. Es gibt sehr wehrhafte Frauen und Mädchen in der Geschichte, und sie schaffen es, am Ende den Gnom zu kastrieren. Ein erfreuliches Märchen! Mädchen oder Mädels passt aber nicht für diese Heldinnen, eher sind es Mänaden. Ein gutes Beispiel dafür, wenigstens in der eigenen Familie das Patriarchat zu liquidieren und damit einen Teil der gemeinen Männersprache. Leider nur Literatur!...
Abschließend zu sagen ist, dass die Anrede “Mädels” von den Hetero-Leuten kommt und in ihrem Sinne auf den Status “ledig” hinweist. Verheiratete oder geschiedene Frauen werden so nicht angeredet. Also sind wir Mädels, weil wir Lesben sind? Und kein Frauen-Paar, sondern ein Mädchen-Paar? Ach! Wenn es nur so wäre!