Mutter-Witze
Vor ein paar Tagen schrieb mir meine Freundin Marlis:
Ich hab heute meinen Augen nicht getraut - Feuilleton ZEIT Nr.3, 13.1.11, S.37; ein Artikel von Peter Kümmel über die Witzkultur der Jugendlichen (=Bürschlein, wie sich am Ende herausstellt). Es geht um die sog. Mutter-Witze, über deren extreme Frauenfeindlichkeit der Autor kein einziges Wort verliert.
Ich wollte mich ihrem Protest gleich anschließen und einen erbosten Leserinnenbrief an die ZEIT schreiben, fand aber hier in Boston auf die Schnelle kein Print-Exemplar, und online fand ich den Artikel (noch?) nicht. [Nachtrag am 27.1.: seit heute gibt's den Artikel hier online.]
Deshalb schreibe ich heute eine Glosse über diese Mutter-Witze (von denen ich bis dahin noch nichts wußte), damit Leserinnen in Deutschland die ZEIT mit massivem Protest bewerfen.
Die „Witzkultur“ der Bürschchen tobt sich im Internet auf vielen Mutterwitze-Seiten aus, mindestens schon seit 2008. Gründlich habe ich das nicht recherchiert, weil die Beschäftigung mit diesen extrem frauenfeindlichen Zoten nicht nur die gute Laune verdirbt, sondern auch ungesund für die weibliche Galle ist, die bei der Lektüre dauernd hochkommt.
Jede, die mag, kann im Internet sofort fündig werden. Hier nur drei Beispiele von Tausenden, zum Abgewöhnen:
Deine Mutter ist wie eine Flinte, sie wird immer von hinten geladen! Deine Mutter kackt vorn Aldi, weil aufer Tür “Drücken” steht! Deine Mutter ist so fett die benutzt ne Matratze als Tampon!
Inhaltlich drehen sich diese pubertären Sprüche überwiegend um Sexualität, Fäkalien oder Fettleibigkeit - die drei großen Tabus unserer Kultur also. Da die Sprüche kurz sind, eignen sie sich prächtig zur Verbreitung auf Twitter und per SMS. Das ist wohl auch das einzig Neue an ihnen, die rasante Verbreitung „dank“ der neuen Medien.
Aufschlussreich ist, dass es immer „deine Mutter“ heißt, nie „meine Mutter“. Durch die Beleidigung der Mutter des Angesprochenen soll dieser selbst getroffen werden. Anscheinend trifft die Beleidigung der Mutter des Gegners in dieser „Kultur“ noch empfindlicher als die Beleidigung des Gegners selbst. Das ist innerhalb der Machokultur keineswegs neu. Frühere Generationen haben diese brisante Gefühlslage kodifiziert in Schimpfwörtern wie „Hurensohn“, „son of a bitch“ und „motherfucker“.
Daraus folgt, dass die extreme Frauenfeindlichkeit der Sprüche letztlich auf einer tiefen Verehrung der Mutter gründet. Die eigene Mutter ist unantastbar, mit ihrer Ehre steht und fällt die Ehre ihres Sohnes, und wer sie verleumdet, verletzt damit seine Ehre und trifft wirklich. Das tröstet uns allerdings kaum, zumal die kulturtypische Verachtung aller Frauen außer der eigenen Mutter sich in den "Deine-Mutter"-Zoten hemmungslos austobt. Dass es keine entsprechenden "dein-Vater-Witze" gibt, die das männliche Geschlecht als solches heruntermachen, zeigt, dass die Mutter-Zoten von Männern stammen. Jede Untersuchung der Schimpfwörter einer Sprache bringt dasselbe Ergebnis: Da die Zahl der Schimpfwörter gegen Frauen so viel höher ist als die der Schimpfwörter gegen Männer, ist es nicht schwer, die Verantwortlichen für den Verbalschmutz auszumachen.
Der Mann spaltet die Frau auf in die „Heilige“ (Mutter) und die „Hure“, findet sich in der selbstgebastelten Wirklichkeit nicht zurecht, schmiert manisch-sinnlos herum und macht - im Vergleich zur Frau, die keine „Dein-Vater-Witze“ produziert - wieder mal eine sehr schlechte Figur als Primitivling par excellence.
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11 Kommentare
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23.01.2011 um 19:40 Uhr Dürr
Interessant an allen Kommentaren ist, dass zwar die Herkunft der Wörter erforscht wird, nicht aber die Frage nach der Herkunft der Witze gestellt wird. Es ist ganz sicher nicht anzunehmen, dass Primarschüler sich solche “Witze” ausdenken. Kinder sind “nur” das Echo dessen, was zu Hause gesprochen wird! Also kann davon ausgegangen werden, dass diese Schmähungen vom Vater und/oder älteren Brüdern dieser Kinder stammen, ganz sicher aber von erwachsenen Männern aus der Umgebung der Kinder. Und der Journalist transportiert diese Familienkultur kritiklos einfach weiter. Frau kann sich vorstellen, wie die Stimmung in Redaktionssitzung gestiegen ist, wie mann sich lachend und Schenkel klopfend das Artikelchen reingezogen und abgesegnet hat.
Und frau kann sich ebenfalls vorstellen, wie indigniert, empört und zornig diese Herren auf Männerwitze reagieren. Sofort kommt: Männerfeindlichkeit! Ja, pflege ich in solchen Situationen zu sagen, ja männerfeindlich, denn meine Herren, sagen Sie mir einmal einen wirklichen Grund, weshalb Frauen Männer lieben sollten?! Es folgt in der Regel eine peinliche Stille und ein rigoroser Themenwechsel…
Die Frauenfeindlichkeit, ja der offensichtliche Frauenhass, der unübersehbar ist in diesem Artikel, fordert zur Frage heraus: Was haben die Frauen diesen Männchen sooo Schlimmes angetan, dass sie Frauen derart hassen?! Und auch hier ist die Antwort möglich, nämlich: NIchts, ausser Gutes in Form von Hege und Pflege, Schutz, Hilfe, Freundlichkeit und Beistand. Allerdings ist die Balace zwischen Männern und Frauen diesbezüglich derart aus dem Gleichgewicht, dass Männer ihr schlechtes Gewissen nur noch über Schmähungen und Hass zu erleichtern suchen, weil sie wissen, dass sie die empfangenen Wohltaten nie zurückgeben können! Von daher kommt auch die mimosenhafte Empfindlichkeit, die Angst vor den Frauen und eben wie gehabt, der Hass.
Frauen, die das durchschaut haben, fürchten sich nicht mehr vor dem “Liebesentzug” der Männer. Sie atmen auf - und merken bald, dass sie allesamt, die schmollten, zurückkehren, sich aber um Vieles höflicher, anständiger und freundlicher benehmen. Journalisten, wie Herrn Kümmel allerdings, sollte frau die Löffel langziehen dürfen!
lg
Dürr
22.01.2011 um 12:44 Uhr Carola Heine
Leider gibt es auch sehr viele “dein Vadda”-Witze, die kein bisschen erträglicher ausfallen. Gehört habe ich auch die bisher nur von Jungs.
20.01.2011 um 20:00 Uhr Anne
” motherfucker ” scheint lt. recherche i.d. rap-szene unter MILF (mom, I`d like to fuck) inzwischen `salonfähig` geworden zu sein - ein umgangssprachlicher, extrem vulgärer ausdruck für attraktive frauen mittleren alters, die aus der sicht junger männer eine attraktive sexualpartnerin darstellen. also zur schnellen bedienung, reduziert auf`s penetrieren und griffbereit f.d. herren . wenn ich richtig gelesen habe, hat sich dieser begriff inzwischen ausgeweitet auf den pornografischen sektor und gilt als feste genrebezeichnung für pornografie mit nicht mehr jungen frauen ... ganz typisch gelten doch gerade hier insb. für männer frauen als `hure` oder `heilige`, z.b. die eigene, heimische sexualpartnerin als heilige. aber auch männer, die nicht mit ihrer mutter `penetrieren` wollen bzw. sich `anständig` verhalten, werden so beschimpft, z.b. Obama (wie ich kürzlich gelesen habe) .
eine überaus vulgäre, hässliche bezeichnung, um wie o.a. auch `ältere ` frauen (ob mutter, schwester, fräundin, ehefrau) allgemein sprachlich gleich mit herabzuwürdigen.
nicht nur tsd. vulgäre `mutter-witze` geistern durch`s internet, auch auf you-tube oder von männern ins netz gestellte song-texte gleichen inhalts werden zur volksbelustigung angeboten.
`motherfucker` ist nicht einfach ein wort, das über dritte eingesetzt wird, um einer frau ein kompliment zu machen.
gut gesagt, liebe luise “..findet sich in der selbstgebastelten wirklichkeit nicht zurecht, schmiert manisch sinnlos herum und macht ..wieder mal eine sehr schlechte figur als primitivleg par excellence.”
all die mutter-witze, die ich inzwischen gelesen habe, bestätigen nur deine analyse! diese burschen verstecken ihre misogyne haltung hinter mutter-witzen. lt. Rolf Pohl “sexismus wird oft verlagert in witzchen etwa. ein offiziell tabuisiertes thema ..taucht als witz wieder auf. wenn man darüber lacht, schadet es frauen nicht direkt und man gilt deshalb nicht als sexist.”
19.01.2011 um 20:58 Uhr anne
interessantes auch in “das gelächter der geschlechter/ vatersprache - mutterland (beobachtungen zu sprache und politik)” von senta trömel-Plötz , warum es witzig ist, sich über frauen lustig zu machen und warum so selten gleichgeartete witze über männer gemacht werden.
die witzkultur mit den extrem frauenfeindlichen zoten i.d. sog. `mutter-witzen` zeigt , wie gewalt durch sprache gegen frauen eingesetzt wird (immer noch aktuell).
http://euster42.dyndns.org/mauthner/intro/troml1.html
19.01.2011 um 16:23 Uhr Alison
Frau vergisst, anscheinend, dass ein Motherfucker einer ist, der die eigene Mutter fickt - also ein unanstaendiger Kerl. Es ist doch eine Beleidigung fuer den Bursch gegenueber und nicht seine Mutter (oder hoechstens indirekt).
Die Diskussion errinnert mich an das Lisa Fitz Programm “Alles Schlampen ausser Mutti”.
18.01.2011 um 20:23 Uhr Amy
Nachtrag:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,524932,00.html
18.01.2011 um 19:24 Uhr Amy
Ich bin bei der Google-Suche nach sog. `Mutter-Witzen´ bis zur Seite 52 vorgedrungen und habe kapituliert vor all den misogynen Sprüchen. Auch Bild.de online mischt hier ordentlich mit , fordert die Community auf: “Wirklich alle deine Mütter-Sprüche mit dem Hinweis: Diese Sprüche sind gnadenlos fies. Bild sammelt deine Mutter-Sprüche.”
An den Autor ,Herrn Peter Kümmel, habe ich zu seinem Artikel meinen Unmut geäussert. Er schreibt zwar allgemein von Jugendlichen, vergisst dabei zu erwähnen, daß überwiegend männliche Jugendliche die Vulgär-Sprache und die sog. `Mutter-Witze` untereinander verwenden.
Nur zum Ende der Warnspruch `Ey, deine Mutter: Bürschlein, du bist längst durchschaut`.
Ja, die Bürschlein sind längst durchschaut, und
die eigene Mutter scheint beim Gebrauch der `Mutter-Witze` total ausgeblendet zu sein. Sicher gilt das für die meisten `Bürschchen` auch im wirklichen Leben. Die eigene Mutter ist eigentlich keine Frau, kein weibliches Wesen - vielleicht im übertragenen Sinne für die Männer doch ein Putzlappen ...?
DIE ZEIT scheint über die feministische Sprachkritik schlecht informiert zu sein. Es fällt mir auf, daß hier häufig im Maskulinum geschrieben wird. Z.B. im Artikel “Warum die SPD so traurig ist - mit ihrem Programm wollen die Genossen die Welt retten” . Genossen und Sozialdemokraten wiederholt der Autor, und frau könnte meinen, in der SPD gäbe es keine Frauen mehr.
Zurück zu den Witzen: Auch die Unart der sog. Blondinenwitze geht auf das Konto männlicher Witzeerzähler. Wie in den sog. Mutter-Witzen die gleiche misogyne, frauenabwertende Orientierung. Zeigt all das nicht die Angst der Männer vor Frauen ? Gegoogelt habe ich weiter unter `Witze über weibliche Hormone`- da sieht es nicht viel anders aus. Die Abwertung des Weiblichen aufgrund männl. Wahn-Vorstellungen geht unbeirrt weiter.
Das Geheimnis des männlichen Witzes dagegen hat ein britischer Forscher herausgefunden. Testosteron macht witzig - Humor habe den Aspekt der Zerstörung und man möchte den Gegner sozial zerstören. In diesem Fall die ” Mutter/Frau ” ? Ich meine auch diese Art von Humor geht viel tiefer in die gesellschaftliche Realität hinein. Lt.Welt Online “aggressive und diskriminierende Witze über Juden, Polen, Blondinen, Ostfriesen und Schwiegermütter sind Männersache.”
Schrecklich - llg Amy!
Das Geheimnis des männlichen Witzes, Spiegel Online vom 22.12.2007 lässt sich nicht verlinken! Wird nachgereicht.
18.01.2011 um 16:20 Uhr Lena Vandrey
Dieserart Zoten sind in Frankreich gang und gäbe und eine Männer-Gröl-Gruppe heißt sogar “Nique ta mère” = “Fick’ deine Mutter!”
Einmal sang ein Typ zur Gitarre ein Lied des Titels “Motherfucker”, entschuldigte sich aber vorher bei mir, weil ich die Einzige war, die Englisch verstand…
Es gibt aber noch Besseres: ein Arzt und Bürgermeister und Kommunist, den ich um Strom für unser Haus anging, sagte: es gibt nur zwei Sorten Frauen, “la truie vaginale” und die “Marie-Saloppe, Marie-couche-toi-là”, also: “die vaginale Sau” und die “Marie-Schlampe-leg-dich-lang!”
Ich fragte ihn daraufhin, in welche der Kategorien er seine Frau Mutter denn einordnen würde? Er schwoll rot an und schrie: Raus, raus!
Wenn ihr solche Bürschchen einmal live erwischt oder im Netz, dann kontert doch, wenn möglich!
Zwischen französisch-arabischen Männern gibt es auch das gefährliche “Nique ta soeur” = “Fick’ deine Schwester!”, welches als völlig natürlich in den Sprachgebrauch eingegangen ist.
Die Wörter “niquer” und “ficken” kommen beide vom französischen “forniquer”, und dieses alte Wort, von Napoleon nach Deutschland exportiert, ist komischerweise nicht unanständig und verletzend, wohl weil zu lang für den kurzen Verstand der Primitivlinge, oder weil es witzig ist, mutterwitzig und ironisch. Die zwei Kurzformen “niquer” und “ficken” aber sind ins Gemeine gefallen und gehören dem Schmierfink ganz alleine.
Beste Grüße,
Lena Vandrey.