Biographien Charlotte Perkins Gilman
(Charlotte Anna Perkins (Stetson) Gilman)
geboren am 3. Juli 1860 in Hartford, Connecticut
gestorben am 17. August 1935 in Pasadena, Kalifornien
US-amerikanische Schriftstellerin, Publizistin, feministische Theoretikerin und Aktivistin
160. Geburtstag am 3. Juli 2020
85. Todestag am 17. August 2020
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Wer war Charlotte Perkins Gilman?
Charlotte Perkins Gilman, eine der bedeutendsten feministischen Schriftstellerinnen und Theoretikerinnen der USA, ist im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt geblieben. Auch in ihrer Heimat war sie etwa 50 Jahre lang so gut wie vergessen, bis 1973 mit der Wiederauflage ihrer Erzählung von 1892 “Die gelbe Tapete”, in der sie einen Abstieg in den Wahnsinn aus der Perspektive der Kranken, einer jungen Ehefrau und Mutter, beschreibt, die Diskussion um ihr Werk wieder auflebte. Eine Diskussion, die bis heute nicht abreißt.
Charlotte Perkins Gilman lebte von 1860 bis 1935. Etwa drei Jahrzehnte, von 1890 bis 1920, arbeitete sie als Autorin und international gefragte Vortragsrednerin für die Sache der Frau. Sie war eine unermüdliche Arbeiterin, die ein so umfangreiches Werk hinterließ, daß frau sich beklommen fragt, wie sie dies zustandebrachte, ohne wieder zusammenzubrechen. Denn ihre Karriere begann mit einem Nervenzusammenbruch.
In der Gilman-Literatur wird dieser Zusammenbruch häufig mit der Geburt der Tochter Katharine in Verbindung gebracht und als Wochenbettdepression eingeordnet. Aber eine genauere Betrachtung ihres Lebens bis zu diesem Zeitpunkt legt eine differenziertere Deutung nahe. Auch die Tatsache, daß Charlotte sich besser, ja gesund fühlte, sobald sie Mann und Kind hinter sich ließ, und augenblicklich wieder erkrankte, wenn sie in ihre kleine Familie zu ihren Pflichten einer Mutter, Hausfrau und Gattin zurückkehrte, spricht für eine andere Erklärung.
Kindheit, Jugend und Heirat
Charlotte Perkins Gilman war ein sehr einsames, herumgestoßenes Kind gewesen, dem systematisch jegliche Zärtlichkeit versagt wurde. Kurz nach ihrer Geburt verließ der Vater die Mutter und kümmerte sich in der Folge kaum noch um seine Familie. Um ihrer Tochter den Schock eines plötzlichen Liebesentzugs zu ersparen, wie sie ihn erlitten hatte, beschloß die Mutter, Charlotte erst gar nicht an Liebe und Zärtlichkeit zu gewöhnen. Sie verbot ihr auch das Lesen von Romanen und enge Freundschaften, und Charlotte gehorchte.
Mit 15 allerdings nahm Charlotte ihre Erziehung selbst in die Hand und verfuhr, wenn möglich, noch rigoroser als die Mutter. Sie hielt sich für charakterschwach, und ihre Gefühlsausbrüche - Brüllen und Schreien - machten ihr Angst. Also setzte sie sich zum Ziel, einen disziplinierten und kontrollierten Menschen aus sich zu machen.
Eigentlich hatte sie nie heiraten wollen, sondern beschlossen, ihre Geistes- und Charakterstärken für die Menschheit einzusetzen, statt als Hausfrau, Gattin und Mutter zu wirken. Andererseits war sie nach all der Selbstkasteiung und dem systematischen Liebesentzug seit ihrer Kindheit natürlich emotional völlig ausgehungert. Sie hatte innige Beziehungen zu Freundinnen, besonders zu Martha Luther, der sie später schrieb: “Ich habe Dich mehr geliebt als sonst irgendwen, in jener Zeit, als ich noch ein Herz zum Lieben und Leiden hatte.”[1] Die 21jährige Charlotte ermahnte sich in ihrem Tagebuch in aller Form zur Ehelosigkeit: “Aus vielen und guten Gründen ... entscheide ich mich dafür zu LEBEN - allein.”[2]
Wenige Tage nach diesem Eintrag lernte sie den Maler Charles Walter Stetson (1858-1911) kennen, einen charmanten jungen Mann, den sie zweieinhalb Jahre später heiratet. Während der Verlobungszeit schreibt Walter in sein Tagebuch (die Herausgeberin charakterisiert es als “ein Schlag-auf-Schlag-Protokoll des Kampfes ums Überleben, den Charlotte führt, und der Manöver Stetsons, um die Kontrolle zu behalten”: “O wie dieser Geist gebrochen ist. Der falsche Stolz schmilzt schnell durch die Liebe.” “Sie möchte eher als Kind denn als Frau behandelt werden.”[3] Je mehr Charlotte sich Walter gegenüber als Kind fühlt, umso mehr haßt sie sich selbst. Walter klagt: “Ihre Selbstanklagen sind endlos; ein großer Anfall von Selbstverleugnung hat sie überkommen. Sie sprach vom Sterben, daß mir das Herz wehtat.” Es wurde immer schlimmer mit ihr, je mehr ihre Heiratspläne vorankamen. Der Abstieg in den Wahnsinn hatte mit “Spasmen des Entsetzens” und “Hysterie” schon hier, lange vor der Wochenbettdepression, begonnen.
Ehe, Mutterschaft, Wahnsinn
Die Hochzeitsnacht und die ersten Wochen der Ehe waren noch erstaunlich glücklich. Bald aber wird ihr das Leben als Nur-Hausfrau und Nur-Gattin unerträglich, stellen sich wieder die Depressionen ein. Sie wird schwanger, und die Depression vertieft sich. Sie verfällt für Monate in Lethargie. Nach der Geburt der Tochter Katharine im März 1885 fühlt sie sich endgültig in der Falle: “Jeden Morgen dasselbe hoffnungslose Erwachen, dasselbe Sich-Dahinschleppen. Sterben wäre bloß Feigheit. Rückzug unmöglich, Flucht unmöglich.” “...nein, er versteht nicht, wie unwiderruflich gebunden ich bin, lebenslänglich, lebenslänglich. Nein, wenn er nicht stirbt oder das Baby, oder er sich nicht ändert oder ich mich nicht ändere, gibt es keinen Ausweg.”[4]
Im Herbst 1885 läßt sie Mann, Kind und Mutter (die sich um das Kind kümmert) in Providence zurück und fährt quer über den Kontinent nach Pasadena zu ihrer Freundin Grace Channing. Dort fühlt sich Charlotte wie im Paradies und erholt sie sich ganz allmählich. Die Freundinnen verfassen zusammen Theaterstücke und führen sie mit großem Erfolg auf. Im Frühjahr 1886 kehrt Charlotte gestärkt und frohgemut zu ihrer Familie zurück, aber dort stellt sich nach kurzer Zeit das alte Elend wieder ein. Charlotte war nun einmal nicht für Ehe- und Mutterglück nach damaligem Zuschnitt geschaffen - und sie hatte es gewußt und lange entschlossenen Widerstand geleistet. Warum überhaupt hatte sie nachgegeben und sich auf das für sie so verheerende Unternehmen eingelassen?
Gilmans Biographin Ann Lane bietet folgende Erklärung an. Sie berichtet von den Erfahrungen der Psychoanalytikerin Alexandra Symonds mit bestimmten Patientinnen, die Charlotte auffallend ähneln. Die Patientinnen sind “tüchtig, unabhängig und selbstbewußt, bis sie heiraten; dann werden sie völlig hilflos und abhängig. Sie ‘schrumpfen ... zusammen’, werden deprimiert und ängstlich.” Die dazugehörigen Ehemänner werden ausnahmslos als freundlich und hilfreich geschildert. Bewußt zeigen die Frauen keinerlei Wut; selbst die ganz normalen Spannungen zwischen Menschen, die zusammenleben, werden verdrängt. “Voller Angst vor der eigenen Feindseligkeit, mit der sie fast jede Art von Selbstbehauptung verwechseln, verwenden diese Frauen enorme Energien darauf, ihre Gefühle zu zügeln. ‘Erbarmungslos erwürgen sie ihr inneres Selbst’, so charakterisiert Symonds dies Verhalten.”[5]
Und wieso reagieren diese Frauen so auf die Heirat? Sie alle stammen - wie Charlotte - aus Familien, die sie früh, zu früh, zwangen, ihre Gefühle zu kontrollieren. Dies gab ihnen als Heranwachsenden die Illusion von Stärke. “Aber mit der Heirat konnten sie ... sich erlauben, das abhängige kleine Mädchen zu sein, das sie zum angemessenen Zeitpunkt nicht hatten sein dürfen.”[6] Die Unterwerfung wird sogar von ihnen erwartet - aber sie zahlen einen hohen Preis, nämlich ein “erbarmungslos abgewürgtes Selbst.”
Wir möchten hinzufügen, daß eine solche Entwicklung für Frauen im Patriarchat nachgerade vorgezeichnet ist, nur nimmt sie normalerweise nicht so dramatische Formen an. Es wird praktisch von jedem Mädchen verlangt, zu früh erwachsen zu werden, Verantwortung für das Wohlergehen anderer zu übernehmen und aggressive Gefühle unter Verschluß zu halten. Und die Ehe ist noch heute ein Ort, in dem der Mann die Führung übernehmen und die Frau sich dieser Führung anvertrauen soll. Das Ergebnis für die “normale Gattin, Hausfrau und Mutter”: eine “graue” Depression, nicht so schwarz wie Charlottens. Frau “kann damit leben” - dafür/ deshalb bleibt diese graue Depression ihre lebenslängliche Begleiterin in Form von Lustlosigkeit, Antriebsarmut und abgründiger Müdigkeit.
Charlotte aber “konnte damit nicht leben” und suchte ärztliche Hilfe. Im Frühjahr 1887 begab sie sich in Behandlung bei Dr. S. Weir Mitchell, dem berühmten Schriftsteller, Neurologen und Erfinder der Ruhekur zur Heilung einer Gemütskrankheit, die damals immer mehr Frauen der “besseren Stände” befiel, die das viktorianische Ideal der selbst-losen und engelreinen Gattin und Mutter nicht verwirklichen konnten.
Geistige Betätigung hielt Mitchell bei Frauen für pathologisch. Die Behandlung war eine Art Mastkur mit dem Ziel der Stillegung und Infantilisierung der Patientin, die sich danach geradezu dankbar auf ihre Hausfrauenpflichten stürzen sollte. Eine andere berühmte Patientin, an der die Mastkur sogar wiederholt exekutiert wurde, war Virginia Woolf.
Mitchell schickte Gilman nach einem Monat mit folgender Anweisung nach Hause: “‘Leben Sie so häuslich wie möglich. Ihr Kind sollte immer um Sie sein.’ (Hierzu sei angemerkt, daß ich schon zu weinen und zu zittern anfing, wenn ich das Kind nur anzog….) ‘Legen Sie sich nach jeder Mahlzeit eine Stunde hin. Jeden Tag nicht mehr als zwei Stunden geistiger Beschäftigung! Und rühren Sie nie wieder Feder, Pinsel oder Bleistift an, so lange Sie leben.’ Ich fuhr nach Hause, befolgte diese Anweisungen strikt und geriet gefährlich nahe an den Rand des Wahnsinns. Die geistige Agonie wurde so unerträglich, daß ich mit leeren Augen dasaß und meinen Kopf hin und her warf - um aus der Qual herauszukommen. Kein körperlicher Schmerz, nicht einmal der geringste Kopfschmerz, nur geistige Qual, so lastend in ihrer alptraumartigen Düsternis, daß sie real genug schien, um sich vor ihr zu ducken… Ich kroch in die hintersten Wandschränke und unter Betten - um mich vor dem zermalmenden Druck dieses abgründigen Elends zu verstecken.”[7]
Ausbruch und Aufbruch
Charlotte, am Ende angekommen, schlug die Anweisungen des Nervenarztes in den Wind, verließ im Oktober 1888 ihren Mann und zog mit ihrer kleinen Tochter zu den Channings nach Pasadena, dem einzigen Ort, an dem sie nach der Heirat jemals glücklich gewesen war.
1890 schrieb sie “Die gelbe Tapete”, jene Erzählung, die - vor ihren Theorie-Klassikerinnen und ihren feministisch-utopischen Romanen - ihren heutigen Ruhm begründete.
Die Geschichte malt aus, was mit ihr geschehen wäre, wenn sie Dr. Mitchells Anweisungen gefolgt wäre - den “Fall eines Nervenzusammenbruchs, der ungefähr so anfing wie meiner und so behandelt wurde, wie Dr. S. Weir Mitchell mich behandelte, mit dem meiner Meinung nach unausweichlichen Resultat: fortschreitender Wahnsinn.” [8]
Aktivistin und Theoretikerin für die Rechte der Frau
Gilman war nun frei und mußte für sich und ihre Tochter den Lebensunterhalt verdienen. 1891 zog sie mit ihrer geliebten Partnerin Adeline Knapp nach Oakland und eröffnete eine kleine Pension. Ihre krebskranke Mutter wurde ebenfalls in den Haushalt aufgenommen. Trotz der Pflege-, Erziehungs- und Hausverwaltungsarbeit brachte Gilman es fertig, weiter beständig Artikel zu schreiben und sie auch zu verkaufen.
Ein Jahr nach dem Tod der Mutter 1893 wurden Charlotte und Walter geschieden. Grace Channing und Walter heirateten bald darauf, und Charlotte entschied sich schweren Herzens, ihre neunjährige Tochter Katharine von den beiden aufziehen zu lassen. Sie war inzwischen bereits eine lokal recht bekannte Rednerin und Publizistin, und diese “herzlose Tat” war für die konservative Presse Kaliforniens ein gefundenes Fressen. Denn Gilman war gefährlich: “Sie half den Frauen, mit dem Denken anzufangen, ohne sie zu erschrecken. Es war Magie. Es war ein EREIGNIS.” [9]
Von einem Häufchen Elend am Rand des Wahnsinns zur mitreißenden Rednerin - was für eine unglaubliche Entwicklung in so kurzer Zeit! Verständlich, dass Gilman anderen Frauen, vielen Frauen, möglichst allen Frauen den Weg zur Selbstbefreiung zeigen wollte.
Nachdem Katharine fort war, zog Charlotte zu ihrer 21 Jahre älteren Freundin, der Schriftstellerin Helen Campbell, nach San Francisco. “Mother Campbell”, überzeugte Kämpferin für die Rechte berufstätiger Frauen, machte Charlotte mit den Ideen des Sozialismus und Antikapitalismus vertraut, bekochte und tröstete sie und richtete sie wieder auf, wenn es ihr schlecht ging. Ihre zärtliche Liebe füreinander überstand etliche Krisen und hielt fast 20 Jahre lang.
Zwischen 1895 und 1900 dehnte sich Gilmans Wirkungskreis auf die internationale feministische Szene aus. Sie reiste von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, von Frauenkongressen zu Stimmrechtsversammlungen, ohne feste Adresse und ohne Haushaltsverpflichtungen. 1896 freundete sie sich in London mit Beatrice und Sidney Webb, G.B. Shaw und anderen Fabian Socialists an.
Die Reformsoziologen Frank Ward und Edward A. Ross unterstützten sie in der Überzeugung, ihre wichtigste Aufgabe sei die Konstruktion eines umfassenden Moralsystems auf der Basis der wissenschaftlichen Soziologie und verfasst in verständlicher Sprache. Denn das war eine ihrer großen Stärken: Sie konnte die Dinge auf den Punkt bringen und komplexe Sachverhalte so anschaulich und klar, oft noch verblüffend und witzig darstellen, dass sie ein großes Publikum erreichte - damals wie heute ein zentrales Anliegen feministischer Aufklärung und Politik.
Ihr erstes großes theoretisches Werk, Women and Economics (1898) ist eine Abhandlung über die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann und die negativen Folgen dieser Ungerechtigkeit für Frauen und die Gesellschaft als Ganzes. Wie bei der Kuh hat mann die Geschlechtsfunktionen der Frau überzüchtet und ihre menschlichen Fähigkeiten gezielt verkümmern lassen. Zur Abhilfe plädiert Gilman für flächendeckende Haushalts-Service-Einrchtungen (Gemeinschaftsküchen, -wäschereien usw.), damit die Frau aus ihrem Haushaltsgefängnis befreit wird und in einer Welt ohne Apartheid sinnvollen und angesehenen Tätigkeiten nachgehen kann. Women and Economics wurde in sieben Sprachen übersetzt und erlebte sieben Neuauflagen.
1900 heiratete Charlotte ihren Vetter, George Houghton Gilman, einen Rechtsanwalt, der sieben Jahre jünger war als sie. Die Ehe hielt 34 Jahre lang, bis zu seinem Tod, und war sehr glücklich. “Ho” unterstützte von Anfang an rückhaltlos Charlottes berufliche Tätigkeit.
Dass die zweite Ehe nicht wieder schwere Depressionen auslöste, lag sicher auch daran, dass Gilman bei ihrem “Antritt” eine erfahrene und erfolgreiche Frau von 40 Jahren war, die von dem Gatten nicht mehr einfach “zurechtgestutzt” werden konnte - dem dies im übrigen auch nicht in den Sinn gekommen wäre.
Ende 1909 startete die fast Fünfzigjährige das anspruchsvollste Projekt ihres Lebens, die Monatszeitschrift The Forerunner. Sie zeichnete als Besitzerin, Herausgeberin und Alleinautorin. Für jährlich einen Dollar bekamen 3.000 AbonnentInnen Monat für Monat auf 30 Seiten: eine Kurzgeschichte, verschiedene Gedichte, Artikel und Buchrezensionen sowie je ein Kapitel eines Fortsetzungsromans und eines Fortsetzungssachbuchs, alles aus der Feder Charlotte Perkins Gilmans. Die Zeitschrift erschien sieben Jahre lang, bis 1916.
In den “roaring twenties” trat Gilman in ihr sechstes Jahrzehnt und begann widerstrebend mit ihrer Autobiographie, deren Fertigstellung sich bis kurz vor ihrem Tode 1935 hinzog. Sie interessierte sich mehr für die Gegenwart und die Zukunft als für ihre Vergangenheit. Und die Gegenwart machte ihr politisch wenig Freude. Das Frauenstimmrecht war erstritten, und die “New Woman” betrat die Szene. Gilman musste mit ansehen, wie die jungen Frauen sich immer mehr von den sozialistisch-feministischen Zielen entfernten, für die sie dreißig Jahre lang gekämpft hatte. Die große Chance, jetzt ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit durchzusetzen, vernachlässigte die “neue Frau” zugunsten einer Gilman mehr als fragwürdig erscheinenden Sexualbefreiung. Die Parallele zu heutigen Generationskonflikten innnerhalb der Frauenbewegung ist verblüffend.
In ihrem letzten philosophischen Werk, His Religion and Hers (1923), wendet sich Gilman der Ideologiekritik zu. Die Religion, von Männern gemacht und androzentrisch strukturiert, hat der Menschheit mehr geschadet als jede andere Institution oder Ideologie, erklärt Gilman. Allerdings kann sie umstrukturiert werden und dann vielleicht neue Hoffnung geben. Sie kann Gutes bewirken, wenn sie sich mehr für das Diesseits als für das Jenseits interessiert. Gilmans Kritik nimmt zentrale Thesen der Religionskritik Mary Dalys und feministischer Theologinnen vorweg.
1932 erkrankte Gilman unheilbar an Brustkrebs. Houghton, den ihre Krankheit sehr mitnahm, starb noch vor ihr an einer Gehirnblutung. Gilmans Leben, das so lieblos begonnen hatte, endete in einer Flut von wunderbar beredten, erschütternden Beweisen der Liebe und Verehrung, die Gilman dadurch zukamen, dass sie von ihren FreundInnen Abschied nahm und ihnen mitteilte, sie werde ihrem Leben bald selbst ein Ende setzen, wenn es ihr an der Zeit erscheine.
Am 17. August 1935 starb sie “schnell und schmerzlos” [10] durch das Einatmen von Chloroform. Ihrem Wunsch entsprechend gab es keinen Trauergottesdienst, und ihre Asche wurde über ihren geliebten Hügels Südkaliforniens ausgestreut.
(Text von 2010)
••••••••••••••••••••••••••••••••
- Lane 79. Alle Übersetzungen aus den englischsprachigen Originaltexten sind - soweit nicht anders angegeben - von uns, Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch.
- Lane 80.
- Hill 193.
- Hill 128-9.
- Lane 136.
- Lane 137.
- Gilman 1935, zitiert nach Lenz 1987: 33f.
- Hill 150.
- Howe 75
- Lane 360
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch
Links
Eine Femmage zu Charlotte Perkins Gilmans 150. Geburtstag von Rolf Löchel
Literatur & Quellen
Gilman, Charlotte Perkins. 1935. The Living of Charlotte Perkins Gilman: An Autobiography. New York; London. D. Appleton Century Co.
Gilman, Charlotte Perkins. 1987. The Yellow Wallpaper. Hg. Susanne Lenz. Stuttgart. Reclams UB (Fremdsprachentexte) 9224.
Gilman, Charlotte Perkins. 1994 [1982]. “Die gelbe Tapete”, in: Pusch, Luise F. Hg. 1994. Handbuch für Wahnsinnsfrauen. S. 111-36. Übs. Gerlinde Kowitzke. Frankfurt/M. Suhrkamp.
Golden, Catherine. Hg. 1992. The Captive Imagination: A Casebook on “The Yellow Wallpaper”. New York. The Feminist Press at the University of New York.
Hill, Mary A.1980. Charlotte Perkins Gilman: The Making of a Radical Feminist 1860-1896. American Civilization Series. Philadelphia, PA.Temple UP.
Hill, Mary Armfield. 1989. “On the Diaries of Charles Walter Stetson”. In: Karpinski, Joanne B. Hg. 1992. Critical Essays on Charlotte Perkins Gilman. New York. Hall. (1992: 184-201). [gekürzte Version der Introduction zu: Endure; the diaries of Charles Walter Stetson. Ed. by Mary Armfield Hill. Philadelphia. Temple University Press. 1989. pp. i-xxi.]
Koch-Kanz, Swantje & Luise F. Pusch. 1995. “Charlotte Perkins Gilman (1860-1935): Eine Wahnsinnsgeschichte”, in: Duda, Sibylle & Luise F. Pusch. Hgg. 1995. WahnsinnsFrauen. Zweiter Band. Frankfurt/M. suhrkamp TB 2493. S. 9-38.
Lenz, Susanne. 1987. “Nachwort”, in: The Yellow Wallpaper. Hg Susanne Lenz. S. 33-48. Stuttgart. Reclams UB (Fremdsprachentexte) 9224.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.