Sprachliche Diskriminierung hat viele Gesichter - welches ist das schlimmste? Teil 2
Die sprachliche Diskriminierung der Frau, auch sprachlicher Sexismus genannt, ist die einzige sprachliche Diskriminierung, die sich tief in der Grammatik eingenistet hat - und deshalb ist sie am schwierigsten zu bekämpfen. Um dieser Diskriminierung Frau zu werden, müssen wir ans Eingemachte, an die Grammatik eben. Herrische Redewendungen wie „einer Sache Herr werden“ umzuwandeln in „einer Sache Frau werden“ - das genügt nicht, es kratzt nur am Wortschatz, d.h. bleibt (ziemlich) an der Oberfläche.
Es gibt im Deutschen nur einen grammatischen Prozess, der in etwa mit der sog. Movierung (Femininableitung aus einem Maskulinum) vergleichbar ist, und das ist die Diminutivbildung, die Ableitung einer Verkleinerungsform aus einem Wort, das - relativ zum Diminutiv - die Normalgröße bezeichnet. Frauen stellen mit Unmut fest, dass entsprechend das Maskulinum - relativ zum daraus abgeleiteten Femininum - das „Normalgeschlecht“ bezeichnet:
Bauer > Bäuerin Bauer > Bäuerchen Bier > Bierchen Brot > Brötchen Buch > Büchlein Frau > Fräulein, Frauchen Kartoffel > Kartöffelchen Kleid > Kleidchen Lied > Liedchen, Liedlein, Liedel. Magd > Mägdlein > Mädchen Mann > Männchen, Männlein Stuhl > Stühlchen Teller > Tellerchen
Wenn eine Mutter ihr Kind zur Bäckerin schickt mit dem Auftrag: „Bring ein Brot und drei Brötchen mit“, wäre sie wohl erstaunt, wenn das Kind ihr 4 Brote anschleppen würde. Das hindert die Mutter allerdings nicht, von den „Freunden“ und „Lehrern“ des Kindes zu reden, auch wenn es überwiegend Freundinnen und Lehrerinnen sind. So funktioniert die deutsche Sprache eben. Frauen haben sprachlich halt weniger Rechte als Brötchen ….
Seit etwa 40 Jahren kämpfen Frauen in vielen Ländern gegen ihre sprachliche Benachteiligung und Unsichtbarmachung, festgeschrieben in der Grammatikregel: „Eine Gruppe von Personen ist eine männliche Gruppe, wenn sie mindestens einen Mann enthält oder enthalten könnte.“ (1)
Radikalfeministinnen haben die Regel in den 1980er Jahren einfach umgekehrt: „Eine Gruppe von Personen ist eine weibliche Gruppe, wenn sie mindestens eine Frau enthält oder enthalten könnte.“
Wir haben uns, m.a.W., sprachpolitisch die Männer zum Vorbild genommen, die mit ihrem Anspruch auf die Normalform ja enorm erfolgreich waren. Die zugrundeliegende Machtmechanik hat Lewis Carroll genial auf den Punkt gebracht:
„Wenn ich ein Wort benutze", sagte Humpty Dumpty herablassend, "dann hat es genau die Bedeutung, die ich wähle - nicht mehr und nicht weniger." "Die Frage ist", sagte Alice, "ob du die Wörter dazu bringen kannst, dass sie so viel Verschiedenes bedeuten." "Die Frage ist", sagte Humpty Dumpty, "wer der Herr ist [im Original: which is to be the master] - das ist alles." (Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln (m.H.))
Die Umkehrung, das generische Femininum, hat im letzten Jahr breite Unterstützung durch die Universitäten Leipzig und Potsdam erhalten. So was hat natürlich Signalwirkung. Andere Institutionen werden nachziehen und die „lästigen Doppelformen“ ebenfalls hinter sich lassen, jedenfalls für eine Weile (Stichwort: Rotationsprinzip).
Aus der Transgender und Genderqueer Community kam der Vorschlag, zwischen den Wortstamm und die Feminin-Endung einen sog. Gender Gap bzw. Unterstrich, alternativ ein Sternchen, einzubauen, damit die bisher in dem herrschenden System der Zweigeschlechtigkeit Unterdrückten Transpersonen wenigstens einen symbolischen Ort für sich haben: Lehrer_innen oder Lehrer*innen.
Damit sind wir Frauen optisch allerdings wieder genau da gelandet, von wo wir seit Beginn der feministischen Sprachkritik im deutschsprachigen Raum wegstrebten: auf dem Abstellgleis der Feminin-Endung:
Ob Abtrennung durch Klammern, Schrägstrich, Bindestrich, Unterstrich oder Genderstern - Lehrer(in), Lehrer/in, Lehrer-in, Lehrer_in, Lehrer*in - für Frauen wird durch diese Mannipulationen nichts erreicht: Uns vermitteln diese Schreibweisen, eine wie die andere, die Botschaft: Die Frau ist zweite Wahl. Dem Normalgeschlecht gebührt der Wortstamm, dem abweichenden Geschlecht die abgeleitete Form. Je weiter dabei das äußere Kennzeichen des Abgeleitetseins, die feminine Endung, vom Wortstamm entfernt wird durch Zwischenschaltung weiterer, wenn auch gutgemeinter, Elemente - umso mehr wird der Status der weiblichen Zweitrangigkeit betont.
Deswegen war ja das Binnen-I eine so willkommene Erfindung: Es ist von der besten Lösung des Problems, dem generischen Femininum, „nur einen winzigen Klecks Druckerinnenschwärze entfernt“ (wie ich 1986 schrieb) (2)
Deswegen plädiere ich weiter für das Binnen-I oder, noch lieber, für das generische Femininum.
Inzwischen habe ich mein im ersten Teil dieser Glosse angekündigtes „Artikelchen über die wichtigsten derzeit kursierenden geschlechtersensiblen Schreibweisen“ fertiggestellt; es erscheint voraussichtlich in der nächsten EMMA. Ich habe dort eine neue Schreibweise vorgeschlagen, mit der eigentlich alle beteiligten Gruppen (Frauen, Transgender, Männer) zufrieden sein könnten: die optische Vereinigung von generischem Femininum, Binnen-I und Genderstern. Interessierte können dann dort nachschauen, wie diese Lösung aussieht und sprachtheoretisch begründet wird.
---------- (1) Vgl. Hierzu meinen Artikel „Der Piloterich: Ein Beitrag der außerirdischen Linguistik“ (1979), in Pusch, Luise F. 1984. Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt/M. edition suhrkamp 1217. S. 43-45. (2) Vgl. Pusch, Luise F. 1990 [1986]. "Alle Menschen werden Schwestern: Überlegungen zum umfassenden Femininum", in: Pusch, Luise F. 1990. Alle Menschen werden Schwestern: Feministische Sprachkritik. Frankfurt/M. edition suhrkamp 1565. S. 85-103 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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8 Kommentare
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26.05.2014 um 14:09 Uhr agztse
Nein, also Frauen haben durchaus mehr Rechte als Brötchen! Manche Frauen haben allerdings weniger Intelligenz als ein Brot und zu dieser Gattung zählt die Autorin. Ich lese diesen Blog übrigens regelmässig als Satire und ammüsier mich prächtig. Weiter so!
13.05.2014 um 20:12 Uhr elisabeth mundwiler
In den frühen 80-gieren habe ich als junge frau eine kopie eines büchleins in die hände bekommen, welches mir so aus dem herzen gesprochen hat. “die sprache ist kein Mann, madame”. ich habe ab diesem zeitpunkt begonnen, meine sprache zu beobachten und umzulernen. mir ist dabei auch aufgefallen, wieviele militärische ausdrücke sich in meinem sprachgebrauch getummelt hatten, was ich nie nur geträumt hätte.
dann kamen harte jahre für mich. ich habe die menschen um mich zu korrigieren begonnen, in dem ich den satz geschlechtsneutral, mit weiblicher form, wenn es sich eh um frauen gehandelt hat, wiederholt habe.
ich habe aus dem lehrerzimmer ein lehrerinnenzimmer gemacht bis heute, da die männer auch in den 80-ern bereits in der minderheit waren und heute wundere ich mich, dass meine kolleginnen immer noch die männliche form brauchen, obwohl wir gerade einen einzigen kollegen haben.
ich wurde fürs korrigieren nicht geliebt. ich wurde angegriffen und als extrem abgetan. frauen nannten mich eine männerhasserin!
ich schreibe konsequent beide formen, wenn beide geschlechter darin vorkommen. ganz selten meine ich, können sich die männer auch mitgemeint fühlen, wenn ich nur die weibliche form brauche, was sie aber nicht tun. sie fragen nach, ob denn die jungs nicht auch gemeint sind.
ich schreibe beide formen, da ich mich als frau nicht als anhängsel sehe, egal ob mit stern, unterstrich oder bindestrich.
erzwungene feminismen finde ich peinlich. da suche ich mir lieber ein anderes Wort für die gleiche sache.
inzwischen ist es mir egal, was menschen zu meiner sprache denken. das bewusstsein ist ja auch etwas gewachsen und ich falle nicht mehr auf damit.
ihre artikel sind dringend nötig, immer wieder und wieder!
mit freundlichem Gruss
elisabeth mundwiler
07.05.2014 um 12:32 Uhr Lena Vandrey
Die Bezeichnungen: das Jungchen, Büblein, Knäblein, hat es früher gegeben als Ausdruck triefender Zärtlichkeit von Seiten ihrer Mütter. Dann aber wurde das männliche Kind emanzipiert und auf Mann gedrillt. Der Junge als phallisches Gewächs, die Sohnes-Mutter als phallische Frau. Das Kind ist der Phallus der Frau, sagte Niki de St-Phalle! Mit dem Mädchen geschah nichts dergleichen, es blieb ein dummes Ding.
Die Sächlichkeit in diesem Sinne, verheerend!
Nicht das Kind ist der Phallus der Frau, sondern nur der Sohn, auch Sohnemann genannt! Aus dem Mädchen wird eine Dirn, ganz in der Nähe der Straßen-Dirnen, und aus dem Wort Mädchen entstand der Ausdruck Magd. Joseph Roth schrieb: Studentinnen und StraBen-Dirnen sind keine Frauen…
Ich hatte vormals das Konzept “Erwachsene Mädchen” geschaffen. Das gefiel keiner!...
Die afrikanischen Mädchen werden verschleppt, zwangsverheiratet und versklavt…
Wenn 1 Mann unserer Meinung ist, bekommt er das Emma-Cover, 100 000 Lesben bekommen gar nichts…
In der französischen Frauen-Bewegung nannten sich alle Militantinnen filles=Mädchen. Der Ausdruck gilt aber auch für Prostituierte…
Wer aus diesem Labyrinth heraus will, soll es versuchen. Es fehlen nicht nur andere Schreibweisen, sondern auch andere Wörter! Woher sie nehmen und sie nicht stehlen?
“Die Sprach-Diebinnen” hieB eines meiner frühen Bilder, aber WO? stehle ich jetzt Wörter, bei WEM? und schließlich WOFÜR?
06.05.2014 um 16:56 Uhr Christoph Päper
Der entscheidende Unterschied zwischen Movierung und Diminutivbildung ist, dass die Produkte letzterer rekonventionalisiert werden können. Ein Brötchen ist eben nicht einfach ein kleines Brot. Hinzu kommen Analogbildungen wie Eichhörnchen, die nicht aus einer Verkleinerung entstanden sind.
Tatsächlich fehlt dem Deutschen auch hier die systematische Bildung des Antonyms. Es gibt weder ein Wort für ‘großes Brot’ noch für ‘männlicher Lehrer’. Andere Sprachen können das eine oder das andere.
06.05.2014 um 15:22 Uhr anne
unverständlich finde ich heute noch die verniedlichende wortwahl `fräulein` und `mädchen` für frauen im erwachsenen-/alter. kürzlich wurde ich beim einkauf b.d. hiesigen bäckerin von einem mann als `mädchen` betätschelt, obwohl ich doch nun sichtbar dem kindesalter entsprungen bin. ob das nun ein kompliment sein sollte, glaube ich eher nicht, auf jeden fall erschien mir die ungalante formulierung `mädchen` eine plumpe art von männlicher anmache im üblichen sinne von ..kleinhalten. nie käme ich auf den gedanken, aus `sympathischen` gründen einen wildfremden mann mit `bübchen, jungchen o.ä.` anzusprechen. dass frauen in der männerwelt-mannschaft aber gerne als kleine mädchen erwünscht sind, zeigt ihre `infantilisierung` in werbung, modeindustrie, sexindustrie und medium fernsehen, sogar bis hin zur bäckerin.
einfach toll Luises hinweis auf das `brötchen` - `kleine brötchen backen`, gibt es ja als redensart im sinne von `das brot als symbol für arbeit, leistung, lohn und leben` , das kleinere brötchen dagegen als zeichen für wenig erfolgreiches - ach ja, ganz im herrkömmlichen sinne der `brotgeber`?
im privatbereich benutze ich schriftlich gerne die feminine form - angefangen von anrufbeantworta bis hin zu büstenhalta, dosenöffna, geschirrspüla, emilia und die pute als compute , schreibe dies meinen fräundinnen und versuche, auch sie ganz im sinne der feminisierung und empathie der dt. sprache auf vorderfrau zu bringen. wie heißt es : übung macht die Maestra ?
bin gespannt auf die nächste lfp-lektion!
05.05.2014 um 23:43 Uhr Klaudia Diekmann
- Lehrer(in), Lehrer/in, Lehrer-in, Lehrer_in, Lehrer*in -
Wie wäre es mit 1 Lehr-er, 2 Lehrers
1 Lehr-sie, 2 Lehrsien?
Damit wäre die Sache mit dem unbestimmten Artikel allerdings noch nicht gelöst, doch zumindest die Substantive, die von einem Verb abgeleitet werden, wären gerechter.
Was ist das Gegenteil von Hysterie?
Testerie! (die Unfähigkeit, Gefühle wahrzunehmen, geschweige denn sie auszudrücken.
liebe Grüße
Klaudia Diekmann
05.05.2014 um 12:46 Uhr Lena Vandrey
Was Diminutive betrifft, so war es zeitweilig Mode, nicht etwa Guten Tag! oder nur Tag! zu sagen, sondern sogar Tag’chen! Viele Frauen verabscheulichen die Verniedlichung ihrer Vornamen oder gar Nachnamen, andere sehen darin einen Ausdruck von Zärtlichkeit für ein armes, kleines Unter-Wesen, das Mädchen. Welchen Platz bekommen Mädchen in der neuen Linguistik, und wie steht es mit dem Frauchen? Aber vor allem, wie steht es mit der Übersetzung in andere Sprachen? die kein “Das”, kein “chen” und kein “lein” besitzen? Wie können wir es weitergeben ins Französische oder Englische? Vor allem für die Namen sehen wir keine Chance. Es gibt Leute, die für ihre Töchter Namen aussuchen, die man nicht verniedlichen kann, als Beispiel “Claudia”. Ich musste einer Jugendfreundin, mit einigen Sechzig, sagen, dass sie aufhören soll, mich “Lenchen” zu nennen. Wir werden also die Weiter-Entwicklung des Problems unter den Auspizien der Übertragung betrachten müssen, und wenn das in de. klappt, uns darüber freuen. Aber “hier” bleibt alles wie gehabt! Wir können kein Binnen-I, keine Striche und keine Löcher verwenden. Wir können von der ganzen deutschen Arbeit nicht profitieren. Darauf habe ich von Anfang an hingewiesen. Außer in asiatischen Zeichensprachen sehe ich keine Möglichkeit der Übertragung dieser Erneuerungen, es sei denn, dass die englische Sprache die Vorgaben für alle Welt leisten kann.
04.05.2014 um 22:20 Uhr Joey Horsley
Danke für die klare, überzeugende Darstellung und Analyse des M.A.N-Prinzips (“male-as-norm”). Ich freue mich auf die versprochene neue Lösung des alten Problems in der “Emma”!