BP und der Dschender-Dschungel
An zwei Tagen im Juni erlebten wir den sprachlichen Ausnahmezustand. Die Medien zeigten, dass sie doch geschlechtergerecht formulieren können.
Nie habe ich so oft das Wort “Staatsoberhaupt” gehört wie an den ersten beiden Junitagen, an denen Ursula von der Leyen als Nachfolgerin von Horst Köhler noch im Gespräch war. “Suche nach dem Staatsoberhaupt” - so wurde vielfach getitelt. Das “Staatsoberhaupt”, grammatisch neutral, machte sich einfach besser, solange eine Frau, noch dazu eine mächtige, als Favoritin für das Bundespräsidialamt galt - das sonst nur das "Bundespräsidentenamt" oder "Amt des Bundespräsidenten" genannt wird.
Wörter wie “Person” und erst recht “Persönlichkeit” hatten Hochkonjunktur. Auch wurde andauernd gewissenhaft die Doppelform eingesetzt.
Hier ein paar Kostproben:
Für Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) gilt: Anders als Köhler soll der Nachfolger oder die Nachfolgerin parteipolitisch erfahren sein und möglichst auf breite Zustimmung stoßen.
....wollen CDU/CSU und FDP auf jeden Fall einen eigenen Personalvorschlag machen [statt: “Kandidatenvorschlag machen” oder “einen eigenen Kandidaten vorschlagen”].(dpa newsticker 1.6.2010)
"Wir glauben, dass wir jemanden [immerhin besser als “einen Mann”] mit politischer Erfahrung brauchen", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). "Wir werden in den nächsten Tagen eine qualifizierte Persönlichkeit suchen." Die Koalition stehe nicht unter Zeitdruck, wolle aber "relativ rasch" die Personalfrage [nicht: "die Kandidatenfrage"] klären."
n-tv konnte sich noch nicht so recht an die neue Wirklichkeit gewöhnen und verhaspelte sich im Dschender-Dschungel: Die Opposition fordert eine Persönlichkeit, der von allen unterstützt werden könnte.
Wenn ich noch an der Uni feministische Linguistik unterrichten würde, würde ich sofort eine sprachliche Analyse der Zeitungsartikel und TV-Sendungen des 1. und 2. Juni 2010 zum Thema “Neues Staatsoberhaupt gesucht” als Seminar- oder Abschlussarbeit vergeben.
Am 3. Juni war der schöne Spuk vorbei, war das geschlechtsneutrale “Staatsoberhaupt” schon wieder aus dem allgemeinen Diskurs verschwunden. Zwei Männer kämpften nun um das Amt (ab 3. Juni), Luc Jochimsen wurde von der Linken erst eine Woche später als Kandidatin aufgestellt. Und eine chancenlose Frau gegen zwei Männer, da braucht mann nun wirklich keine sprachliche Rücksicht mehr zu nehmen, wie schon ein Jahr zuvor bei der Wahl zwischen Horst Köhler und Gesine Schwan, die in Wahrheit keineswegs chancenlos war; Köhler siegte mit nur einer Stimme Mehrheit. Aber die Kandidatin hatte keine Macht. Wie auch die Sprache dazu beitrug, habe ich in der Glosse "Bundespräsident oder Bundespräsent" analysiert.
So etwas wie sprachliche Gerechtigkeit ergab sich dann erst am 30. Juni wieder, und zwar als Nebenprodukt der Twittersprache, die wie das Simsen von Abkürzungen lebt. Da ich am Wahltag in Boston war, wo sich natürlich kein Aas für die deutsche Staatsoberhaupt-Wahl interessiert, verfolgte ich den Wahl-Dreiteiler per Twitter-Live-Ticker auf Spiegel-Online. Unsäglicher Flachsinn wurde da am laufenden Band dargeboten. Ein interessantes Phänomen konnte ich trotzdem ausmachen:
Aus der “Wahl zum Bundespräsidenten” oder “Bundespräsidentenwahl” wurde die "BP-Wahl". Ob Bundespräsidentin, Bundespräsident oder Bundespräsent - alles BP, one size fits all, kurz, bündig und garantiert geschlechtsneutral.
Und das, obwohl BP ja weiterhin vor allem für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko steht. Aber die ölige Assoziation störte niemanden, gefiel vielleicht sogar den meisten. Die Twitternden waren überwiegend Wulff-GegnerInnen.
Was lernen wir daraus? Erstens: Es geht. Anscheinend sogar mühelos. Zweitens: Es geht nur, wenn eine real existierende Frau mit erheblichem Einfluss reale Chancen auf ein hohes Amt hat oder es bereits innehat, wie die Bundeskanzlerin, die seit ihrem Amtsantritt sprachlich meistens als Frau behandelt wird und damit unsere Sprache bereits sehr positiv beeinflusst hat.
Die real existierende Ärztin oder Apothekerin, die uns aus dem Blickfeld gerät, weil wir immerfort nur unseren Arzt oder Apotheker fragen sollen - solche Personen werden dagegen weiterhin folgenlos missachtet.
Was folgt daraus? Die bis dato frech ignorierte Ärztin oder Apothekerin muss ein wahrnehmbarer Machtfaktor werden, indem sie sich mit Frauen zusammentut, die gegen ihre sprachliche Ausmerzung protestieren.
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7 Kommentare
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12.12.2010 um 16:58 Uhr intune holiday insurance
Possibly the most amazing topic that I have read this month!?
Sydney
hammerman insurance
16.07.2010 um 18:05 Uhr Anne
@ stepe - Sie irren sich - die polit. männer- medien sind sehr am äusseren erscheinungsbild von politikerinnen (frauen im öffentlichen leben) interessiert, denn gerade daraus `kühlen sie gerne ihr mütchen.`
allgemeiner nachtrag:
Interessant zu lesen ist die webseite http://www.frauenluzern.ch/index.php?option=com_docman... `Darstellung von Politikerinnen in den Medien” von Christina Holzt-Bacha. auszüge:
“...wiederholt haben inhaltsanalysen der medienberichterstattung die symbolische marginalisierung von frauen und frauenthemen belegt: frauen sind deutlich unterrepräsentiert, sie werden seltener in handlungstragenden rollen präsentiert, ihre darstellung erfolgt oft bezogen auf den mann. politik spielt bei der konstruktion des frauenbildes selten eine rolle, den frauen wichtige themen werden vernachlässigt.
in gleicher weise wird eine geschlechtstypische berichterstattung über politikerinnen beklagt.
eine britische studie resümierte, dass bei frauen in der politik mehr als bei den männern - neben oder auch vor - dem sachlichen zusammenhang ihre privatsphäre und vor allen dingen ihr äusseres im mittelpunkt des medieninteresses liegt.
auf diese weise werden unwillkürliche zusammemhänge hergestellt zwischen dem aussehen einer politikerin und ihrer beruflichen befähigung.
während die männer immer zuerst als politiker behandelt werden, wird bei frauen zunächst die frau und erst danach die politikerin betrachtet:
ihre geschlechtszugehörigkeit und die damit verbundene stereotypisierung schwingt bei der berichterstattung in der politik stets mit.
in der deutschen forschung wurde ergänzend deutlich , dass die medien neben der größeren aufmerksamkeit für das äussere von frauen bevorzugt deren familiäre situation diskutieren.
das heisst, bei politikerinnen findet häufiger als bei männern eine vermischung der beruflichen mit der privaten rolle statt. entsprechend gibt es auch unterschiede in den sachkompetenzen , die politikerinnen und politiker zugeschrieben werden.
studien, die die darstellung von politikerinnen untersucht haben - inhaltsanalytisch oder durch befragung von politikerinnen zu ihren erfahrungen mit den medien - sprechen vor diesem hintergrund von einer doppelten benachteiligung der frauen.
sie sind in der politik unterrepräsentiert und sie werden in der medialen berichterstattung anders als männer und zu ihrem nachteil dargestellt.
wenn es frauen gelingt, auf politische positionen zu gelangen, die ihnen die aufmerksamkeit der medien sichern, unterliegen sie dennoch geschlechtstypischer medialer behandlung.
männer bilden die norm in der politik, frauen stellen die abweichung dar. ”
Früher wurden politikerinnen von männern gerne als `mannweiber` zitiert.
die häme seitens der männerpresse bekam Andrea Ypsilanti zu spüren, wenn ihr machtgeilheit vorgeworfen wurde - nicht anders erging es Hillary R. Clinton im wahlkampf -
dazu wählte mann (welt-online) unvorteilhafte fotos aus, um ihr aussehen zu manipulieren u.v.m.
ich weiss nicht, wie oft ich i.d. männer-presse gelesen habe, wie `machtgeil` doch H.R.Clinton sei.
“Immer diese Frisur von Frauenpolitik und Frauen in der Politik” (referat von regierungsrätin Regine Aeppli) Auszüge:
“ich habe am anfang von den manchmal unsichtbaren höheren hürden gesprochen, die frauen in der politik überwinden müssen. wenn wir die - reale und zentrale - frage der mehrfachbelastung mit beruf, politik und familie einmal ausklammern, besteht ein wichtiger `fraueneffekt` in einer anderen öffentlichen und vor allem medialen wahrnehmung von frauen in der politik. in der heutigen omnipräsenten mediengesellschaft, die mit lokalradios und - fernsehen auch vor der lokalen politik nicht mehr halt macht, ist das ein wichtiger faktor.
das magazin der deutschen wochenzeitschrift `die zeit` hatte vor kurzem ein schönes gruppenbild mit zwölf frauen auf dem titel. der titel in grossen lettern lautete: was haben diese frauen gemeinsam? - sie nerven. die quintessenz von 12 starken frauenportraits , einige davon politikerinnen aus allen parteien, lautet wie folgt: frauen, die etwas wollen und können, werden vielfach als anstrengend abgestempelt. Muesam, würde man viell. auf zürichdeutsch sagen. oder wie Sky du Mont im juli d. jahres in einem interview m.d. bild-zeitung verlauten liess: alle mädchen werden mit dem zicken-gen geboren. damit soll der befund auch noch wissenschaftlich untermauert werden…. männliche politiker sind machos, launisch oder autoritär, aber `nervig` sind sie nie. das adjektiv ist ein kleiner killer.
im kern ist es und bleibt der vorwurf , dem weiblichen rollenbild nicht zu entsprechen, sagt die autorin des zeit-artikels Susanne Gaschke. das etikett `nervensäge` signalisiert aber auch eine warnung an andere frauen : wenn ihr euch nicht rollenkonformer verhaltet, müsst ihr damit rechnen, als nervensäge bezeichnet zu werden. die frauen entscheiden sich in dieser lage meistens gegen die frauensolidarität . und die männer? sie zeigen, wie es der dt. soziologe Ulrich Beck beschreibt , “die bekannte verbale aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger verhaltensstarre…” so Gaschke im zeit-magazin . oder im parteipolitischen jargon : links blinken und rechts fahren.
die schlussfolgerung von Susanne Gaschke lautet: wir befinden uns zur zeit in einem kuriosen widerspruch. alle zeichen der frauen- und familienpolitik stehen auf förderung. Karriere wird von frauen geradezu erwartet - aber die mechanismen und verhaltensweisen , die dazu in einem gewissen umfang notwendig sind (ehrgeiz, durchsetzungsfähigkeit, geistige unabhängigkeit) , verletzen den normativen begriff von weiblichkeit. Germaine Greer hat einmal gesagt: eine frau wird erst jenseits der menopause als präsidentin wählbar. dann also, wenn sie in den augen der 2o-5ojährigen männer keine sexuelle strahlkraft mehr hat .”
10.07.2010 um 16:21 Uhr stepe
Hallo Anne,
welche Medien beschäftigen sich denn vor allem mit dem äußeren Schein, den Beziehungskrisen und dem Familienleben von Prominenten?
Das sind doch vor allem die sog. Frauenzeitschriften, und die werden eher selten von Männern gelesen.
Versuchen Sie doch einmal, nicht alles Schlechte und Misslungene dieser Welt immer nur den Männern in die Schuhe zu schieben, das würde ihrer Position mehr Glaubwürdigkeit verleihen und die Realität unserer Gesellschaft besser treffen.
08.07.2010 um 03:13 Uhr sabine
Bin verwirrt: “....die Bundeskanzlerin, die seit ihrem Amtsantritt sprachlich meistens als Frau behandelt wird und damit unsere Sprache bereits sehr positiv beeinflusst hat.” SIE, Merkel, hat .... pos. beeinflußt?? Das würde doch Aktivität auf der Kanzlerin Seite bedeuten, nicht?
zu Anne: Ich würde, mich wie viele andere auch, gerne gegen diese Übermacht von einfältigen Musköpfen, die von einer dumpfen Mehrheit getragen werden, wehren bzw. sie austauschen gegen kluge Exemplare, aber wie? Boykott und Leserinnen-/Hörerinnenproteste sind die berühmten Tropfen. Und sonst?
sabine
06.07.2010 um 22:32 Uhr Maritima
Solange unser neuer BP vom Vaterland redet, wird sich auch in seinem Umfeld mit geschlechtergerechter Sprache nicht viel ändern. Oder meint sein Wunsch der BP aller Deutschen zu sein vielleicht doch nur die Männer?
05.07.2010 um 18:07 Uhr Anne
prima! auch die titulierung “BP und der Dschender-Dschungel” - so passend, da der schmiermittel-hersteller BP als sponsor am bp-sommerfest kräftig beteiligt war. bundespräsident und BP machen gemeinsame sache?
eine “bundespräsidentin” kennt mann bei google nicht - dieser begriff existiert schon mal gar nicht. ein weiterer weisser fleck im dschender-dschungel? ebenso findet frau i.d. suchmaschine keine (RP)regierungspräsidentin. oder sind frauen etwa nur bei den abkürzungen herzlichst mitgemeint?
was doch der männer-presse alles so auffällt: Wulff der jüngste bundespräsident, der erste kath. bp nach mehr als 4o jahren in der geschichte der brd - der charmante traum aller schwiegermütter und -väter usw. - sein nachfolger nun auch noch der jüngste ministerpräsident niedersachsens. das männernetzwerk scheint hervorragend zu funktionieren.
dass seit 1949 keine einzige frau zur bundespräsidentin gewählt wurde (obwohl qualifizierte frauen zur wahl anstanden und gerade wir frauen den vier müttern des grundgesetzes viel zu verdanken haben), wird in den medien und der männer-presse nicht mal ansatzweise erwähnt.
auch stellt/e sich bei einem mann nie die frage, wie z.b. der neue jüngste bp berufstätigkeit und familie unter einen hut verstaut. nur Ursula von der Leyen als berufstätige mehrfachmutter wurde häufig als sog. rabenmutter kritisiert:
“sie sind siebenfache mutter, wie wollen sie das schaffen; so wurde sie bei ihrer kandidatur 2003 unter tosenden beifall von einem kollegen kritisch und hämisch beäugt.” die gleiche frage an herrn von der Leyen zu richten, hätte sich der fragesteller sicherlich nicht getraut.
“wie wollen sie das schaffen, wiederholte von der Leyen, in deutschland wird kaum jemand gefragt, wie wollen wir das schaffen. ich sässe nicht hier, sagte sie am konferenztisch ihres büros, und ich hätte auch nicht all meine kinder bekommen ohne zwei dinge: diesen schritt hinaus aus deutschland nach amerika, wo ich erlebte, was es heisst, wenn kinder willkommen sind und mütterliche berufstätigkeit zugleich akzeptiert und erwartet wird.” (zeit online)
lt. prof. dr. holtkamp (fernUni hagen)zu `frauenanteil in politischen spitzenpositionen sinkt` : “die kanzlerschaft von Angela Merkel kann zumindest nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir von der gleichberechtigung in der politik immer noch sehr weit entfernt sind.”
somit wird nicht nur der allg. frauenanteil, sondern auch eine `bundespräsidentin` in der zukunft im genderranking das schlußlicht bilden. geschlecht/mann, jung, alt, männliche doppel- und mehrfachspitzen in sämtlichen führungspositionen der politik, wirtschaft, medien, gesellschaft bilden die beliebte norm und das seit ewigen zeiten…
http://watch-salon.blogspot.com/2010/06/kommunen-und-stadtrate-frauenanteil-in.html
was mich auch wütend macht, sind die ständigen dümmlichen meldungen der männerpresse, die sich überwiegend mit der optik von frauen nicht nur in der politik beschäftigen, wie die FAZ zu Bettina Wulff “Wulffs präsidiales Tattoo - die perforierte republik - wieviel geritzte haut verträgt das schloss bellevue” - ob Angela Merkel, Gesine Schwan, von der Leyen und viele andere - öffentliche frauen stehen kontinuierlich im focus ihrer äusseren erscheinung - das hat system….die frau gewünscht als deko-objekt, als ob mann nur darauf wartet, frauen herabzuwürdigen. was diese medienmänner an starken frauen nicht passend finden, bekommen sie mit häme und zynismus und spitzer feder deutlich zu spüren.
auch dagegen sollten gerade wir frauen uns deutlich und bei jeder gelegenheit wehren..
05.07.2010 um 07:47 Uhr Hmmm
Für uns in Österreich müsste gelten (wir fürchten uns nicht vor Abkürzungen):
BPIn-Wahl bzw. BP_in-Wahl. Passen sollte auch UBPIn-Wahl bzw. UBP_in-Wahl, weil wir ja “unseren Bundespräsidenten” bzw. “unsere Budespräsidentin” wählen.