Generisches Femininum erregt Maskulinguisten, Teil 2: Plötzlich weiblich?
Am 7. Juli erschien in der „Welt“ eine weitere Polemik gegen die Einführung des generischen Femininums an der Uni Leipzig, betitelt mit „Wie sexistisch ist die deutsche Sprache?“. Darin behauptet der Sprachwissenschaftler André Meinunger (Jg. 1969) allen Ernstes:
Das Deutsche ist so gerecht und frauenfreundlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht.
Und wie begründet Meinunger diese erstaunliche Meinung? Er schreibt: „Das Pluralpronomen ist identisch mit der weiblichen Singularform. Also: Selbst wenn eine reine Männergruppe schießt oder alle Männer schwitzen, heißt es 'sie schießen' oder 'sie schwitzen'."
Seine Formulierungen sind „butterweich“, vorsichtig, ausweichend, denn schließlich hat er als Sprachwissenschaftler einen Ruf zu verlieren und kann nicht einfach behaupten, der Plural sei im Deutschen feminin, denn er ist es nicht. Meinunger sagt stattdessen folgendes:
Die Pluralform ist die weibliche. Wir sagen so selbstverständlich "sie", dass es gar nicht auffällt. Rein synchron, also auf den gegenwärtigen Sprachzustand bezogen, und formal, also auf die äußerlich sichtbare Erscheinung bezogen, ist das Pluralpronomen identisch mit der weiblichen Singularform. (Hervorhebungen von mir).
In meinen Vorträgen meldet sich auch schon mal dieser Turnlehrer oder jener Landwirt und ereifert sich, was wir Frauen denn bloß hätten von wegen Männersprache Deutsch. Schließlich sei doch der gesamte Plural weiblich. Es heiße „der Mann“, aber „die Männer“ und „sie“. Wie ich schon des öfteren in dieser Debatte verlauten ließ, pflege ich zu kontern: Ja, und außerdem ist „Mutter“ männlich, denn es heißt „der Mutter“, wie in „Gib der Mutter einen Kuss“. Dieser Versuch, derartige Einwürfe von Turnlehrern ad absurdum zu führen, wirkt meist umgehend.
Zwischen jenen Turnlehrern oder Landwirten und Sprachwissenschaftler Meinunger besteht allerdings ein feiner Unterschied. Meinunger geht nie so weit zu behaupten, der Plural sei im Deutschen weiblich. Niemals vergisst er dabei das entscheidende Wörtchen „formal“. Formal stimmt das Pluralpronomen „sie“ mit dem weiblichen Singularpronomen überein. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass deswegen der Plural im Deutschen weiblich ist. Das Genus eines Substantivs ist im Deutschen, genau wie in anderen Genus-Sprachen, ein unveräußerlicher Bestandteil des Wortes, es wechselt weder von einem Kasus zum nächsten (die Mutter, der Mutter / die Väter, der Väter) noch vom Singular zum Plural (der Mann, die Männer).
Wenn im Deutschen der Plural weiblich wäre, hätten wir das natürlich längst gemerkt, und zwar am pausenlosen Gezeter der Männer. Denn kein Mann mag eine unfreiwillige Geschlechtsumwandlung durchmachen nur, weil er im Rudel auftritt, als Teil einer Männermenge. Nehmen wir Meinungers Beispiel und ergänzen es ein wenig: „Die Männer schwitzen, sie haben sich alle angestrengt, der eine mehr, der andere weniger.“ Wäre „die Männer“ plötzlich feminin, müsste es hier heißen „die eine mehr, die andere weniger“.
Die feministische Linguistik favorisiert Ausdrücke wie „die Studierenden“ anstelle des angeblich geschlechtsneutralen „die Studenten“. Warum wohl sollte sie das tun, wenn „die Studenten“ weiblich ist? Nun, weil eben „die“ nur „der Form nach“ weiblich ist, keineswegs der Funktion nach, und die entscheidet hier ALLES. Woran erkenne ich die Funktion? Am Kontext. An dem, was diese Wörter „nach sich ziehen“. Ich kann sagen:
Keiner der Studenten, nicht einer, hat seine Hausarbeit abgegeben. Klingt nicht gerade weiblich. „Keine der Studenten, nicht eine, hat ihre Hausarbeit abgegeben“ ist dagegen ungrammatisch. Aber ich kann sagen: „Keine der Studierenden, nicht eine, hat ihre Hausarbeit abgegeben.“ Genauso korrekt ist die männliche Version: „Keiner der Studierenden, nicht einer, hat seine Hausarbeit abgegeben.“ Dass beides korrekt ist, liegt daran, dass Ausdrücke wie „die Studierenden“ geschlechtsneutral sind, denn sie können sowohl auf „die Studierende“ als auch auf „der Studierende“ zurückgehen.
Wie gesagt, Meinungers Ausdrucksweise ist vorsichtig. Er will sich als Sprachwissenschaftler denn doch nicht bei der blödsinnigen Behauptung erwischen lassen: „Der Plural ist im Deutschen weiblich“.
Obwohl er das also nicht sagt, zieht er aber aus dieser nicht gemachten, dem „dummen Volk“ (das solche haarfeinen Unterscheidungen nicht gewohnt ist) aber nahegelegten Behauptung eine Schlussfolgerung: „Das Deutsche ist so gerecht und frauenfreundlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht.“ Dieser Unsinn wäre nicht einmal dann zutreffend, wenn im Deutschen der Plural tatsächlich weiblich wäre.
Ziemlich perfide Trickserei, finde ich.
In seiner „Anleitung zu mehr Gelassenheit“ empfiehlt Meinunger uns schließlich, wir sollten uns an den Homosexuellen ein Beispiel nehmen:
Es ist an der Zeit, gelassener zu werden. Viel einfacher, als sich gegen historisch gewachsene und allgemein akzeptierte Sprechweisen zu stellen, ist es, sich bestimme Sachen zurechtzulegen und sie dann zu akzeptieren. Kaum etwas ist beeindruckender als der (bis jetzt ziemlich) gelungene Versuch der Homosexuellen, die Euphemismus-Tretmühle zu stoppen oder zu unterlaufen.
Schwul, früher Schimpfwort, ist heute ein neutraler Begriff. Der vorliegende Beitrag ist allerdings kein Plädoyer, sich irgendetwas ein- oder schönzureden, sondern dafür, die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass im Plural eine weibliche Vorherrschaft existiert – im Singular eine männliche. Es ist ausgeglichen.
Ist Ihnen an dem Text etwas aufgefallen? Meinunger begeht jenen typischen, von unserer Männersprache induzierten Denkfehler, der aus „Homosexuellen“ (geschlechtsneutral) automatisch „Schwule“ macht und damit die Lesben zum Verschwinden bringt. Und das, obwohl "die Homosexuellen" angeblich weiblich ist!
• Dies zum einen.
• Zum anderen existiert im Plural keine weibliche Vorherrschaft - diese Behauptung ist ein schlechter Scherz, dumm oder bewusst irreführend (demagogisch).
• Drittens IST die feministische Sprachkritik ein gelungener Versuch, „die Euphemismus-Tretmühle zu stoppen oder zu unterlaufen“. Wörter wie „Lesbe“ haben wir vom Schimpfwort zur stolzen bis „gelassenen“ Selbstbezeichnung aufgewertet - und nicht nur dieses eine Femininum, sondern SÄMTLICHE weiblichen Personenbezeichnungen, die üblicherweise männlichen Personenbezeichnungen weichen müssen, sowie nur ein einziger Mann ins Spiel kommt.
Und überhaupt: Dass Meinunger die auf den Wortschatz begrenzten Sprachprobleme von Lesben und Schwulen mit der tief in die Grammatiken der Genus-Sprachen verankerten Diskriminierung aller Frauen gleichsetzt, zeugt von profunder Unkenntnis der Problematik.
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12 Kommentare
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05.08.2013 um 15:55 Uhr Amy
Untersuchungen zeigen , daß unter Sechsklässlern Begriffe wie Schwul und Schwuchtel noch als Schimpfworte eingesetzt werden. Es wundert mich nicht, denn homophobe, sexistische, frauenverachtende Texte voller Gewaltinhalte zieren teils mit Wohlwollen seit Jahrzehnten die maskuline Gangsta-Rap-Kultur und wurden gerne vom zumeist männlichen Publikum kritiklos übernommen; z.B. Bushido, Kollegah, die Medienwelt etc. Die Texte von K. mag ich hier gar nicht einstellen.
Das Wort `Lesbe` wurde aufgewertet, indem es nicht abgeschafft, sondern indem die Gründe der Diskriminierungen genannt wurden und werden. `Es besteht eine doppelte D. aufgrund der Sexualität und zum anderen i.d. Diskriminierung als Frau. Im Unterschied zu lesbisch lebenden Frauen würden Schwule von männlichen Privilegien profitieren.` (Wiki zu Lesbophobie)
Und somit ist es wichtig zu benennen, aufzuwerten - wie Luise schreibt: ... und nicht nur dieses eine Femininum, sondern SÄMTLICHE weiblichen Personenbezeichnungen, die üblicherweise männlichen Personenbezeichnungen weichen müssen, sowie nur ein einziger Mann ins Spiel kommt.
Wie unter dem Begriff `Homosexuell` Lesben ausgeblendet werden, zeigt mir der Hinweis in einem Artikel zu HOMOSEXUALITÄT: “Wie schwul ist die CDU - Sollen Männer Männer heiraten, Kinder adoptieren”? In dem ganzen Artikel über Seiten hinweg kamen nur Männer Wort, keine einzige lesbische Frau. Das Wort `Lesbe` wurde nur einmal kurz am Ende erwähnt mit dem Hinweis, daß es in der CDU viele Lesben und Schwule gibt. In der Tat, auch hier beim Lesen könnte frau auf die Idee kommen, daß `Homosexuell` ausschließlich Männer betrifft.
03.08.2013 um 04:03 Uhr Jürgen A.
Leider versteigt sich Meinunger zu einer offensichtlich falschen These. Natürlich ist das Plural-“sie” kein Beweis für eine irgendwie besonders frauenfreundliche Nische des Deutschen. Allerdings ist der Plural ein Beweis dafür, dass trotz formaler Übereinstimmung mit dem femininen Singular diese Form inhaltlich komplett geschlechtsneutral ist. Die Autorin (lfp) hat völlig Recht, entscheidend ist, was diese Form “nach sich zieht”. Der Plural zieht nichts nach, das Maskulinum erzeugt aber immer noch männliche Assoziationen, und ist deshalb _kein_ voll grammatikalisiertes “generisches Maskulinum”.
Zitat lfp:
” „Keine der Studenten, nicht eine, hat ihre Hausarbeit abgegeben“ ist dagegen ungrammatisch. “
Himmel, warum soll dieser Satz ungrammatisch sein? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, nämlich dass das generische Maskulinum _wirklich_ generisch ist? Also auch Männer _ausschließen_ kann? Woher das Tabu? Wenn, dann sollten wir uns doch höchstens über die Akzeptabilität des Satzes streiten - ich finde ihn (bei geeignetem Kontext) akzeptabel, andere vielleicht weniger. Aber ungrammatisch? Das hieße doch wieder, Genus und Sexus absolut gleichzusetzen und eine grammatische Kongruenzregel zu behaupten, die es in dieser Form im Deutschen nicht gibt.
Liebe lfp, danke noch einmal für die schönen Beispiele in Ihrem Kommentar wie
“Wer hat ihren Lippenstift im Bad liegengelassen?”
Nur mit einer solchen anarchischen Sprachverwendung, die sich nicht um irgendwelche angeblich natürlichen Kongruenzregeln kümmert, kann unsere Sprache wirklich “entpatrifiziert” werden. Ich finde es tragisch, wenn feministischen Sprachkritiker/innen nichts besser einfällt, als Formen durch andere Formen ersetzen zu wollen, am besten noch durch eine Verwaltungsvorschrift. Jeder kompetente Sprachwissenschaftler (wie lfp) weiß doch, dass die Bedeutung einer Form durch ihre Verwendung bestimmt wird und sich durch neue Verwendungen verändert. (Während neue Formen, die so wie alte Formen verwendet werden, deren Bedeutung annehmen.)
02.08.2013 um 10:02 Uhr Segantini
@Thomas Arbs: “Ist denn unter den Frauen niemand, der auch nur diesen Satz ins Weibliche setzen kann?”
Nun, es gibt eine geschlechtsspezifische Variante, nämlich “ist denn keiner, der” bzw. “ist denn keine, die”. Der Sprecher muß sich halt entscheiden, ob er nur Männer, nur Frauen oder beide Geschlechter ansprechen will. Das tut er im Beispiel etwas holprig mittels “unter den Frauen”, also durch Gebrauch des generischen Maskulinums mit Einschränkung auf nur die Frauen. Schuld ist hier also nicht die Sprache an sich, sondern das Ungeschick desjenigen, der sich ihrer bedient.
02.08.2013 um 09:47 Uhr Segantini
„Keine der Studierenden, nicht eine, hat ihre Hausarbeit abgegeben.“ verstehe ich so, daß ausdrücklich nur die Damen gemeint sind. Nominell fehlt zwar jegliche Aussage über das Pflichtbewußtsein der Männer, aber man kann davon ausgehen, daß der Sprecher sehr bewußt nur die Damen anspricht, sonst würde er sagen „Keiner der Studierenden, nicht einer”.
Womit gezeigt ist: selbst wenn wir “Studenten” durch “Studierende” ersetzen, kommen wir nicht aus dem Dilemma generisch kontra maskulin heraus. Die einzige Möglichkeit, explizit nur die Herren anzusprechen, wäre hier “die Herren Studierenden”.
Und das kann man auch mit der gewohnten Pluralform “Studenten” so halten, sprich: “die Studentinnen” und “die Herren Studenten”.
01.08.2013 um 17:27 Uhr AnneTanne
Was ich an dem “schwul”-Beispiel von Herrn Meinunger so richtig realitätsfern finde, ist dass er sagt, schwul wäre kein Schimpfwort mehr. Ja, Schwule haben sich die Abwertung als Selbstbezeichnung angeeignet. So wie sich Afroamerikaner gegenseitig Nigger nennen, um andere zu entmachten.
Aber funktioniert hat es sicherlich nur bedingt, denn schwul ist nach wie ein Schimpfwort, das sehr gern - wenn auch nicht nur - von der Jugend für alles benutzt wird, was sie scheiße finden. Da sieht man doch gleich, wie unglaublich positiv dieser Begriff in vielen Köpfen tatsächlich verankert ist.
01.08.2013 um 09:03 Uhr Grantler
..herrlich welch unsinnger zeitvertreib !
30.07.2013 um 17:08 Uhr skadi
Weißt du keine, die mir helfen kann?
- Wie ist es mit dieser Varianten?
29.07.2013 um 19:25 Uhr lfp
@Thomas Arbs: “Jemand” und “niemand” haben wir schon in den siebziger Jahren feminisiert, genau wie “man” und “wer”:
• Wer hat ihren Lippenstift im Bad liegengelassen?”
• Wer ist das, die da an der Theke steht?”
• Weißt du jemand/niemand, die mir helfen kann?
(Vgl. meinen Aufsatz von 1982: “Frauen entpatrifizieren die Sprache: Feminisierungstendenzen im heutigen Deutsch”, in: Pusch, Luise F. 1984. Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt/M. edition suhrkamp 1217. S. 76-108.)
Diese Sätze gelten der traditionellen Grammatik und der Maskulinguistik als ungrammatisch. Das wird sich aber wohl mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ändern, immerhin steht sogar das Pronomen “frau” schon im Duden.
Beispiele wie “jemand” und “niemand” zeigen, dass das Genus nicht immer an einem Artikel erkennbar ist, sondern an dem, was diese Wörter “nach sich ziehen” - in diesem Fall traditionell maskuline Relativ- und/oder Possessivpronomina. Im Plural ist das Genus ebenfalls nicht am Artikel ablesbar, wohl aber am Kontext. Mein Beispiel ist nicht “verzerrt”, sondern ein Versuch, das deutlich zu machen.