(Philippine (oder Philippina?) Bausch [eigentlicher Name])
geboren am 27. Juli 1940 in Solingen
gestorben am 30. Juni 2009 in Wuppertal
deutsche Tänzerin, Choreographin, Tanzpädagogin, Ballettdirektorin, Opernregisseurin
15. Todestag am 30. Juni 2024
Biografie
Als sie 2007 im Alter von 67 Jahren den renommierten Kyoto-Preis als Auszeichnung für ihr Lebenswerk erhält, äußert sie »Ich habe noch furchtbar viel vor.« Nur zwei Jahre später stirbt die weltberühmte Choreographin – fünf Tage, nachdem bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert wurde. Den Beifall bei der Uraufführung ihres neuen Stückes für das Jahr 2009 konnte sie Mitte Juni noch persönlich entgegennehmen. Unter Hochdruck hatte sie auf die Premiere hingearbeitet, als ob sie fühlte, wie wenig Zeit ihr noch blieb.
Ihr Tod ist ein Schock und unersetzlicher Verlust für alle LiebhaberInnen ihrer Werke, in denen sie das Alltagsleben mit allen Abgründen und Sehnsüchten, die Beziehungen zwischen Frauen und Männern mit allen Ängsten, mit Liebesverlangen und Gewalt konsequent in neuen radikalen Formen beschreibt. In ihre Arbeit fließen Erlebnisse und Erfahrungen ein, die Bausch seit ihrer Kindheit gemacht hat.
Ihre Eltern betreiben ein kleines Hotel mit Restaurant. Pina und ihre beiden älteren Geschwister helfen im Familienbetrieb mit. Dabei beobachtet sie früh das Treiben der GästInnen – am liebsten abends unter einem der Tische versteckt. Ihre Begabung für Tanz und Bewegung fällt Leuten vom Theater auf, die ihr einen Platz beim Kinderballett verschaffen.
Mit 14 Jahren beginnt sie eine Ausbildung an der Folkwangschule in Essen unter Kurt Jooss. Neben Tanz wird auch Malerei, Graphik, Fotografie, Bildhauerei, Musik, Oper, Schauspiel etc. gelehrt. Schon da erfolgt eine fruchtbare Durchdringung der einzelnen Disziplinen – eine wichtige Grundlage für Bauschs spätere Arbeit. Nach der Abschlussprüfung für Bühnentanz und Tanzpädagogik geht Pina mit einem einjährigen Stipendium nach New York, zu dieser Zeit Zentrum des modernen Tanzes. Begeistert von den vielen Anregungen bleibt Bausch ein weiteres Jahr und finanziert ihren Aufenthalt durch ein Engagement in der Balletttruppe der Met sowie bei freien Kompagnien.
Auf Bitten von Jooss kehrt sie nach Essen zurück, um im wiederbelebten Folkwang-Ballett mitzutanzen. Es folgen erste Choreographien. Ab der Spielzeit 1973/74 ist sie Leiterin des Wuppertaler Balletts – eine Stellung, die sie erst nach langem Zögern und mehrmaliger Aufforderung annimmt. Eigentlich schwebte ihr eine unabhängige Truppe mit freien Gestaltungsmöglichkeiten vor. Mit den ersten Produktionen, die Bausch für das von ihr schnell umbenannte Wuppertaler Tanztheater kreierte, stieß sie bei dem konservativen, an klassische Ballettdarbietungen gewöhnten Publikum auf wütenden Protest. Türeknallendes Verlassen der Vorstellung, Buhrufe, sogar Erstürmen der Bühne, Drohanrufe im Theater gehörten zur Tagesordnung. Pina wagt sich nicht mehr allein in die Stadt.
Auf der anderen Seite wird Wuppertal Anziehungspunkt für all diejenigen, die sich der Magie von Bauschs Arbeiten nicht mehr entziehen können. In Rolf Borzik, den Pina schon von ihrer Ausbildung her kennt, findet sie einen genialen Techniker, der für sie die abenteuerlichsten Bühnenräume realisiert: Berge von Erde, Felsen mit Kaskaden von Wasserfällen, mit Herbstlaub bedeckte Flächen, englischer Rasen… Er ist auch Pinas Lebensgefährte. Nach seinem frühen Krebstod verarbeitet Bausch ihre Trauer mit dem Choreographieren eines neuen Stückes: 1980 ist ihm gewidmet.
Auf einer Tournee durch Südamerika lernt sie den chilenischen Dichter und Professor für Ästhetik und Literatur, Ronald Kay, kennen und lieben. 1981 kommt der gemeinsame Sohn Rolf Salomon zur Welt. Immer wieder versucht Kay, der Haushalt und Kochen übernommen hat, Pina zu einer gesunden Lebensweise und Biogemüse zu überreden – vergeblich. Bausch ist Kettenraucherin, sie verbringt ihr Leben mit Zigaretten, wenig Schlaf und einem enormen Arbeitspensum. Für das Gestalten eines neuen Stückes hat sie ein System erfunden: sie stellt ihren TänzerInnen Fragen oder gibt Anweisungen (z.B. »Was war dein liebstes Kinderspiel?«, »Eine Geste, die mit Hilflosigkeit zu tun hat…«). Die getanzten Antworten notiert sie, um sich aus dem Material neue, nie gesehene Sequenzen herauszusuchen und sie in ihre Choreographie einzubauen.
1986 beginnt mit der Aufführung von Viktor eine neue Ära im Tanztheater Wuppertal. Das Teatro Argentina in Rom hatte eine Koproduktion vorgeschlagen: Pina Bausch und ihre Truppe sollten die während eines Romaufenthalts gemachten Erfahrungen auf die Bühne bringen. Fast alle nachfolgenden Stücke entstehen seither durch das Zusammentreffen mit anderen Kulturen, von Pina Bausch in ihrem Text Was mich bewegt folgendermaßen kommentiert: »Das Kennenlernen mir vollkommen fremder Gebräuche, Musiken, Gewohnheiten hat dazu geführt, in den Tanz das zu übersetzen, was uns unbekannt ist und dennoch allen gehören sollte.«
Nach ihrem Tod hat Wim Wenders Pina Bausch mit seinem Film Pina – tanzt, tanzt sonst sind wir verloren ein wunderbares Denkmal gesetzt.
Verfasserin: Adriane von Hoop
Zitate
»Das wünsche ich ganz vielen Menschen: andere Kulturen und Lebensweisen kennen zu lernen. Es gäbe viel weniger Angst voreinander, und man könnte viel deutlicher sehen, was uns alle miteinander verbindet. – Ich denke, es ist wichtig, zu wissen, in welcher Welt man lebt.«
Ihre Antwort auf die Frage, ob sie sich als deutsche Künstlerin sieht: »Wenn ich ein Vogel wäre, würden Sie mich dann als deutschen Vogel bezeichnen wollen?«
Links
Pina Bausch - Bibliographie. Auch als PDF zum Herunterladen.
Online verfügbar unter http://web.archive.org/web/20071226015219/http://pinabausch.de/bibliographie.htm, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: DVD-Video Medienkombination.
Pina-Bausch-Freundeskreis Solingen.
Online verfügbar unter http://www.pina-bausch-solingen.de/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Tanztheater Wuppertal - Pina Bausch. Offizielle Webseite.
Online verfügbar unter http://www.pina-bausch.de/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Becker, Peter von (2009): Pina Bausch: Die Königin der Nacht. Nachruf.
Online verfügbar unter http://www.tagesspiegel.de/kultur/buehne-alt/nachruf-pina-bausch-die-koenigin-der-nacht/1548756.html, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: DVD-Video Medienkombination.
Fischer, Eva-Elisabeth (2009): Zum Tod von Pina Bausch – Mit geschlossenen Augen.
Online verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-pina-bausch-mit-geschlossenen-augen-1.90198, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6Pz9GffNi.
Internet Movie Database: Pina Bausch. Filme.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm0062471/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Pina Bausch.
Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118507680, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
schwebebahn.net: Grab von Pina Bausch auf dem Friedhof Krummacher Straße in Wuppertal.
Online verfügbar unter http://schwebebahn.net/5-elberfeld/v-pina-bausch-grab.htm, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Stadt Wuppertal: Pina Bausch ist Ehrenbürgerin Wuppertals.
Online verfügbar unter https://www.wuppertal.de/kultur-bildung/tanztheater/102010100000009971.php, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6Pz9Mi07T.
Fotos
Pina Bausch | Bettina Stöß Photographie.
Online verfügbar unter http://www.moving-moments.de/archiv/tanz/bausch/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
www.jochenviehoff.de.
Online verfügbar unter http://www.jochenviehoff.de/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Carbone, Francesco: Pina Bausch. The dream is …
Online verfügbar unter http://www.carbonefrancesco.com/portfolio/pina-bausch-the-dreams-is/, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
Weigelt, Gert: »Meine« Choreografen. Diese Woche: Pina Bausch. tanznetz.de, 31.12.2013. Mit Link zu Fotogalerie.
Online verfügbar unter http://www.tanznetz.de/blog/26182/weigeltweb-meine-choreografen, zuletzt geprüft am 16.06.2019.
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