Biographien Wisława Szymborska
(Maria Wisława Anna Szymborska)
geboren am 2. Juli 1923 in Bnin (heute Teil von Kórnik)
gestorben am 1. Februar 2012 in Krakau
polnische Lyrikerin
100. Geburtstag am 2. Juli 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Szymborska gehörte nicht zu jenen, die viel Aufsehen um ihre Person oder ihr Werk gemacht hätten, auch nach der Verleihung des Nobelpreises für Literatur (1996) nicht. Sie stand nie gerne im Rampenlicht und vermied es, wie sie es nannte, von heute auf morgen eine »Persönlichkeit« zu werden: sie wolle »Person« bleiben. In ihrem Freundeskreis sprach sie von der Zeit vor oder nach der »Tragödie«. Damit spielte sie auf ihre plötzliche Bekanntheit nach Erhalt des Nobelpreises an. Schon immer geizte sie mit Informationen zu ihrer Person. Alles, was über sie zu sagen sei, stehe in ihren Gedichten. Bekannte charakterisieren sie als diskret, als eine, die ihre Emotionen nicht zeigt. Doch sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor und Ironie. Und neben dem Schreiben hatte sie eine andere große Leidenschaft: das Rauchen.
Was viele mit dem Erwachsenwerden verlernt haben, konnte Szymborska ihr Leben lang: Staunen. Es ist dieses philosophische Staunen, das vor Szymborska schon vielen anderen Denkern und Schriftstellern neue Horizonte eröffnet hat. Besonders häufig staunt sie über die Natur, die so perfekt gemacht und aufeinander abgestimmt ist. Die Natur existiert, ohne sich Fragen zu stellen nach dem »Warum« und »Wie weiter«. Ein Baum wächst und lässt seine Blätter im Frühling spriessen, ohne sich zu überlegen, ob das von Nutzen für ihn sei. Natur und Mensch, auch wenn letzterer zur Natur gehört, trennt Vieles. Nur der Mensch macht sich – soviel wir wissen – Gedanken über das Leben, die Natur nicht. Nur der Mensch gibt seiner Umwelt Namen. Für die Natur existiert der Mensch – wahrscheinlich – nicht, und wenn, dann sicher in einer ganz anderen Form.
Der rote Faden, der sich durch Szymborskas ganzes Werk zieht, ist einerseits der Mensch und dessen Lebensumstände, andererseits das damit fast unmittelbar verbundene Thema des Schicksals des Menschen und der verschiedenen Umstände, die auf das Leben Einfluss nehmen können: sei das der Zufall, die Zeit, die Geschichte, die Politik oder die Biologie. Schon in den frühen Gedichten ist Szymborskas Sensibilität gegenüber Unrecht und Schmerz zu entdecken.
Neben dem Menschen und seinem Leben interessiert sich Szymborska auch für die kleinen, vergessenen, nicht beachteten Dinge, die den Alltag prägen, oft ohne dass dies bemerkt wird. Sie will die Welt kennen lernen, macht sich über die Welt und den Menschen Gedanken. Man spürt dabei, dass sie das Leben gerne hat. Sie weiss indessen auch, dass Suchende oft zuerst die Erfahrung des Schmerzes durchmachen müssen, um gewisse Erkenntnisse gewinnen zu können. Auch das gehört zum Leben.
Der Lauf der Zeit ist ein konstituierendes Merkmal der Dichtung Szymborskas. Die damit verbundene Vergänglichkeit des im Vergleich zur Weltgeschichte kurzen menschlichen Lebens liegt vielen Gedichten zugrunde. Das Bewusstsein von der zeitlichen Begrenztheit der eigenen Existenz veranlasst die Dichterin, das Leben zu relativieren. Indem der Mensch Distanz zu seiner Individualität, seinen Alltagssorgen und Träumen nimmt, gleichsam von aussen – wird ihm bewusst, dass er nur ein winziges Pünktchen auf der Achse der Zeit ist.
Was ist zu tun? Ein Antrag ist einzureichen, dazu ein Lebenslauf.
Ungeachtet der Länge des Lebens hat der Lebenslauf kurz zu sein.
Geboten sind Bündigkeit und eine Auswahl von Fakten. Die Landschaften sind durch Anschriften zu ersetzen, labile Erinnerungen durch konstante Daten.
Von allen Lieben genügt die eheliche, nur die geborenen Kinder zählen.
Wichtig ist, wer dich kennt, nicht, wen du kennst. Reisen, nur die ins Ausland. Zugehörig wozu, aber ohne weshalb. Preise, ohne wofür.
Schreibe, als hättest du niemals mit dir gesprochen und dich von weitem gemieden.
Umgehe mit Schweigen Hunde, Katzen und Vögel, den Erinnerungskleinkram, Freunde und Träume.
Es gilt der Preis, nicht der Wert, der Titel, nicht dessen Inhalt, die Schuhgröße, und nicht wo der Mensch, für den man dich hält, hingeht.
Dazu eine Fotografie mit entblößtem Ohr. Wichtig ist seine Form, nicht, was es hört. Was es hört? Das Knirschen des Papierwolfs.
(Das Schreiben eines Lebenslaufs, 1986, übersetzt von K. Dedecius)
Szymborskas Poesie ist universell, philosophisch-witzig und lebensnah. Die Sprache, die die Dichterin dabei benutzt, ist einfach, bisweilen entlehnt sie gewisse Redewendungen aus der Umgangssprache. Die Leserinnen und Leser merken dabei unweigerlich, dass ihr das Schreiben Freude macht – und es ist anzunehmen, dass sie sich auch wünscht, dass die Lesenden ebenso Spaß am Lesen haben sollen. Woody Allen bekannte sich dazu, ein begeisterter Leser der Gedichte Wisława Szymborskas zu sein. Sie sei so viel witziger als er! Szymborska ist auch Autorin von humorvollen Limericks und fleißig ausgeschnittenen, originellen Postkarten-Collagen, die sie anstelle von Briefen versandte. So eine Collage hat auch Woody Allen von Szymborska erhalten.
Verfasserin: Prisca Isabel Zurrón
Zitate
Wenn ich in die Hölle komme, werde ich wohl auch dort pausenlos Bücher signieren müssen. (Wisława Szymborska, Quelle)
Links
Fundacja Wisławy Szymborskiej. Engl. Version fehlt noch.
Online verfügbar unter http://www.szymborska.org.pl/index.php, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Wisława Szymborska. Veröffentlichungen.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/119449048, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Kowalczyk, Janusz R.: Wisława Szymborska. Umfangreiche englischsprachige Seite des polnischen Adam-Mickiewicz-Instituts. Culture.pl.
Online verfügbar unter https://culture.pl/en/artist/wislawa-szymborska, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Lyrikzeitung & Poetry News: Wislawa Szymborska.
Online verfügbar unter http://lyrikzeitung.com/tag/wislawa-szymborska/, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Nobelprize.org: Der Nobelpreis für Literatur 1996 – Wislawa Szymborska.
Online verfügbar unter http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1996/press-ge.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Schmitter, Elke: Kapelle ohne Kreuz. DER SPIEGEL 53/2009.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68425699.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Wikipedia: Wisława Szymborska. Als lesenswert gekennzeichneter Artikel.
Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Wis%C5%82awa_Szymborska, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Nachrufe
Gnauck, Gerhard: Wislawa Szymborska : Polen trauert, das Fernsehen sendet Schwarz-Weiß. Die Welt, 02.02.12.
Online verfügbar unter http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article13847637/Polen-trauert-das-Fernsehen-sendet-Schwarz-Weiss.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Golimowska, Karolina: Feine Humorspitzen und Gastronomiekritik: Zum Tod der einflussreichen Dichterin Wisława Szymborska. Berliner Gazette, 11.02.2012.
Online verfügbar unter http://berlinergazette.de/wislawa-szymborska-nachruf/, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Hartung, Harald: Zum Tod Wisława Szymborskas: In Menschheitsgeschichte geprüft. FAZ, 02.02.2012. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH.
Online verfügbar unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/zum-tod-wis-awa-szymborskas-in-menschheitsgeschichte-geprueft-11635258.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Krafczyk, Eva (2012): Dichterin Wisława Szymborska: Der »gute Geist« der Polen ist tot. stern.de, 03.02.2012.
Online verfügbar unter http://www.stern.de/kultur/buecher/dichterin-wis322awa-szymborska-der-gute-geist-der-polen-ist-tot-1781786.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Müller, Lothar: Zum Tod von Wisława Szymborska - Erforscherin des Augenblicks. SZ vom 03.02.2012.
Online verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-wislawa-szymborska-erforscherin-des-augenblicks-1.1274301, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Werke online
Szymborska, Wisława: Die Zahl Pi. Poetenladen.
Online verfügbar unter http://www.poetenladen.de/stelen/wislawa-szymborska.htm, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Szymborska, Wisława: Katze in der leeren Wohnung. Gedicht in poln., dt. (übersetzt von Karl Dedecius) und engl. (translated by Stanisław Barańczak and Clare Cavanagh) Fassung.
Online verfügbar unter http://transling.eu/wislawa-szymborska/, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Szymborska, Wisława: Manche mögen Poesie.
Online verfügbar unter http://culturmag.de/litmag/litmag-welt-lyrik-wislawa-szymborska/45173, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Szymborska, Wisława: Unschuld ; Männerwirtschaft ; Negativ ; Ein Beitrag zur Statistik ; Etwas über die Seele ; Im Überfluss ; Das Schweigen der Pflanzen ; Die drei seltsamsten Worte. Übersetzt von Urszula Usakowska-Wolff und Manfred Wolff.
Online verfügbar unter http://orientart.over-blog.com/article-33301582.html, zuletzt geprüft am 30.06.2023.
Literatur & Quellen
Werke
Szymborska, Wisława (1979): Vokabeln. Übertragen von Jutta Janke. 1. Aufl. Berlin. Volk und Welt. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1973): Salz. Gedichte. Herausgegeben von Karl Dedecius. Frankfurt am Main. Suhrkamp. 1997. (Edition Suhrkamp, 600) ISBN 3-518-10600-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1997): Die Gedichte. 2. Aufl. Frankfurt am Main. Suhrkamp. 2000. ISBN 3-518-40881-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1980): Deshalb leben wir. Gedichte. Herausgegeben von Karl Dedecius. Frankfurt am Main. Suhrkamp. 2003. (Bibliothek Suhrkamp, 697) ISBN 3-518-01697-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1995): Auf Wiedersehn. Bis morgen. Gedichte. Herausgegeben von Karl Dedecius. Frankfurt am Main. Suhrkamp. 2005. (Suhrkamp-Taschenbuch, 2858) ISBN 978-3-518-39358-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (2005): Der Augenblick. Gedichte ; polnisch und deutsch. (=Chwila) Herausgegeben von Karl Dedecius. Frankfurt am Main. Suhrkamp. (Bibliothek Suhrkamp, 1396) ISBN 3-518-22396-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (2005): Elke Heidenreich liest: Einst hatten wir die Welt. Gedichte. CD. München. Der Hörverlag. ISBN 3-89940-724-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1986): Hundert Freuden. Gedichte. Hrsg. und übertr. von Karl Dedecius. Mit einem Vorw. von Elisabeth Borchers und einem Nachw. von Jerzy Kwiatkowski. 1. Aufl., 11. Dr. Frankfurt am Main. Suhrkamp. 2005 (Suhrkamp-Taschenbuch, 2589) ISBN 3-518-39089-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (2005): Liebesgedichte. Ausgew. und übertr. von Karl Dedecius. 1. Aufl. Frankfurt aain, Leipzig. Insel. (Insel-Taschenbuch, 3111) ISBN 3-458-34811-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (2006): Die Gedichte. Herausgegeben von Karl Dedecius. Hamburg. Gruner + Jahr; Gruner und Jahr. (Die Brigitte-Edition, 12) ISBN 3-570-19520-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (2012): Glückliche Liebe und andere Gedichte. (=Miłość szczęśliwa i inne wiersze) Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall und Karl Dedecius. Mit einer Nachbemerkung von Adam Zagajewski. Berlin. Suhrkamp. ISBN 978-3-518-42314-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wälde, Martin (Hg.) (2001): Die Zukunft der Erinnerung. Günter Grass, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska, Tomas Venclova. Göttingen. Steidl. ISBN 978-3-88243-769-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Quellen
Bikont, Anna; Szczęsna, Joanna (2010): Wisława Szymborska. Warszawa. Agora. (Amazon-SucheWorldCat-Suche)
Szymborska, Wisława (1997): I don't know. The 1996 Nobel Lecture. In: World Literature Today, 71:1 (1997: Winter). S. 5–7.
Weiterführende Literatur
Auffermann, Verena (2009): Leidenschaften. 99 Autorinnen der Weltliteratur. 3. Aufl. München. Bertelsmann. ISBN 978-3-570-01048-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bąk, Paweł (2007): Die Metapher in der Übersetzung. Studien zum Transfer der Aphorismen von Stanisław Jerzy Lec und der Gedichte von Wisława Szymborska // Studien zum Transfer der Aphorismen von Stanisław Jerzy Lec und der Gedichte von Wisława Szymborska. Teilw. zugl.: Rzeszów, Univ., Diss., 2004. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Wien. Lang. (Danziger Beiträge zur Germanistik, 20) ISBN 3-631-55757-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bauer, Gerhard (2004): Frage-Kunst. Szymborskas Gedichte. Frankfurt am Main. Stroemfeld. (Nexus, 69) ISBN 3-86109-169-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Halicka, Beata (2001): Zur Rezeption der Gedichte von Wisława Szymborska in Deutschland. Berlin, Vechta. Logos. ISBN 978-3-89722-840-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kerner, Charlotte (Hg.) (2002): Madame Curie und ihre Schwestern. Frauen, die den Nobelpreis bekamen. Weinheim. Beltz und Gelberg. (Gulliver-Taschenbuch, 868) ISBN 3-407-78868-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kliems, Alfrun (Hg.) (2006): Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa. Berlin. Frank & Timme. (Literaturwissenschaft, 6) ISBN 3-86596-021-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lütvogt, Dörte (1998): Untersuchungen zur Poetik der Wisława Szymborska. Univ., Magisterarbeit—Göttingen, 1996. Wiesbaden. Harrassowitz. (Opera Slavica, 33) ISBN 3-447-03309-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lütvogt, Dörte (2007): Zeit und Zeitlichkeit in der Dichtung Wisława Szymborskas. München. Sagner. (Arbeiten und Texte zur Slavistik, 80) ISBN 978-3-87690-914-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
wislawaszymborska.comyr.com (ursprüngliche URL, inzwischen nicht mehr online, 2018-06-29)
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