„Prostituierte“ - ein seltsames, verräterisches Wort
Gestern sahen und hörten wir auf arte Verdis Oper „La Traviata“ live aus der Mailänder Scala, mit Diana Damrau in der Titelrolle. Joey, die die Oper nicht kannte, erkundigte sich nach dem Beruf der Violetta, und ich sagte: „Sie ist eine Kokotte bzw. Kurtisane und wird von einem reichen Liebhaber ausgehalten.“
Bei Wikipedia liest sich das so: „Eine Oper über eine Edelprostituierte (damals Kurtisane), die … an der Lungentuberkulose zugrunde geht…“
„Edelprostituierte“, das klingt wie Edelschimmel und Edelknitter. Knitter und Schimmel sind eigentlich nicht so doll, aber mit einem „Edel“ davor sind sie nicht nur rehabilitiert, sondern geradezu - ja, eben veredelt. Dito die Edelprostituierte.
Zu „Kurtisane“ meldet Wikipedia:
Wie die Mätresse wurde auch die Kurtisane als Geliebte eines oder mehrerer Männer von Adel oder Vermögen von diesen ausgehalten, … doch im Unterschied zur Mätresse war ihre Rolle nicht institutionalisiert und ihre Beziehungen gestalteten sich sehr viel wechselnder. … In der Weltliteratur ist das bekannteste Beispiel einer Kurtisane … die Kameliendame in dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas d. J. aus dem Jahr 1848. Er war die Vorlage für die Oper La Traviata von Giuseppe Verdi.
Neulich schrieb mir eine Facebookfreundin zu den laufenden Kampagnen gegen die Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland, die endlose Reihe der Synonyme für das Wort „Prostituierte“ gehöre aber auch mal unter die Lupe genommen. Ich recherchierte ein wenig im Internet und fand folgendes:
Synonymgruppen für Prostituierte Bordsteinschwalbe (umgangssprachlich), Callgirl, Dirne, Dorfmatratze (derb), Edelnutte, eine, die das älteste Gewerbe der Welt betreibt (umgangssprachlich), eine, die es für Geld macht (umgangssprachlich), Escort, Escortgirl, Flittchen, Frau für spezielle Dienstleistungen, Freudenmädchen, Gunstgewerblerin, Hartgeldnutte (derb), Hetäre (gehoben), Hure (derb), Kokotte (veraltet), Kurtisane, leichtes Mädchen (umgangssprachlich), Liebesdame, Liebesdienerin, Liebesmädchen, Nutte (derb), Professionelle (umgangssprachlich), Prostituierte, Schlampe (derb), Sexarbeiterin (fachsprachlich), Straßendirne, Straßenmädchen (umgangssprachlich), Straßenprostituierte, Strichmädchen (umgangssprachlich) Oberbegriff: Berufstätiger
Die letzte Zeile/Beobachtung fand ich besonders gelungen!
Fürwahr ein beeindruckender Wortschwall, der den Benutzern der Prostituierten da eingefallen ist. Aber sie hatten ja auch viel Zeit, für „das älteste Gewerbe der Welt“ die nettesten Kosenamen zu ersinnen.
Die Nomenklatur für die Benutzer nimmt sich dagegen mehr als bescheiden aus:
Synonymgruppen für Freier Oberbegriff Bursche, Dude, erwachsene männliche Person, Herr, Kerl, Macker, Mann, (jemandes) Mannen, männliche Person, männliche Person, männlicher Mensch, Mannsbild, Mannsperson, Person männlichen Geschlechts, Typ, Y-Chromosom-Träger
Wie langweilig, nichtssagend und noch dazu irreführend. Wikipedia wird etwas deutlicher:
Als Freier wird im Jargon der Prostitution eine Person bezeichnet, die für sexuelle Dienstleistungen bezahlt. Der Freier bzw. die Freierin ist demnach meist der ökonomische „Handelspartner“ einer/eines Prostituierten. Der männliche Freier wird von Prostituierten auch als „Gast“ bezeichnet. Der weibliche Freier wird häufig als Kundin bezeichnet, der den Callboy oder auch die weibliche Prostituierte bezahlt. Der homosexuelle männliche Freier ist der Geschäftspartner von Callboys und Strichern (Strichjungen). Freier stammen in der Regel aus allen sozialen Schichten.
Was für eine egalitäre, durchgegenderte Sprache! Als ob „der weibliche Freier“ die Regel wäre. Aber „der weibliche Prostituierte“ kam sogar diesen Genderwütigen anscheinend etwas abseitig vor…
Bei aller Genderei dennoch ein sehr dürftiges Vokabular. Aber immer korrekt und proper, „Edelfreier“ oder sowas ist da gar nicht nötig, denn ein „Freier“ ist sowieso schon sehr edler Abkunft. Wir kennen ihn aus den griechischen Heldensagen, wo Penelope sich jahrelang der sie belagernden Freier erwehren musste, weil ihr Odysseus nicht daran dachte, mal wieder zu Hause reinzuschauen. Und dann all die Märchen und Opern und Märchenopern, in denen die Prinzessin meistbietend an denjenigen ihrer Freier verhökert wird, der irgendwelche spinnerten Aufgaben am besten erledigt. Viele scheitern edel daran - und da haben wir sie schon, die Edelfreier. Z.B. die Freier der Prinzessin Turandot, die sie umschwärmen wie Motten das Licht und dabei umkamen.
Da lobe ich mir das Englische. Der Freier heißt „John“. Und das ist auch das Wort für das Klo.
Das meistgebrauchte Wort im ganzen Wortfeld - „Prostituierte“ - ist linguistisch auch das interessanteste. Es ist ein substantiviertes Perfektpartizip, ähnlich wie „die Delegierte“ oder „die Abgeordnete“. Eine Delegierte ist eine, die von anderen delegiert wurde. Eine Abgeordnete ist eine, die abgeordnet wurde. Aber eine Prostituierte, wurde sie etwa von jemandem prostituiert? Nein, sie prostituiert sich selbst. Das Verb (von lateinisch prostituere „nach vorn/ zur Schau stellen, preisgeben“- Wikipedia), heißt nicht „jemanden prostituieren“ sondern „sich prostituieren“.
Eine, die sich prostituiert, ist also eine Prostituierte. Aber eine, die sich auskotzt, ist keine Ausgekotzte. Und eine, die sich beschwert, ist keine Beschwerte.
Das Wort „die Prostituierte“ ist ein klarer Hinweis darauf, dass jemand, ein anderer, die betreffende Frau prostituiert. Wir wissen es ja auch alle - die meisten Prostituierten tun es nicht freiwillig, sondern unter oft entsetzlichem Zwang.
Aber das Verb „jemanden prostituieren“ gibt es nicht. Es heißt „sich prostituieren“. Die Sprache fährt hier zweigleisig, bleibt uneindeutig.
Damit bildet das Wort „Prostituierte“ die beiden vorherrschenden Ansichten über die Prostitution
• „ein Beruf wie jeder andere“, frau prostituiert sich halt, und zwar ganz freiwillig
• Menschenrechtsverletzung: frau wird prostituiert, unter Zwang
ziemlich genau ab. Cool, was unsere Sprache alles kann - würde ich sagen, wenn Prostitution nicht das Letzte wäre.
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Nachtrag am 10.12.2013: Anita Augspurg nannte die Freier "Prostituenten". Sie wetterte gegen die Herrenmoral, die „die Prostituierten als Gegenstand allgemeiner Verachtung und als Beute der behördlich konzessionierten Bordellwirte preisgibt, den Prostituenten aber unter die anständigen Menschen zählt.“
(Gefunden hier, in Rolf Löchels Rezension der kommentierten Studienbuchausgabe der rechtspolitischen Schriften Anita Augspurgs.)
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6 Kommentare
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10.12.2013 um 17:19 Uhr CWS
> Wir wissen es ja auch alle - die meisten
> Prostituierten tun es nicht freiwillig, sondern
> unter oft entsetzlichem Zwang.
Nein, das wissen wir nicht! Warum plappern Sie diese durch Alice Schwarzer aus der Luft gegriffenene Dauerverleumdung unreflektiert und unrecherchiert nach?
10.12.2013 um 11:33 Uhr Lena Vandrey
Im Französischen sehe ich keinen weiteren Ausdruck für den Kunden, es ist der “Klient”. Für die Frauen gilt hauptsächlich “Putain”, in kurz “la pute”. Dieses Putain gilt aber auch als Ausdruck größter Bewunderung: Oh, Putain! ist das toll! und das Tollste heißt: Oh, Pute borgne! (Oh, einäugige Hure!) was bedeutet, dass die Betroffene auch ihr leeres Auge zur Verfügung stellte… Leute, die nicht Putain sagen mögen, setzen an diese Stelle das Wort “Punaise=Wanze”! Vornehme und gelehrte Leute sprechen von “Péripatéticienne” und lassen sich für den Zungenbrecher bewundern…
Von Mädchen und Frauen kann gesagt werden: sie wurden prostituiert, also von den Zuhältern gezwungen. Diese Zuhälter heißen “Maquereaux” (männlich Makrele) oder weiblich “Maquerelles”.
Die Abgeordnete Marthe Richard hatte vormals die Bordelle schließen lassen, deshalb landeten die “Filles” (Mädchen!) auf der Straße. Filles ist also ein schlecht besetztes Wort, die Töchter teilen es sich mit den Prostituierten.
Seit soviel von Prostitution gesprochen wird, verschwinden die hässlichen Wörter oder werden auf Frauen “und” Männer angewandt, die mit der Sache gar nichts zu tun haben. Manche Leute auf dem Lande denken weiterhin, dass die Prostituierten einen enormen Spaß an ihrem Gewerbe haben und obendrein Geld scheffeln.
Nun wollen wir hoffen, dass das Gesetz durchgeht. Zuhälter und Kunden richten sich gen Deutschland und Belgien. Das Geeinigte Europa ist sich eben “nicht” einig!
Nicht zu vergessen ist ein Foto in der Emma, da haben wir die Rot-Grüne und die Frauen-Ministerin, welche schallend lachend mit einer Bordellière Champagner trinken… auf die Legalisierung der Prostitution!...
Und bei Günther Jauch gab es einen Metzger, welcher von einem Bordell sagte, dort gäbe es billiges Fleisch!... Das Publikum johlte, auch die Frauen!... Dass sie sich nicht schämen!...
09.12.2013 um 14:08 Uhr anne
prostitution, genitalverstümmelungen, pornografie, zwangsheirat, frauenhandel sind sicherlich keine erfindungen von frauen und kein ausdruck in der welt der frauen? bei den Khasi in nordindien fehlen die worte `prostitution` und ´vergewaltigung` völlig. ein albtraum für all die sexkäufer bzw. vergewaltiger . prostitution ist vergewaltigung. abscheulich immer wieder von den befürworterInnen als argumentationshilfe zu hören, prostitution wäre das älteste gewerbe der welt , also sollten wir uns damit abfinden? das zuhältertum ist in der tat das älteste gewerbe und bedeutete von anbeginn die knechtschaft und männl. (sexuelle) verfügungsgewalt über weibl. menschen.
zur information: `mythos vom ältesten gewerbe` - wenn es um weibl. sexualität und um die herrschaft über frauen, mädchen geht, ranken sich weitere mythen, wie z.b. die `jungfräulichkeit, jungfernhäutchen`. auch diese mythen schwirren weiter in den köpfen der menschen - vor allem der religiös motivierten - herum, um frauen in gut und schlecht einzuteilen und um kontrolle über sie zu haben. das enorme angebot an schimpfwörtern für prostituierte beweist das. nur die herren sexkäufer und frauenbenutzer selbst fühlen sich im recht und brüsten sich mit dem begriff `freier´ im sinne von `freien` . in diesem abscheulichen gewerbe wird nicht gefreit sondern vergewaltigt, werden frauen, mädchen wie eine wegwerfware benutzt, penetriert , kaserniert in verrichtungsboxen. armut, soziale und familiäre hintergründe, gewalterfahrungen, die viele junge frauen betreffen, werden ausgeblendet; frauenhandel, das organisierte verbrechen von den prost.-befürworterinnen dagegen verharmlost. das beste beispiel für eine menschenverachtende moderne gesellschaft ist m.E. das gewerbe um die prostitution. es ist noch ein langer weg hin zu einer gerechten gesellschaft, einer welt ohne prostitution, und männer (sog. freier) müssen lernen, daß frauen und der körper einer frau keine ware ist ... die nachfragEr bestimmen den markt. sie sind der steigbügelhalter des organ. verbrechens, der bordellbesitzer, menschenhändler und zuhälter… und das geschäft im Escort-service rein potemkinsche dörfer ....die `wunderbare` prost.-welt der escort-dame wird bewusst als aushängeschild eingesetzt, um die miese realität im weltweiten prost.-gewerbe zu verschleiern. das ist m.E. eine weitere tragik. http://www.tagesanzeiger.ch/wissen/geschichte/Der-Mythos-vom-aeltesten-Gewerbe/story/11038144
09.12.2013 um 13:43 Uhr Jutta Kühnel
Danke für den Artikel, verehrte Luise Pusch!
Dazu ist mir noch Folgendes eingefallen: Wird ein junges Mädchen, eine junge Frau, mit “Hure/Nutte/Flittchen” beschimpft, wenn sie voreheliche oder außereheliche lustbestimmte Beziehungen zu Männern hat, ist ja im Alltagsleben keinesfalls gemeint, sie würde Sex gegen Bezahlung machen. Offensichtlich spielt ja ihre Lust,ihr Spaß eine Rolle und impliziert im Umkehrschluss, dass eine Prostituierte Lust und Spaß hat. - Ja, das bilden sie sich wirklich ein, die Herren: Egal wie wampert, kahl oder stinkig ein “Freier” ist, egal, ob er der zehnte oder fünfzehnte Sexualkontakt am Tag ist: Mit IHM machts Spaß! - Männer, das größenwahnsinnige Geschlecht! - Männer, die großen (Sprach-)Verdreher!
09.12.2013 um 11:16 Uhr nullzeit
Vor einer Weile habe ich mich aus lit-wiss. Interesse mit der Heftromanserie “Die Rote Laterne—Schicksale von der Straße der Liebe” beschäftigt.
Neben allerlei Einblicken in die bürgerliche Seite der 70er-Sexualmoral, fand ich den Katalog an Begriffen, Um- und Zuschreibungen spannend. Eine unvollständige Liste der dort gefundenen Prostituierten-Beschreibungen im Folgenden:
Animiermädchen, Asphaltantilope, Biene (flotte), Bordsteinschwalbe, Callgirl, Dirne, Edelgewächs, Eros-Dame, Hure, Juwel, Käfer, Kätzchen, Käufliches Mädchen, Kokotte, leichtes Mädchen, Liebesamsel, Luder, Lustbiene, Luxusdirne, Luxusmädchen, Luxustülle, Luxusweibchen, Mätresse, Nutte, Nüttchen, Paradepferdchen, Pferdchen, Prostituierte, Professionelle, Rennmieze, Sexweibchen, Stardirne, Starbiene, Teures Gemüse, Tülle ...
Freier wurden übrigens häufig als “Galan” bezeichnet.
09.12.2013 um 10:40 Uhr Brunhilde Krüger
NICHT die Prostitution - den Frauen untergeschoben -ist das ‘älteste Gewerbe der Welt - sondern: hiermit die KLARSTELLUNG - das älteste Gewerbe der Welt ist die ZUHÄLTEREI - man(n) läßt für sich arbeiten
Dissidentin