Biographien Jeanne Françoise Julie Adélaïde Récamier
(Jeanne Françoise Julie Adélaïde Bernard [Geburtsname]; Julie Récamier; Juliette Récamier; Mme. Récamier; Jeanne Francoise Julie Adelaide Recamier)
geboren am 4. Dezember 1777 in Lyon
gestorben am 11. Mai 1849 in Paris
französische Salonière, Napoleongegnerin, Freundin von François René Chateaubriand
175. Todestag am 11. Mai 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Juliette hatte bestimmt, dass nach ihrem Tode ein Köfferchen voller Briefe – eigene in ihrer kleinen, zarten Handschrift, die sie von den Adressaten zurückbekommen hatte, und an sie gerichtete – ungelesen verbrannt werden sollte. Schweren Herzens erfüllte ihre Adoptivtochter, eine Nichte ihres Mannes, der sie eine vorbildliche Mutter gewesen war, diesen Wunsch. Sie wusste, dass damit die Rätsel der wahren Persönlichkeit Juliettes ungelöst bleiben würden.
War der 42 Jahre alte Bankier Récamier, dem die 15-Jährige angetraut wurde, wirklich ihr Vater, der ihr während der Schreckensherrschaft ihr Vermögen erhalten wollte? Die Ehe wurde nie vollzogen – warum nicht, bleibt unbekannt. Juliette blieb noch zwei Jahre im Hause der Eltern, erst dann präsentierte Herr Récamier in einem eleganten Hause seine Frau der Öffentlichkeit. Ihre bezaubernde Erscheinung, die fast schmucklose Eleganz, die allenfalls durch sparsam verwendete Perlen unterstrichen wurde, das fast scheue, zurückhaltende Auftreten zog sofort alle Männer in ihren Bann. Sie kokettierte, aber sie wahrte Distanz, so dass keiner ihrer Bewunderer, auch der indiskreteste nicht, sich rühmen konnte, ihr nähergekommen zu sein. Sie verstand die seltene Kunst, ihre Verehrer in lebenslange treue Freunde zu verwandeln.
Ihre Freundschaft mit Mme. de Staël ermöglichte auch dem Adel und Napoleongegnern den Zugang zum (bürgerlichen) Salon der Récamier. Wo die Meinungen zu hart aufeinander prallten, stellte Juliettes Anwesenheit Harmonie her, herrschten Grobheit und rüdes Benehmen, besänftigte ihre Gegenwart.
Aber Juliette war weit mehr als eine bewunderte und verwöhnte Schönheit. Napoleons (eindeutiges) Angebot, Palastdame Josephines zu werden, lehnte sie drei Mal ab, was ihr seinen Zorn eintrug. Als sie später gegen sein Verbot die nach Coppet verbannte Mme. de Staël besuchte, wies Napoleon sie für Jahre aus Paris aus und verweigerte jede Hilfe, als das Bankhaus Récamier in Schwierigkeiten geriet und geschlossen werden musste. Juliette verkaufte ihr Haus und sämtliche Kostbarkeiten ohne Bedauern, ohne Klage, ohne Tränen. Sie mietete vom eigenen Geld eine bescheidene Wohnung in einer säkularisierten Abtei, die sie mit ihrer Adoptivtochter und einer Kammerfrau bezog. Ihren Mann und seine Verwandten ließ sie von dort aus versorgen. Sie hielt weiterhin „Hof”, und keiner ihrer Freunde ließ es sich verdrießen, die Stufen zu ihrer „Petite Cellule” hinaufzusteigen.
Bevorzugter Gast wurde der schon berühmte Dichter und Staatsmann François René Chateaubriand, zu dem Juliette trotz seiner stürmischen Liebschaften eine tiefe seelische Bindung entwickelte. Madame Récamier blieb bis zu seinem Tode über 30 Jahre lang der ruhende Pol in seinem exzentrischen Leben. Auch alternd und erblindend zog Juliette die Menschen in ihren Bann, besonders die junge Generation der Literaten und Dichter. Sainte-Beuve schrieb:
„Sie hatte niemals eine größere Stellung in der Welt als in ihrem bescheidenen Asyl am Ende von Paris.”
Nach dem Tode seiner Frau machte Chateaubriand Juliette einen Heiratsantrag, aber sie gab ihm einen Korb wie 40 Jahre zuvor dem Prinzen August von Preußen.
Wenige Monate nach dem Tode Chateaubriands starb auch Juliette. In seinem großen Werk Mémoires d’Outre Tombe setzte er ihr ein bleibendes Denkmal: “Es scheint mir, daß alles, was ich je geliebt habe, ich liebte es in Juliette ... es war immer nur sie, die ich in den anderen suchte.”
(Text von 1998)
Verfasserin: Adelheid Steinfeldt (1998)
Zitate
„Ich schwöre bei meiner Ehre und meiner Liebe, das Gefühl, das mich an Juliette Récamier bindet, in all seiner Reinheit zu bewahren, alle durch die Pflicht gebotenen Schritte zu unternehmen, um mich ihr durch das Band der Ehe zu verbinden, und keine Frau zu besitzen, solange ich die Hoffung habe, mein Geschick mit ihrem zu vereinen.”
Coppet, 18. Oktober 1797 August, Prinz von Preußen
(Der Originalbrief ist in Französisch geschrieben. August von Preußen ist ein Neffe Friedrichs des Großen und der Bruder des 1806 bei Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand)
„Man hat so viele Beschreibungen Mme. Récamiers gegeben, von denen meines Erachtens keine richtig ist. Sie stellt den wahrsten Typ der Frau dar, so wie sie aus den Händen des Schöpfers kommt, um den Mann zu beglücken, begabt mit allen Tugenden, allen Reizen, aber auch den Inkonsequenzen und den Schwächen des Geschlechts…”
(Mme. de Boigne, Freundin von Juliette Récamier)
Récamier (spr. -mjé), Julie, geborne Bernard, geb. 3. Dez. 1777 in Lyon, gest. 11. Mai 1849 in Paris an der Cholera, verehelichte sich 1793 mit einem reichen Bankier in Paris und wurde nun wegen ihrer Schönheit, ihres Geistes und ihrer Liebenswürdigkeit die Königin der eleganten Gesellschaft. Obwohl diese Eigenschaften und eine „engelgleiche” Koketterie ihr die Liebe vieler bedeutender Männer gewann (Lucien Bonaparte, Bernadotte, M. und A. Montmorency, Prinz August von Preußen, Ballanche, Benj. Constant etc.), so ist ihr Ruf doch rein geblieben. 1811 wegen ihrer regierungsfeindlichen Gesinnung aus Paris ausgewiesen, lebte sie teils in Coppet bei Frau v. Staël, teils auf Reisen, bis sie nach der Restauration nach Paris zurückkehrte. Seit dem zweiten Bankrott ihres Gatten 1819 lebte sie zurückgezogen in der Abbayeaux-Bois, wo sich in ihrem Salon bald wieder ein auserlesener Kreis, dessen Mittelpunkt Chateaubriand war, versammelte. Madame R. hat nur wenig geschrieben, aber dies Wenige ist ausgezeichnet. Ihre Nichte und Adoptivtochter, Madame Lenormant, veröffentlichte: „Souvenirs et correspondance tirés des papiers de Mad. R.” (1859, 2 Bde.; 4. Aufl. 1875). Vgl. Brunier, Ein edles Frauenbild: Julie R. (Preßb. 1875); Turquan, Madame R. (Par. 1902; deutsch, Leipz. 1903); E. Herriot, Mad. R. et ses amis (Par. 1905, 2 Bde., mit reicher Bibliographie); Ettlinger, Madame R. (in dem Sammelwerk „Die Frau”, 2. Aufl., Leipz. 1906).
[Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905), S. 162230 http://www.digitale-bibliothek.de/band100.htm ]
Eine heilsame Einwirkung auf mein Gemüth hatte der Umgang mit der liebenswürdigen, edlen Juliette Récamier, mit ihrer herrlichen Freundin Annette de Gérando, mit Camille Jordan, und einigen andern wackern Leuten. Madame Récamier, der wegen ihrer Schönheit Vielberühmten, ist von einigen Menschen nicht völlige Gerechtigkeit wiederfahren, weil sie, die fast noch ein Kind war, ganz mit der Welt unbekannt, durch ihre Verbindung mit dem reichen Banquier Récamier sogleich in glänzende Verhältnisse kam, und in den Strudel der großen Welt im üppigen Paris hineingerissen wurde. Der himmlische Vater wollte nicht, daß so viel Schönheit, Anmuth, Gutmütigkeit und Sittsamkeit, als in Julietten vereinigt lag, zu Grunde ginge. Sie blieb rein und gut, und bildete sich, durch den Einguß ächter tugendhafter Freunde und Freundinnen, zu einem Musterbild der Frömmigkeit, Herzensgüte, des Edelmuths und strenger Sittenreinheit aus. War sie in den Tagen ihres Glanzes, wenn gleich rechtschaffen und keusch, dennoch weltlich und etwas eitel, so zeigte sie sich hingegen im Unglück groß, und ging mit Glanz, als eine wahre Christin, aus vielen und schweren Prüfungen hervor.
[Helmina von Chézy: Erinnerungen aus meinem Leben, bis 1811. Deutsche Autobiographien, S. 17019 http://www.digitale-bibliothek.de/band102.htm ]
[…] und am selben Tage sah ich Madame Récamier, die berühmteste Schönheit zur Zeit der Merowinger, sowie auch Herrn Ballanche, der zu den pièces justificatives ihrer Tugend gehörte und den sie seit undenklicher Zeit überall mit sich herumschleppte. Leider sah ich nicht Herrn von Chateaubriand, der mich gewiß amüsiert hätte.
[Heinrich Heine: Geständnisse. Deutsche Autobiographien, S. 31832 http://www.digitale-bibliothek.de/band102.htm ]
Madame Recamier war die reizende Frau eines Banquiers, der zu seiner Zeit ein großes, von den bedeutendsten Zeitgenossen besuchtes Haus machte. Es bot seiner Gattin Gelegenheit bekannt zu werden. Bald wurden Diejenigen, die sie näher kennen lernten, inne, daß in dem schönen Körper ein noch schönerer Geist wohne. Madame Recamier war das hülfreichste Weib, und vor allem die treuste Freundin. Das Unglück ihrer Freunde kettete die edle Frau nur noch fester an sie. Sie trotzte dem Verbote wie dem Zorne Napoleons, ja dem Schicksal selbst verbannt zu werden, um ihrer verbannten Freundin, Frau von Staël, in Coppet Trost zu bringen.
Das Vermögen des Mannes ging durch die Unbilden einer despotischen Regierung verloren, Jugend und Schönheit der Frau durch die Unbilden der noch despotischeren Zeit, das Gemüth ging nicht verloren, ja es gewann an Schönheit in dem Maße, als seine Hülle an dieser verlor. Sie blieb den Freunden, die Freunde blieben ihr, und diese Freunde waren die bedeutendsten Männer und Frauen Frankreichs.
Sie war so schön gewesen und so gut, daß es zu viel, und Manchen, die ihr ferner standen, zu verdrießlich gewesen wäre, würde ihr auch Geist zu Theil geworden sein. Auch machte sie keinen Anspruch geistreich zu sein und es ist eine Eigenthümlichkeit des geistreichen Wesens, wenn es nur im Bereiche der Geselligkeit Gelegenheit hat sich auszusprechen, daß es selten in Dem anerkannt wird, welcher es besitzt, wenn er nicht beansprucht, es zu besitzen. Aber ihre näheren Freunde wußten dennoch, daß sie Geist besaß, und war er nicht gerade von der blitzendsten, so war er doch von der erwärmendsten Gattung.
[Henriette Herz: Ihr Leben und ihre Erinnerungen. Deutsche Autobiographien, S. 32041 http://www.digitale-bibliothek.de/band102.htm ]
Links
Ettlinger, Josef: Benjamin Constant – Der Roman eines Lebens. Mit einem Juliette Récamier gewidmeten Kapitel und zahlreichen Erwähnungen – Constant war ein glühender Verehrer der Récamier. Projekt Gutenberg.
Online verfügbar unter https://gutenberg.spiegel.de/buch/benjamin-constant-der-roman-eines-lebens-1122/1, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Kunjappu-Jellinek, Susanne: Die nicht mehr „Unbekannte Dame” – Caroline Jagemann. Etwas abgelegen, aber interessant, besonders für Kunstfreundinnen.
Online verfügbar unter http://art-authentic.de/unbekannte-dame/vergleich.htm, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Nerger, Klaus: Récamier, Jeanne Françoise Julie Adélaïde née Bernard. Grabstätte.
Online verfügbar unter http://www.knerger.de/html/recamiersonstige_58.html, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
swisscastles.ch: Das Schloss von Coppet. Das Zimmer von Madame Récamier.
Online verfügbar unter http://www.swisscastles.ch/Vaud/Coppet/covisiteguidee3_d.html, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Wikimedia Commons: Juliette Récamier.
Online verfügbar unter http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Juliette_R%C3%A9camier?uselang=de, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Wikipedia: Julie Récamier.
Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Julie_R%C3%A9camier, zuletzt geprüft am 29.04.2019.
Literatur & Quellen
Quelle
Ballanche, Pierre Simon (1999): Vie de Madame Récamier. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Kurt Kloocke. Frankfurt am Main, Berlin. Lang.
Herold, Christopher (1982): Madame de Staël. Dichterin und Geliebte. (=Mistress to an Age). Aus dem Englischen von Lilly von Sauter. München. Heyne (Heyne-Bücher, 12; Heyne-Biographien, 99).
Leitich, Ann Tizia (1967): Eine rätselhafte Frau. Madame Récamier und ihre Freunde. Hamburg. Marion von Schröder.
Levaillant, Maurice (1958): The passionate exiles. Madame de Staël and Madame Récamier. (=Une amitié amoureuse). Aus dem Französischen von Malcolm Barnes. New York. Farrar Straus and Cudahy.
Sieburg, Friedrich (1967): Robespierre, Napoleon, Chateaubriand. Stuttgart. DVA.
Trouncer, Margaret (1953): Madame Récamier. Stuttgart. Tauchnitz (Tauchnitz Edition, 121).
Weiterführende Literatur
Bordeaux, Henry (1932): Amitié ou amour. L'amitié amoureuse ; Marie-Antoinette et Fersen ; Pauline de Beaumont et Chateaubriand ; les amours de Xavier de Maistre à Aoste ; Rosalie de Constant ; le secret de Madame Récamier. Paris. Plon.
Castries, René Gaspard Marie Edmond LaCroix Duc de (1971): Madame Récamier. Paris. Hachette (Hommes et évènements).
Chateaubriand, François-René de (1951): Lettres à Madame Récamier. Paris. Flammarion.
Constant, Benjamin (1864): Lettres de Benjamin Constant à Madame Récamier. Paris. Dentu.
Ettlinger, Josef (1906): Madame Récamier. Leipzig. Rothbarth (Die Frau Serie 2, 13).
Herriot, Édouard (1900): Madame Récamier und ihre Freunde. (=Madame Récamier et ses amis). Deutsche Bearbeitung von Emma Müller-Röder. Berlin. Siegismund.
Kettler, Agnès (1996): Lettres de Ballanche à Madame Récamier, 1812 – 1845. Paris. Champion (Textes de littérature moderne et contemporaine, 7).
Lemaitre, Jules; Récamier, Juliette (1930): Madame Récamier. Paris. Helleu et Sergent.
Lenormant, Amélie; Récamier, Jeanne Françoise Julie Adelaide (1872): Madame Récamier, les amis de sa jeunesse et sa correspondance intime. Paris. Lévy.
Magnant, Ernest; Tallien, Jeanne Marie Ignace Therèse (o. J. [1926]): Deux reines de beauté. Mme Tallien, Mme Récamier. Paris. Michel.
Mohl, Mary Elizabeth; Récamier, Jeanne Françoise Julie Adélaïde (1862): Madame Récamier, with a sketch of the history of society in France. London.
Pennisi, Francesco (1981): Madame Récamier (due capricci per arpa). Milano. Ricordi.
Récamier, Jeanne Françoise Julie (1868): Lettres inédites et souvenirs biographiques de Mme Récamier et de Mme de Stael publiés par le baron de Gerando … Paris, Metz.
Récamier, Jeanne Françoise Julie Adélaïde Bernard (1876): Souvenirs et correspondance tirés des papiers de Madame Récamier. Paris. Calmann Lévy.
Récamier, Jeanne Françoise Julie Adélaïde; August von Preußen (o. J. [1976]): Die Briefe des Prinzen August von Preußen an Madame Récamier. (=Lettres du Prince Auguste de Prusse 1807 à 1843). Sonderdruck. Unter Mitarbeit von Alfred W. Hein. Zürich. Artemis.
Récamier, Jeanne Françoise Julie Adélaide; Lenormant, Amélie (1859): Souvenirs et correspondance, tirés des papiers de Madame Récamier. Paris. Lévy.
Rondelet, Antonin (1851): Madame Récamier. Suivi d'une étude sur Madame de Staël. Paris. Dezobry et Magdeleine.
Rostand, Maurice (1950): Madame Récamier. Eine liebevolle Komödie in 3 Akten und einem Epilog. Frankfurt am Main. S. Fischer.
Turquan, Joseph; Récamier, Julie (1903): Frau Récamier und ihre Freunde. Ein Frauenbild aus bewegter Zeit. Leipzig. Schmidt & C. Günther.
Wagener, Françoise (1986): Madame Récamier, 1777-1849. Paris. Lattès.
Bildquellen
Kindlers Malereilexikon, http://www.digitale-bibliothek.de/band22.htm
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