Meine Freundin, die Baum
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Einundfünfzigste Lektion.
Gemeint ist nicht Vicki Baum, obwohl wir ihrer in diesen Wochen besonders herzlich gedenken, zum 50. Todestag.
Nein, ich denke an “richtige Bäume”. Sie gehören sicher zu den liebenwertesten Geschöpfen dieser Erde; sie spenden Schatten, binden CO2 und stehen klaglos und ohne viel Worte zu machen ihr ganzes Leben lang aufrecht, wie ein tschechischer Dichter mal bewundernd vermerkte.
Auf ihre ganz eigene Weise illustrieren sie die tiefe Erkenntnis Pascals: “ Ich habe entdeckt, dass alles Unglück der Menschen von einem einzigen herkommt: dass sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.«
Wie sinnig ist es daher, dass die Bäume alle weiblich sind:
Die Akazie, die Birke, die Buche, Eibe, Eiche, die Erle, Esche, Fichte, die Kastanie, Kiefer, Lärche, die Linde, Palme, Tanne, die Ulme, die Weide
Nur der Ahorn tanzt aus der Reihe. Und auch der Baum ist männlich. Das sollten wir ändern.
Und warum sind die Bäume alle weiblich? Darüber rätseln die Gelehrten schon lange. Die griechische Sage kennt die Dryaden (Baumnymphen); sie bewohnen die Bäume als gute Geister und sterben mit ihnen. Deswegen, meint die klassische Philologie, werden die Bäume z.B. im Lateinischen als “von Natur weiblich” aufgefaßt. Denn obwohl ihr grammatisches Geschlecht oft männlich ist - quercus (Eiche), pinus (Kiefer), malus (Apfelbaum) - erlauben sie Attribute nur in femininer Form: quercus alta (hohe Eiche), pinus bella (schöne Kiefer). Das “männliche Aussehen” dieser Wörter hat später oft zum Geschlechtswandel geführt, weshalb die Kiefer heute zum Beispiel auf Französisch le pin, auf Italienisch il pino und auf Spanisch el pin heißt.
Die deutschen Baumnamen waren widerstandsfähiger und blieben weiblich. Und überhaupt - was haben gute altdeutsche Wörter wie Birke, Buche, Esche, Erle und Linde mit griechisch-römischen Baumnymphen zu schaffen? Da steckt doch sicher mehr dahinter, und ich denke/hoffe, dass meine matriarchats- und göttinnenkundigen Leserinnen uns hier bald aufklären werden.
Von Heine stammt ein Gedicht, das gern herangezogen wird, um die symbolische Bedeutung des grammatischen Geschlechts zu illustrieren:
Ein Fichtenbaum steht einsam Im Norden auf kahler Höh'; Ihn schläfert; mit weißer Decke Umhüllen ihn Eis und Schnee. Er träumt von einer Palme, Die fern im Morgenland Einsam und schweigend trauert Auf brennender Felsenwand. Aus Lyrisches Intermezzo (1822-23), Nummer 33).
Um eine Hetero-Schnulze zu evozieren, vermännlicht Heine die Fichte zum “Fichtenbaum” - wie schade. Dabei hat doch in Wirklichkeit eine Fichte von einer Palme geträumt! Auch um in Zukunft solche Willkür und Denaturierung gar nicht erst aufkommen zu lassen, sollten wir ab sofort die Baum sagen.
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
10 Kommentare
Nächster Eintrag: Das Lied von Bernadette La Hengst
Vorheriger Eintrag: “Elternteil” aufs Altenteil
21.09.2010 um 17:57 Uhr Angelika
vielen Dank liebe Luise, welch schönes Feminar !
Die Fräude darüber wird mich von nun ab begleiten :-) Ich gehe mal eine Baum umarmen ...
20.09.2010 um 18:01 Uhr Amy
Falls es interessiert, Baumgesichter “PlatanenGöttin Nabel-Femina”
http://baumgesichter.blogspot.com/2010/05/baumgestalt-platanengottin-nabel-femina_6946.html
20.09.2010 um 15:13 Uhr Evelyn
Das Verhältnis zur Natur ist ursprünglich weiblich geprägt gewesen. Nichts mit Raubbau an der Natur. Dies zeigen uns die ehemaligen Matriarchate, die einen empathischen Umgang mit der Natur pflegten. Diese wurden nämlich von einem ganzheitlichen Weltbild getragen. Menschliche Schöpfung und göttliche Schöpfung waren eins. Sinnlichkeit wurde frei gelebt, basierend auf dem Wissen, dass das Weibliche Leben schenkt. Ökologie und Ökonomie standen in starker Verbindung zueinander, der Mensch fühlte sich eingebunden in die Rhythmen von Natur und Zeit. Frauen und Männer hatten sich ergänzende Aufgaben und beide Geschlechter wurden gewürdigt. Leben und Spiritualität standen in fließendem Austausch miteinander, die Spaltungen und Trennungen des nachfolgenden Patriarchats hatten noch keinen Raum. Glücklichweise gibt es heute Bestrebungen, d i e s e Art der Gesellschaftsgestaltung wiederaufzugreifen!
(Wer sich genauer informieren möchte: „Die Quellen der Philosophie sind weiblich“ von der Philosophin und Kulturhistorikerin Ingrid Straube)
20.09.2010 um 12:16 Uhr Anne
es heisst, unterschiedliche baumarten könnten nicht zu einem stamm werden, aber die kirsche und die buche und andere baumarten versuch(t)en es trotzdem.
ein schönes gedicht von Louise von Plönnies (7.11.1803-22.1.1872) so feministisch, liebevoll, fräundinlich und unbeschreiblich lesbisch ;-)
“zwei bäume hab ich einst im wald gesehn, die wollten sich einander nahe stehn. sie schau`n sich an voll sehnsucht, möchten gern sich fest umschlingen;
doch sie stehn zu fern, denn andrer grund ist jede angewiesen, darin des lebens starke wurzeln sprießen. so neigt sich still jede still zur anderen hin - die eine scheint die andere anzuzieh`n - bis es zuletzt gelingt den schlanken zweigen, sich in den kronen liebend zu erreichen.
wie sie die äste in einander flechten, sind sie beschirmt von liebevollen mächten;
in blauen lüften, wo die wolken jagen, da dürfen sie sich ihre sehnsucht klagen.
sie dürfen blüth um blüthe selig tauschen, an ihren düften wonnig sich berauschen.
sie stehn vom licht des abendroths umglüht, gleich wie von tausend rosen überblüht;
verklärend webend aus der himmelsferne ihr heilig licht darum die ew`gen sterne.
so möcht ich mich mit dir zur höhe schwingen, mit tausend liebesarmen umschlingen, mit meines herzens innigstem gedanken dich unauflöslich fassend und umranken.
so möcht ich deinem höchsten leben lauschen,
so möcht ich seel`um seele mit dir tauschen, hoch über`m düstern nebelreich der erden, im himmelblau mit dir vereinigt werden, wo keines menschen augen auf uns seh`n , wo nur die sterne auf und niedergehn.”
20.09.2010 um 12:10 Uhr lfp
@Gudrun:
Danke für die Hinweise auf das Wasser! Die Flüsse - in Deutschland fast alle weiblich, bis auf Rhein, Main und Inn - hatte ich ursprünglich auch mit bearbeitet, ebenso wie die Städte und Länder. Stadt, Land, Fluss - alles weiblich im Lateinischen!
Aber die Glosse wurde zu lang, und so kommen diese weiblichen Schönheiten ein andermal dran!
20.09.2010 um 11:53 Uhr Gudrun Nositschka
Ich rege an, auch “die Fluss” zu denken und zu sagen. Fast alle Flüsse, Bäche, Seen und Quellen tragen weibliche Namen und sind mit Göttinnen verbunden, sogar unser “Vater Rhein” ist eigentlich eine Göttin Rhianon. Die Namen von Flüssen außerhalb von Europa wurden in der Kolonialzeit vermännlicht, sehr beeindruckend die Ganga, aus der im Deutschen der Ganges wurde. Wasser wird ganz stark mit Mutter identifiziert, da es Leben spendet. Bei Gerda Weiler habe ich den Hinweis gefunden, dass das Fruchtwasser, in dem wir herangewachsen sind, mit dem Meerwasser gleichgesetzt wird, vermutlich auch, weil es ähnlich salzig ist.
20.09.2010 um 01:04 Uhr Amy
Die überwiegend weibl. Baumnamen erinnern daran, dass in früheren Zeiten Bäume oft mit Frauen/Göttinnen identifiziert wurden. Die Platane wurde der `Grossen Göttin` geweiht, die Linde der `Göttin der Liebe` usw. In Ägypten des Alten Reiches (ca. 2700-2000 v. Chr.) haben die Menschen in Maulbeerfeigen-, Feigen- und Granatäpfelbäumen wie in Dattelpalmen die Anwesenheit vor allem weibl., lebenspendender Göttinen verehrt.
Weiblichkeit wurde schon in sehr alten Zeiten mit Gerechtigkeit und Intelligenz assoziiert und mit dementsprechenden Göttinnen in Verbindung gebracht.
Das zentrale religiöse Symbol war eine gebärende Frau statt eines sterbenden Gekreuzigten. Leben und Lebensfreude, nicht Tod und Todesangst spielten in jener Gesellschaft und ihre Kunst eine dominierende Rolle.
In der Beschreibung des Schöpfungsmythos der Ureinwohner Australiens gibt es eine Geschichte, die erzählt, wie die Männer den Frauen die magischen Gerätschaften stahlen und die Frauen viel zu sehr mit ihren Alltagssorgen beschäftigt waren, um sich darum zu kümmern. Das Zitat eines solchen Eingeborenen zu dieser Geschichte:
“Wir haben den Frauen alles gestohlen, was ihnen gehört hat ...Wir Männer haben nichts wirklich Besonderes zu vollbringen, außer zu kopulieren ...Alles gehört den Schwestern, das Baby, das Blut, die Schreie, ihre Tänze, dies alles betrifft die Frauen. Wir mußten sie überlisten…denn am Anfang hatten wir nichts. Wir haben den Frauen diese Dinge weggenommen.”
(Quelle: Die Urkulturen und das Matriarchat)
“Das mitfühlende, empfangende und spendende weibliche Geschlecht blieb infolge patriarch. Machtkontrolle fortan i.d. meisten Kulturen im Hintergrund - gedrückt, abgelehnt, unterdrückt. Unter den fadenscheinigsten Begründungen erfuhren die Frauen über einen langen Geschichtszeitraum wenig Achtung, Wertschätzung und Anerkennung.
Die lebenspendende BaumGöttin steht ebenfalls f.d. Schöpfung und Erhaltung des Lebens und Lebensraumes.”
Quelle: Baumgestalt - Platanengöttin / Ur-Weiblich ist die BaumGestalt der Platane (leider lässt sich hier die Webseite mit den schönen Baumfotos zur Platane NabelFemina nicht verlinken)
19.09.2010 um 23:25 Uhr Dürr
Danke, liebe Luise, wieder ein schöner Gedanke von Dir! Vielleicht erinnerst Du Dich: Vor vielen Monaten hatte ich Dir doch erzählt, dass ich meinen Nussbaum schon vor Jahren “Luise” getauft habe. Warum kann ich nicht sagen, für mich ist dieser kraftvolle, riesige Baum einfach so etwas wie der Inbegriff von Weiblichkeit: Fest im Boden verwurzelt, spendet meine Luise nicht nur Schatten, sondern auch heilkräftige Blätter und wunderbare Nüsse und - eine besonders weibliche Eigenschaft - er wächst über mein Haus hinaus und beschützt es. Und inzwischen ist meine Bank an seinem Stamm der Platz für die morgendliche Meditation geworden. Die Nussbaum grüsst Dich!
Dürr