Müller, Schmidt & Co: Frauen räumen ab
“Herta hat gewonnen”, verkündete der Sprecher am 8. Oktober in den TV-Nachrichten. “Nicht Hertha BSC, aber Herta Müller, auch aus Berlin. Sie bekommt den Literatur-Nobelpreis.”
Und dann wurde weiter geflapst in den Medien. Elke Heidenreich (stern.de) rühmte die Autorin vorbehaltlos, empfahl ihr aber nachdrücklich eine andere Frisur, etwa in der Art wie ihre eigene. Ob das nun wieder so günstig wäre? Ich erinnere mich nicht, anlässlich des Nobelpreises für Günter Grass gelesen zu haben, er solle sich nun aber gefälligst von seinem missfarbenen Schnauzbart trennen.
Harald Schmidt hatte es auch mit Herta Müllers derzeitiger Frisur, ließ ihr letztes Buch Atemschaukel zersägen und erklärte, die Schriftstellerin erinnere ihn auffällig an Max Schreck, den Titelhelden aus Murnaus Vampir-Film Nosferatu. Und Bild titelte dazu: “Harald Schmidt zersägt Herta Müller (ihr Buch)”. Die Präzisierung scheint tatsächlich notwendig.
Ja, die scheue Nobelpreisträgerin ist endgültig in den Medien angekommen. Früher gab es wunderschöne Lieder auf “Die schöne Müllerin”. Diese Zeiten sind vorbei. Als Kathrin Schmidt am vergangenen Montag den Deutschen Buchpreis bekam, sah Bild das wie folgt: “Kathrin Schmidt schlägt Nobelpreisträgerin Herta Müller”.
Am Freitag schauten wir zum Spätstück mal auf das “Blaue Sofa” zur Frankfurter Buchmesse (ZDF-Dokukanal). Rüdiger Safranski verbreitete sich über Schiller und Goethe. Das Publikum war mehr als zahlreich, es quetschte sich bis in die hintersten Ecken. “Der hat aber viel Publikum!” wunderte sich Joey. Des Rätsels Lösung kam bald: Nach Safranskis Abgang nahm Herta Müller auf dem Sofa Platz, die Leute waren ihretwegen gekommen und hatten, um sich einen guten Platz zu ersitzen, Safranski in Kauf genommen.
Den Nobelpreis ließen Herta Müller und ihre Interviewerin links liegen und kamen gleich zur Sache, ihrem neuen Roman Atemschaukel über das Schicksal rumäniendeutscher ZwangsarbeiterInnen in sowjetischen Lagern nach dem zweiten Weltkrieg. Müller zog das zunächst noch unruhige Publikum mühelos in ihren Bann, gerade weil das nicht ihre Absicht schien. Sie hatte eben etwas zu sagen, und das Publikum dankte es ihr. In all dem Messetrubel brachte Herta Müller uns in Erinnerung, was die Aufgabe der Literatur eigentlich ist.
Der Spiegel betitelte seine Übersicht über Kommentare der Internationalen Presse mit “Die Feministinnen freuen sich”. Ich denke, jede Frau, die sich über die unsinnige Verteilung der Ressourcen und Preise auch nur ein wenig Gedanken macht, freut sich über die Entscheidung des Nobel-Komitees. Mit dem Reizwort “Feministinnen” soll diese Freude gedämpft werden - denn “richtige Frauen” sehen das nicht so verbissen, sondern wollen nur, dass die oder der Beste den Preis bekommt. Nur die Feministinnen sind so engstirnig, dass sie den Männern den Preis nicht gönnen. Dabei hätte doch Philip Roth den Preis nun wirklich endlich mal verdient.
Aber nicht nur die Feministinnen sind begeistert. Es freuen sich außerdem - die Deutschen: “Zum ersten Mal seit 1999 (Grass) geht der Preis wieder nach Deutschland” lesen wir überall. - die Vertriebenen - die Menschen, die in einer Diktatur leben - ganz Berlin (laut Wowi) - die Rumäniendeutschen und die RumänInnen - die EinwohnerInnen von Nitzkydorf im Banat, Herta Müllers Geburtsort
Und die Frauen wie gesagt, die dies Jahr überhaupt satt abgeräumt haben: Von den 6 Nobelpreisen gingen vier an Frauen: ⅔ des Medizinpreises (Greider und Blackburn), ⅓ des Chemiepreises (Yonath), 1/2 des Wirtschaftspreises (Ostrom) und der Literaturpreis.
Wahrscheinlich freut sich auch Hertha BSC nicht schlecht. Und bestimmt auch alle anderen, die Herta heißen. Insofern ist es schon recht, dass weder Joeys Favoritin (Christa Wolf) noch meine (Swetlana Alexijewitsch) diesmal den Preis bekommen hat. Denn so ist die Fräude schließlich viel größer, können sich doch auch alle freuen, die Müller heißen.
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8 Kommentare
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05.02.2011 um 21:22 Uhr Bennett21Tabitha
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20.10.2009 um 18:11 Uhr Oliver
@ Katja
Ich fürchte, das ist der Punkt: Die meisten Kritikerinnen und Kritiker sind gekauft. Von den LeserInnen, von den Buchhandlungen oder von den Verlagen. Man muss sich nur den enormen Anteil derjenigen Rezensionen ansehen, die sich auf Bücher grosser Verlage beziehen. Kleine Verlage, mögen sie sich noch so sehr mit der Qualität des Verlegten hervorgetan haben, haben kaum eine Chance, erwähnt zu werden. Es geht ums Geschäft, und dabei spielt vielleicht weniger das Geschlecht eine Rolle. Aber ich bin vollkommen deiner Meinung, dass die Berichterstattung oftmals merkwürdig und sexistisch ist. Auch eine Zoë Jenny wurde herabgewürdigt, als man sie - wie andere ihrer Kolleginnen - als Fräuleinwunder - bezeichnet hat. Und der Kommentar, die Auszeichnung von Jelinek und Müller sei “politisch korrekt”, ist eine Frechheit.
20.10.2009 um 16:36 Uhr Katja
@ Oliver:
Was mich ärgert ist, dass der Literaturnobelpreis für Jelinek und auch Herta Müller in vielen Kommentaren in Frage gestellt bzw. abqualifiziert wurde, z.B. mit Kommentaren wie “politisch korrekt”, implizierend, dass der Preis aus politischen Erwägungen heraus an eine Frau gegangen ist, nicht aus fachlichen.
Im Gegensatz dazu werden vor allem die Namen Roth und Auster immer wieder genannt, ohne dass ich jemals eine Erklärung dafür gelesen habe, was denn nun ausgerechnet diese beiden auszeichnet.
Ich erwarte eigentlich von KritikerInnen (und das Nobelkommittee besteht ja de facto aus KritikerInnen), dass sie mir nicht erzählen, was ich aus jeder Verkaufsstatistik ablesen kann, sondern einen geschulteren, umfassenderen Blick haben. Gerade für Literatur aus anderen Kulturkreisen, von AutorInnen, die nicht den üblichen Verdächtigen entsprechen.
Wenn es nur nach Verkauf ginge, dann kann man ja auch Joanne Rowling für ihre Potter-Bücher auszeichnen. Oder warum ist das Mainstream und Auster / Roth nicht?
20.10.2009 um 14:59 Uhr annorlunda
Der Literaturnobelpreis ist ein Preis, der nach “Geschmack” vergeben wird und immer werden AutorInnen sich übergangen fühlen. Was ist denn preiswürdige Literatur - vielgelesene? neue Sprachformen? interessanter Inhalt? Bis auf die Anzahl verkaufter Bücher ist es schwierig, den Wert von AutorInnen zu messen.
Dass diesmal endlich eine Frau einen Anteil am Wirtschaftspreis bekommen hat, ist doch viel bemerkenswerter. Es wäre interessant zu wissen, wie die Frauenquote bei den Nobelpreisen mit der Anzahl von Forscherinnen in den einzelnen Bereichen zusammenhängt.
20.10.2009 um 06:32 Uhr Anne
Ich fräue mich auch, dass eine frau den literatur-nobelpreis 2oo9 erhalten hat. Herzlichen glückwunsch!
Übrigens - von “alten” männern, die ” probleme” mit jungen frauen haben, scheint in der literatur doch genügend stoffliches vorzuliegen. Goethe litt doch auch so unsäglich an seiner männl. hybris und meinte noch im hohen alter , seine äusseren reize bei jungen frauen müssten sie zum niederknien veranlassen…
Nach einer umfrage in der buchhandlungskette Hugendubel gaben 2/3 der frauen an, regelmässig zu lesen. Bei den männern war es nur die ca. hälfte. 28 prozent der männer und 15 prozent der frauen lesen sogar überhaupt nicht.
Aber auch Elke Heidenreich wollte in ihrer sendung die menschen zu mehr lesen animieren.
Auch sie musste feststellen, dass männer weniger interessiert, was frauen denken, weniger bücher lesen und weniger bücher von frauen.
In einem interview sagte sie “immer mehr menschen lesen gar nicht. Die tun mir leid. Die wissen nicht, was in der welt vor sich geht. Das trifft auf die meisten männer zu. Frauen lesen mehr.”
Frauen, die lesen , sind gefährlich - bis frauen das lesen erlaubt wurde, vergingen jahrhunderte. Auf diese weise eignen sie sich wissen und erfahrungen an, die ursprünglich nicht für sie bestimmt waren (lt. Stefan Bollmann)
Und die FAZ sprach sogar in einer buchbesprechung, dass ein buch den mann im haus ersetzt. Hier bekennt auch E. Heidenreich, daß mit zunehmendem alter bücher wichtiger werden als männer. Männer, so schrieb sogar Gottfried Benn, wollen doch nicht an einem gehirn von einer frau berührt werden, sondern ganz woanders.
Ein wirklich wahrer unterschied.
Bisher haben doch männer bei der literaturpreisvergabe immer stark abgeräumt. Immerhin waren es 93 gegenüber 12 frauen.
Da haben frauen eine menge aufzuholen. Hoffentlich in den kommenden jahren mit Christa Wolf und Swetlana Alexijewitsch.
Apropos bücher von feministinnen - hier kennen sich männer noch weniger aus; nur in ihrem subjektiven , häufig negativen urteil über feministinnen scheinen sich viele einig zu sein. Sehr merkwürdig.
http://www.bzw-weiterdenken.de/index.php?m=artikel&rub=2&tid=222
19.10.2009 um 18:41 Uhr Oliver
Wenn ich den Beitrag und die Beiträge zu dem Beitrag so lese, kommen mir vor allem Zweifel und Fragen. Vielleicht verstehe ich aber auch nicht genau, worauf frau dieses Mal hinaus will. Deshalb formuliere ich an dieser Stelle meine Fragen, ohne zu verhehlen, dass manche Antwort schon enthalten ist ... Haben Frauen in den letzten 20 Jahren wirklich Literaturpreise nicht bekommen, weil sie Frauen waren? Gibt es Belege und Zahlen in diesem Zusammenhang? Muss Literatur universelle Themen abhandeln? Was sind überhaupt universelle Themen? Muss sich jede und jeder in der Literatur wiedererkennen oder -finden können? Oder kann es für Frauen auch spannend sein, von alten Männern zu lesen, die Probleme mit jungen Frauen haben, so wie es für Männer spannend sein kann, von jungen Frauen zu lesen, die Probleme mit alten Männern haben (jede andere Kombination ist ebenfalls denkbar)? Kann es sein, dass Paul Auster und Philip Roth einfach relativ wichtige Schriftsteller sind, die jahrzehntelang relativ gute Literatur geschrieben haben? Kann es sein, dass Elfriede Jelinek trotzdem wichtiger ist und sie deshalb auch den Nobelpreis erhalten hat? Kann es sein, dass viele wichtige Autorinnen und Autoren den Nobelpreis nicht erhalten haben, sogar einige der wichtigsten, wie Nabokov und Kafka? Ist es richtig, dass heutzutage Verlage Autoren ablehnen können, nur weil sie nicht das richtige Geschlecht (nämlich das weibliche) haben? Ist das nicht etwas, was man wie jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ablehnen müsste? Egal, welchen Geschlechts man ist? Genug gefragt und geantwortet. Herta heisst eine meiner Figuren in einem meiner Romane. Sie ist eine der wenigen weiblichen Nebenfiguren; denn meistens habe ich weibliche Hauptpersonen. Trotzdem spielt sie eine Hauptrolle.
19.10.2009 um 10:39 Uhr Katja
Ich werde nie verstehen, warum ausgerechnet Philip Roth und Paul Auster immer wieder als Kandidaten gehandelt werden. Und John Irving gleich dazu.
Wenn ich die Klappentexte ihres jeweils neuen Buches schon lese, kriege ich jedes Mal die Krise. Alte Männer, die nicht klarkommen und ihr Leben durch Sex mit jungen, meist untergebenen Frauen / Frauentausch etc noch verkomplizieren. Kein universelles Thema (außer man hält weiße Mittel- bis Oberklassemänner der USA für den Nabel der Welt) und keine Sprache, die einen neuen, einen notwendigen Stil kreirt. Das kam mir bei Jelinek damals schon in den meisten Rezensionen viel zu kurz: Ihre Sprache, mit der sie versucht diesem alltäglichen Grauen (in Dörfern und Familien), dieser Überhöhung von Naturrecht eine Form zu geben, nicht nur les-, sondern auch erlebbar.
19.10.2009 um 00:05 Uhr Susanne Frank
Hier in Grossbritannien haben dieses Jahr Frauen die beduetenden Literaturpreise bekommen, was von vielen Medien hervorgehoben wurde (zusammen mit Herta Mueller’s Nobelpreis). In den Jahren, in denen vor allem oder ausschliesslich Maenner gewonnen haben, war das Geschlecht kein Thema…
Alice Munro hat den International Man Booker Prize fuer ihr Gesamtwek gewonnen, und Hilary Mantel hat den Booker Prize gewonnen, fuer ‘Wolf Hall’. Und in den USA hat Elizabeth Strout fuer ‘Olive Kitteridge’ den Pulitzer Preis bekommen. Hurrah!