geboren um 1410
gestorben nach 1472
Äbtissin des Benediktinerinnen–Klosters Sonnenburg, Südtirol
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Der Widerspenstigen Zähmung: Verena von Stuben
Einigermaßen fromm, einigermaßen keusch – aber immer nach dem eigenen Kopf: Mit Verena von Stuben wählten die Sonnenburgerinnen 1440 eine tatkräftige Persönlichkeit zu ihrer Äbtissin. Verena, ein Synonym für Würde, Widerstand und Frauenstolz.
Im Fadenkreuz der Mächte
Keine Äbtissin in der über 750-jährigen Geschichte des Klosters Sonnenburg trägt in der Überlieferung markantere Züge als Verena von Stuben. Dass zeitgleich mit ihr der blitzgescheite, aber pragmatisch ungeschickt agierende Kardinal Nikolaus von Kues gegen den Willen des Domkapitels zum Fürstbischof von Brixen ernannt wurde und sich mit Herzog Sigismund und dem ihm ergebenen Adel anlegte, ist von zusätzlicher Brisanz. Geraten doch mit diesen Charakterköpfen drei überaus eigensinnige Persönlichkeiten in das Fadenkreuz der Geschichte Südtirols.
Übereinstimmend werten die Chronisten die Auseinandersetzung zwischen der Sonnenburgerin und dem Kardinal in der Mitte des 15. Jahrhunderts als den beeindruckendsten Kampf zwischen Thron und Altar in Tirol, als das letzte große Ringen um die Vorherrschaft zwischen weltlicher und geistlicher Macht auf der für Kaiser wie Reich wichtigsten Nord-Süd-Achse. Dass Verena und Cusanus dabei beide letzendlich das Ziel aus den Augen verloren und kläglich scheiterten, ist wohl nur der natürliche Lauf der Geschichte: Die Sonnenburger Ereignisse waren wohl nur auslösendes Moment in einem viel tiefer wurzelnden Grundsatzstreit, Verena und Cusanus gewissenhafte Erben von Altlasten und tragische Opfer.
Cusanus der Reformer
1450 ernannte Papst Nikolaus V. Nikolaus Cusanus, der sich als junger brillanter Kopf auf dem Baseler Konzil verdient gemacht hatte, zum Fürstbischof von Brixen. Dabei hatte das Domkapitel bereits kurz vorher den Kanzler Herzog Sigismunds zum Bischof gewählt. Zwei volle Jahre währte der Widerstand der Brixner gegen das Diktat aus Rom. Dann erst konnte Cusanus sein Amt antreten. Und er tat es mit glühendem Eifer. Ausgestattet mit den höchsten päpstlichen Vollmachten, ging er die Reform der Diözese an, in der wahrlich manches aus den Fugen geraten war. Für das Stift Sonnenburg bei St. Lorenzen an der ehemaligen Via Claudia Augusta Altinate bedeutete diese Reform die Durchführung strenger Klausur und damit eine rigorose Veränderung der Rechte, Gewohnheiten und Lebensformen der adeligen Fräulein.
Verena von Stuben, Äbtissin seit 1440, weigerte sich, die angeordneten Maßnahmen durchzuführen. Sie berief sich auf die Sonderstellung des mit verstreuten Gütern ausgestatteten Benediktinerinnenstiftes und verwies auf die bisher ausgeübte Praxis, die allerdings nicht gerade einer benediktinisch strengen Klausur entsprach. Verworren waren auch die Besitzverhältnisse des Stiftes: Sonnenburg selbst lag im Landgericht Sankt Michelsburg der Grafen von Görz-Tirol, seine wesentlichen Besitzungen lagen aber im Gadertal. Sonnenburg übte dort auch die niedere Gerichtsbarkeit aus, während die Blutsgerichtsbarkeit dem bischöflichen Hauptmann in Buchenstein oblag. Cusanus betrachtete sich demnach als oberster Gerichtsherr und Vogt der Enneberger, ein Standpunkt, der weiteren Zündstoff auch gegen den Landesfürsten Sigismund barg.
Verena die Widerspenstige
Sechs Tage nach seinem Einzug als Bischof in Brixen fordert Cusanus Verena von Stuben bereits formell auf, ihn als Vogt der Enneberger anzuerkennen. Verena und ihre Mitstreiterinnen widersetzen sich, indem Verena kurzerhand Herzog Sigismund zum Vogt über das Kloster ernennt. Eine erste Visitation seitens des Fürstbischofs 1453 erlauben Äbtissin und Konvent nicht, beim zweiten Versuch im gleichen Jahr erklären die Sonnenburgerinnen dem Kardinal unmissverständlich, dass sie sich nicht „einsperren lassen“ würden. Verena verweist in einem Schreiben an Papst Nikolaus V. auf die seit jeher praktizierte Sonderstellung des Stiftes. Rom stellt sich hinter Cusanus, eine dritte Visitation erfolgt 1455. Wieder protestiert der Konvent. Darauf wird Verena von Cusanus als Äbtissin abgesetzt, der Bann wird über sie und das Interdikt über das gesamte Kloster verhängt.
Tragisches Detail am Rande: Männerseilschaften unterliegen ihrer eigenen Logik. Landesfürst und Fürstbischof verständigen sich einmütig über die Ablösung der Verena von Stuben. Dass Sigismund zwei Jahre später sich wiederum bereitwillig zum Schutzherrn und Vogt über Sonnenburg erklärt, nachdem die Männerhändel sich wieder verdichten und der Kardinal Bann und Interdikt über Sigismund und ganz Südtirol verhängt, tut der Geschichte keinen Abbruch.
Klug wie die Schlangen, aber nicht einfältig wie die Tauben
Erwartungsgemäß weigert sich Verena von Stuben, die von Cusanus verhängte päpstliche Absolution zu erbitten, erklärt sich aber bereit, ihren freiwilligen Rücktritt zu erklären und das Feld für die eingesetzte Verweserin Afra von Velseck aus Bruneck zu räumen. Cusanus besteht auf Abbitte, und die Fronten verhärten sich erneut. Die Stubnerin erkennt der Velseckerin unverzüglich wieder ihren neuen Rang ab und beauftragt ihrerseits Jobst von Hornstein, Söldner anzuwerben, um erneut als Herrin über Sonnenburg den Zins der Enneberger Bauern mit Gewalt einzuholen, die ihn Afra von Velseck, der vom Kardinal eingesetzten Verwalterin, entrichten wollten. Der bischöfliche Hauptmann im Gerichtssitz Thurn an der Gader, Gabriel Prack zu Asch, schickt seinerseits Truppen ins Feld, die die sonnenburgischen Söldner, etwa 50 an der Zahl, zwischen Maria Saalen und Oberpalfrad überwältigen und niedermetzeln. Der Streit eskaliert aufs Neue, Sonnenburg wird von bischöflichen Truppen aus dem Gadertal und dem Gericht Sand in Taufers belagert, Verena und ihre Konventfrauen fliehen auf die landesfürstliche Burg Schöneck. Dem Landesfürsten gelingt es wiederum, dem Kardinal den Schwarzen Peter zuzuschieben, andererseits aber auch Verena dazu zu bewegen, als Äbtissin abzudanken und 1458 nach Schloss Vellenberg in das Inntal zu ziehen. Die letzte Spur der großen Protagonistin findet sich in einem erst 1993 entdeckten Brief aus dem Jahr 1472: „Spezialiter salute Dominam Abbatisssem Stuberin. In die Sebastianj.“ Demnach durfte Verena also ihr Leben in Sonnenburg, ihrem mit großer Inbrunst verteidigten Stift, beschließen - eine späte, glückliche Widergutmachung des Schicksals, während der Kardinal verbittert und fern von Brixen 1464 in Todi in Umbrien verstarb. Als Sieger auf der anderen Seite ging aus diesem Konflikt Herzog Sigismund hervor, ein geschickter Taktierer und skrupelloser Spieler.
Verfasserin: Gloria Auer
Zitate
„Ihr Sonnenburgerinnen seid zwar klug wie die Schlangen – aber auch wir Brixner sind nicht so einfältig wie die Tauben. Doch habeat sibi. Besser eine pia fraus als ein skandalöser Streit.“ J. Weingartner, Die Nonne von Sonnenburg
Literatur & Quellen
W. BAUM, Nikolaus Cusanus in Tirol. Bozen, 1983 A. DÖRRER, Gilms verloren geglaubtes Erstlingsdrama „Äbtissin Verena“. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literatur. Innsbruck, 1930 K. KNÖTIG, Die Sonnenburg im Pustertal. Bozen, 1985 J. WEINGARTNER, Sonnenburg, Der Schlern, 4. Jg.,1923 K. WOLFSGRUBER, Das Benediktinerinnenstift Sonnenburg. Abhandlung anlässlich der eintausendfünfhundertsten Wiederkehr der Gründung des Benediktinerordens durch Benedikt von Nursia, Der Schlern, 1980
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