(Angela Dorothea Kasner [Geburtsname]; Dr. Angela Merkel)
geboren am 17. Juli 1954 in Hamburg
Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Politikerin, ehem. CDU-Vorsitzende und Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
70. Geburtstag am 17. Juli 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Wohl keine Frau stand und steht im wiedervereinigten Deutschland so im Brennpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit wie Angela Merkel, die erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und die erste Frau, die Vorsitzende einer der beiden großen Volksparteien geworden ist. Über die Ursachen ihrer rasanten politischen Karriere ist viel spekuliert worden. Alle, die Angela Merkel näher kennen lernen konnten, sind sich jedoch in einem Punkt einig: »Es ist immer falsch, Angela Merkel zu unterschätzen.« Mittlerweile sollten das auch diejenigen bemerkt haben, die in ihr anfangs nur »Kohls Mädchen« sahen oder die »graue Maus aus dem Osten«, die als Quotenfrau gerade recht kam und für niemanden eine ernste politische Gefahr darstellte.
Angela Merkel passt in kein Schema. Sie ist keine »normale« Ossi-Frau, obwohl sie in der DDR aufwuchs, denn sie war anderen gegenüber durch ihre Verwandtschaft in der BRD und durch deren Unterstützung privilegiert. Sie ist keine typische DDR-Pfarrerstochter, obwohl sie einen Pfarrer als Vater hat, denn dieser war viele Jahre als Leiter einer kirchlichen Bildungseinrichtung nicht im Pfarramt tätig und vertrat – anders als die meisten DDR-Pfarrer – durchaus linke Positionen. Auch waren die wenigsten DDR-Pfarrerskinder Mitglied bei den Jungen Pionieren und in der Freien Deutschen Jugend wie Angela Merkel und haben dort Leitungsfunktionen übernommen, unüblich war, dass Pfarrer über sogar zwei Fahrzeuge (Dienst- und Privatwagen) verfügten ...
Lange Zeit unterschied sich die Politikerin Merkel außer durch ihr schnelles, naturwissenschaftlich geprägtes analytisches Denken auch durch ihre klare, schnörkellose Sprache deutlich von den in den alten Bundesländern sozialisierten Politikerinnen, ein Vorzug, der ihr im politischen Getriebe inzwischen leider weitgehend abhanden gekommen ist.
Elternhaus und Geschwister Angela Dorothea Kasner wurde am 17. Juli 1954 in Hamburg-Barmbek geboren. Hier hatten sich ihre Eltern während des Studiums ihres Vaters kennen gelernt. Angelas Vater, Horst Kasner, stammt aus Berlin-Pankow und studierte Theologie in Heidelberg und Hamburg. Kurz nach Angelas Geburt trat er seine erste Pfarrstelle bei der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg an, durchaus im Wissen darum, dass das Leben als Pfarrer in der DDR schwierig sein würde. Die Kirchen in der DDR waren bestenfalls gelitten und galten als ein Überbleibsel des kapitalistischen Systems, das mit der Zeit absterben würde. Pfarrer waren eine besondere Spezies: Einerseits gefürchtet wegen ihres umfangreichen Wissens und des Einflusses auf Gemeindeglieder, andererseits belächelt als Ewiggestrige. Hinzu kam, dass DDR-Pfarrer äußerst geringe Gehälter erhielten. Das alles wusste Kasner – und kam zurück, weil er nicht »bei den Fleischtöpfen Ägyptens« bleiben wollte, während in der DDR Pfarrer dringend gebraucht wurden. Horst Kasner, auch der »rote Kasner« genannt, hatte Sympathie für sozialistische Ideale. Frühzeitig und überzeugt trat er für die Kirche im Sozialismus ein: Die evangelische Kirche sollte sich nicht im Kampf gegen den Staat aufreiben, sondern unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen leben und arbeiten, vor allem auch den Dialog mit den staatlichen Stellen suchen. Er gehörte später zur Leitung des Weißenseer Kreises, der als staatsnah und linkselitär galt, der aber sowohl dem Staat als auch der Kirche suspekt war. Die Meinungen über Kasners Beziehung zum DDR-Regime sind bis heute geteilt.
Angelas Mutter, Herlind Kasner geb. Jentzsch, eine fröhliche, lebenslustige, offenherzige Frau, durfte als Frau eines Pfarrers in der DDR ihren Beruf als Englisch- und Lateinlehrerin nicht ausüben – zu sehr fürchteten sich die Verantwortlichen vor anderen Weltanschauungen und deren möglichen Einflüssen auf die Schüler. Was für Herlind Kasner selbst von Nachteil war, sollte für ihre Kinder von großem Nutzen sein: Es gab viel Zeit für Gespräche über alle Sorgen und Probleme. Aus Angst vor Nachteilen für ihre Kinder hielt Herlind Kasner sie dazu an, sich um beste Leistungen in der Schule zu bemühen. Im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürgern war es Kasner und seiner Frau bereits vor dem Rentenalter vergönnt, in »nichtsozialistische« Länder zu reisen, sogar in die USA.
Angela Kasner kam mit acht Wochen in die DDR. In einem Dorf in der Prignitz trat ihr Vater seine erste Pfarrstelle an. Drei Jahre später übernahm er die Leitung des Waldhofs bei Templin, einer Kreisstadt in der Uckermark. Dort gab es zwei Einrichtungen in unmittelbarer räumlicher Nähe: Am von Kasner geleiteten Pastoralkolleg konnten Pfarrer sich weiterbilden, und es gab Kurse für Vikare, die vor dem zweiten Examen standen. Außerdem befand sich auf dem Gelände ein Heim für geistig Behinderte. Angela redete früh, aber sie lief nicht. Sie sei »ein kleiner Bewegungsidiot« gewesen, sagt sie. Erst mit fünf Jahren lernte sie, wie man einen Berg hinunterläuft. Dafür zeigte sie bereits in diesem Alter Bestimmer-Qualitäten: Anstatt selbst zu laufen, schickte Angela ihren drei Jahre jüngeren Bruder.
Das Verhältnis zu Eltern und Geschwistern – dem Bruder und der zehn Jahre jüngeren Schwester – war sehr innig, die Erziehung streng. Durch die auch in ihrem Haushalt aus und ein gehenden Behinderten erlebten die Kinder täglich normalen Umgang zwischen gesunden und kranken Menschen. Templin liegt in landschaftlich reizvoller, waldreicher Umgebung. Es gab Tiere und eine Gärtnerei auf dem Gelände. Großmutter und Tante aus Hamburg kamen oft zu Besuch, und die Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung ermöglichten ein angenehmeres Leben als in den meisten DDR-Pfarrhaushalten. Sie habe »praktisch nie DDR-Klamotten getragen«, erzählt Angela Merkel noch heute. Ihr Vater verfügte über eine große Bibliothek, auch mit »unerlaubter« Literatur. Durch Bücher und umfangreiche Anregung wurden die Kinder der Familie Kasner zu geistig regen, vielseitig interessierten Menschen mit einer umfassenden Bildung.
Schule 1961 wurde Angela in Templin eingeschult. Etwas später als ihre MitschülerInnen wurde sie, anders als die meisten DDR-Pfarrerskinder und auf eigenen Wunsch, Mitglied bei den Jungen Pionieren. Dennoch blieb es auch ihr nicht erspart, von Lehrern wegen Kleinigkeiten vor der Klasse vorgeführt zu werden. Auch der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der DDR-Jugendorganisation, trat sie später bei, weil sie »dazugehören wollte«. Von Anfang an engagierte sie sich so in zwei gegensätzlichen Welten, an der Jugendweihe nahm sie jedoch nicht teil.
Schnelle Auffassungsgabe, großes Wissen und Fleiß ermöglichten ausgezeichnete schulische Leistungen. Auf der Erweiterten Oberschule (= Gymnasium) war sie die »absolut beste Schülerin«, dabei aber keine Streberin, sondern hilfsbereit und gut gelitten in ihrer Klasse. Angela, ein Sprachgenie, musste sich in der Schule nur für »Sport, Zeichnen und Werken« anstrengen. 1973 legte sie in Templin ihr Abitur ab. Trotz ihrer Leidenschaft und Begabung für Sprachen bewarb sie sich für ein Physikstudium, weil Berufe wie Lehrerin, Dolmetscherin und Psychologin für Pfarrerstöchter kaum erreichbar und nur unter unerträglichen Zugeständnissen an die herrschende Ideologie auszuüben waren.
Studium Angela studierte von 1973 bis 1978 in Leipzig an der Karl-Marx-Universität Physik. Als Berufung empfand sie diese Wahl nie, auch wenn ihr das Studium Spaß machte. Die Theorie fiel ihr leicht, das Experimentelle weniger. Sie hatte eine schöne Studienzeit, besuchte regelmäßig die Studentengemeinde und verdiente sich in einem Studentenklub etwas dazu, ansonsten lebte sie wie alle DDR-StudentInnen vom Stipendium, das für normale Ansprüche ausreichend bemessen war. In Leipzig lernte sie Ulrich Merkel kennen, der ebenfalls Physik studierte. 1976 bezogen sie ein gemeinsames Zimmer, 1977 heirateten sie. 1978 legte sie ihre mit »sehr gut« bewertete Diplomarbeit vor. Eine Bewerbung an der TU Ilmenau nach Studienende scheiterte an einem feindseligen Kaderleiter (= Personalchef). Angela Merkel erwähnt für diese Zeit einen (erfolglosen) Stasi-Anwerbeversuch, der allerdings nicht aktenkundig ist.
Institut für Physikalische Chemie In Berlin fand Angela Merkel Arbeit. Von 1978 bis 1990 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften die einzige Frau in einem Team von acht Grundlagenforschern. Es war ein Inseldasein mit gewissen Privilegien, es herrschte eine harmonische Arbeitsatmosphäre, viele Feste und Unternehmungen wurden von den Arbeitskollegen gemeinsam begangen. Dennoch fiel ihr der Übergang zum Arbeitsleben schwer, hinzu kam das Problem, eine Wohnung in Berlin zu finden. Die Kulturangebote in der Hauptstadt jedoch nutzte sie gerne und oft – alles Avantgardistische blieb ihr dabei fremd. Wie im Elternhaus las sie weiter systemkritische Texte z. B. von Bahro, Sacharow und Solschenizyn, die sie auch anderen weitergab.
Angela Merkel und ihr Mann lebten sich auseinander, Ulrich wollte ein ruhigeres Privatleben. 1981 trennten sie sich, 1982 wurde die Ehe geschieden. Die Scheidungsrate in der DDR war hoch, und Angela Merkel sagte später: »Wir haben geheiratet, weil alle geheiratet haben. Das hört sich heute blödsinnig an, aber ich bin an die Ehe nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit herangegangen. Ich habe mich getäuscht.« Nach der Scheidung bezog sie illegal eine leerstehende Wohnung.
Bei der Arbeit hatte sie eher zwiespältige Gefühle, sagt sie heute, weil sie damit den Staat unterstützte, den sie ablehnte. Andererseits war Angela Merkel FDJ-Leitungsmitglied, bis 1984 FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda – nach schlechten Erfahrungen mit dem offenen Reden darüber sagt sie selbst heute »Kulturfunktionärin« dazu – und musste in dieser Funktion u. a. das FDJ-Studienjahr organisieren, monatlich stattfindende politische Schulungen für FDJ-Mitglieder. Das war nun gerade keine Funktion, die man annehmen MUSSTE. Die gesamtdeutsche Ministerin über die ostdeutsche FDJ-Aktivistin: »Ich war keine Heldin. Ich habe mich angepasst.« In ihrer Stasi-Opferakte wird sie 1984 jedoch der »politisch-ideologischen Diversion« bezichtigt, ihre kritische Haltung dem Staat gegenüber und ihre Zustimmung zur Solidarnosc in Polen vermerkt. Sie sagt, sie habe den Ausreiseantrag als Alternative immer im Hinterkopf gehabt und nie eine DDR-Identität entwickelt.
Um 1984 begann Angela Merkels Beziehung zu dem Chemiker Joachim Sauer, der damals noch verheiratet war. 1986 promovierte Merkel zum Dr. rer. nat. (Thema: »Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden«).
Wende 1989 begann es in der DDR zu gären. Angelas Familie wurde aktiv: Der Vater beim Neuen Forum, die Mutter bei der SPD, der Bruder bei Bündnis 90. Angela hoffte zwar auf den Fall der Mauer, auf Wiedervereinigung und Marktwirtschaft, aber die Friedens- und Umweltgruppen waren ihr suspekt, weil sie ein »tiefes Misstrauen zu basisdemokratischen Gruppierungen« hatte (und hat), und sie beteiligte sich erst dann aktiv, als die Gefahr vorüber war. Nach der Maueröffnung am 9. November 1989 ging sie auf Parteisuche. (Damals lehnte sie die (Ost-)CDU noch vehement ab – als Blockpartei der SED hatte diese die Politik der DDR widerspruchslos mitgetragen.)
Beim Demokratischen Aufbruch (DA) Beim Demokratischen Aufbruch wurde sie schließlich im Dezember 1989 Mitglied. In dessen Zentrale in Berlin herrschte Chaos, aber das gefiel ihr, und sie fühlte sich gebraucht. Die politische Richtung war damals noch nicht völlig festgelegt, tendierte dann zu Wiedervereinigung und Marktwirtschaft, die Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurde schließlich ausdrücklich verworfen. Angela Merkel installierte herumstehende Computer und machte sich schnell unentbehrlich. Im Januar 1990 bewarb sie sich beim DA und wurde zum 1. Februar als Sachbearbeiterin eingestellt – als einzige Ostdeutsche unter lauter westlichen »Entwicklungshelfern«. In ihrer zweiten Arbeitswoche wurde sie bereits zur Pressesprecherin ernannt. Ruhig, kompetent und sachlich vertrat sie die Belange der Partei und fiel dadurch angenehm auf.
Im Februar 1990 entstand auf Druck der Kohl-CDU die Allianz für Deutschland aus Ost-CDU unter Lothar de Maizière, DA und DSU (Deutsche Soziale Union, ein Ziehkind der CSU). Angela Merkel übernahm u. a. das Überarbeiten der Reden von DA-Chef Wolfgang Schnur gemeinsam mit Matthias Rößler, dem späteren Kultusminister von Sachsen. Kurz vor der Wahl im März wurde Schnur als Stasimitarbeiter enttarnt, der DA erreichte nur katastrophale 0,9 %, aber die Allianz für Deutschland errang insgesamt einen glänzenden Sieg, Lothar de Maizière wurde Ministerpräsident.
Stellvertretende Regierungssprecherin der Regierung de Maizière Angela Merkel wurde de Maizière vorgestellt, dieser machte sie kurzerhand am 12. April 1990 zur stellvertretenden Regierungssprecherin, damit wurde sie Mitglied des Ministerrates. Durch die Auflösung des DA im August 1990 kam sie schließlich in die Ost-CDU. Sie hatte ihre eigentliche Begabung entdeckt: die Politik erwies sich als das Gebiet, in dem es für sie nun unaufhaltsam nach oben ging. Hier kamen ihre Vorzüge zum Tragen: Präzision, Selbstsicherheit, eine schnelle Auffassungsgabe und eine schier unglaubliche Lernfähigkeit, außerdem die Begabung, klar und prägnant, z. T. ironisch zu formulieren.
Angela Merkel kam ins »Küchenkabinett«, den kleinen Kreis, der engen und regelmäßigen Kontakt zu de Maizière hatte. Eine wichtige Rolle hatte dort Günther Krause, damals Parlamentarischer Staatssekretär, der mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag aushandelte – er wurde ihr nächster Förderer. Krause, 1990 Landesvorsitzender der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, verschaffte ihr die Chance, für den Wahlkreis 267 (Rügen/Stralsund/Grimmen) zu kandidieren, im September 1990 setzte sie sich knapp gegen zwei andere Kandidaten (aus dem Westen) durch.
Bundesministerin für Frauen und Jugend Auf dem Einheitsparteitag der CDU im Oktober 1990 wurde Angela Merkel Helmut Kohl vorgestellt. Mit der deutschen Einheit endete ihre Tätigkeit im DDR-Ministerrat, und sie wurde vorübergehend Referentin im Bundespresseamt (BPA). Im November lud Helmut Kohl sie zu einem Gespräch ein. Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 errang sie ein Direktmandat mit einem Stimmenanteil von 48,6 % (das verteidigte sie auch 1994 und 1998) und wurde damit Mitglied des Deutschen Bundestages.
Auf das Gerücht, sie solle Ministerin werden, reagierte sie »unglaublich erschrocken«, sagte aber zu, als der Anruf von Kohl kam. Vom 18. Januar 1991 bis zum November 1994 war Angela Merkel Bundesministerin für Frauen und Jugend. Am 23. November 1991 unterlag sie bei der Wahl für den Landesvorsitz der CDU Brandenburg, ihre Kandidatur war sehr spät und ohne entsprechende Vorbereitung erfolgt und von Kohl und Rühe veranlasst worden.
Im Dezember 1991 wurde sie (nach dem Rücktritt Lothar de Maizières wegen angeblicher Stasitätigkeit) zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU Deutschlands gewählt. Helmut Kohl hatte ihr den Einstieg in die »große Politik« erleichtert, aber generell wird sein Einfluss auf ihre Karriere wohl überschätzt – ihr Wille zur Macht und ihre immensen Fähigkeiten kamen im politischen Tagesgeschehen voll zur Geltung, und nach anfänglichen Unsicherheiten wuchs auch ihr Selbstbewusstsein.
Im September 1992 wählte man sie zur Vorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU. Dieses Amt behielt sie bis zu ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden im Juni 1993, dann legte sie den Vorsitz nieder.
Als Familienministerin bestimmten zahlreiche Konflikte und die Suche nach Kompromissen ihren Alltag, sie hatte eine Menge zu lernen, zumal sie die Spielregeln in Bonn noch nicht wirklich kannte. Angela Merkel verschaffte sich dadurch Achtung, dass sie nie unvorbereitet war und sich innerhalb kürzester Zeit grundlegendes Wissen zu den jeweiligen Fragen und Problemstellungen aneignete. Ihre naturwissenschaftliche Bildung, ihre Intelligenz und sprachliche Begabung verschafften ihr zusätzlich häufig einen Vorsprung gegenüber den »gelernten Politikern«.
In ihre Amtszeit fielen 1992 das gesetzliche Recht auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab drei Jahren und die Debatte um den §218 (Neuregelung der Abtreibungsbestimmungen) – hier zeigte sich erstmals deutlich, dass für Angela Merkel Machbarkeit wichtiger war (und ist) als ihre eigenen Einstellungen: Als Ministerin für Frauen, Jugend und Familie plädierte sie für den Schutz des ungeborenen Lebens, legte aber schließlich die Gesetzesvorlage zur Indikationslösung vor – und bei der Abstimmung enthielt sie sich der Stimme, weil sie diese Vorlage nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte!
Im Juni 1993 folgte ihre Wahl zur Landesvorsitzenden der CDU Mecklenburg-Vorpommern (nach dem Rücktritt Günther Krauses als Bundesminister), dieses Amt legte sie erst nach Wahl zur Bundesvorsitzenden im Mai 2000 nieder. Die Koalitionsverhandlungen mit der SPD führte sie äußerst zielstrebig, zügig und engagiert. Am 1. September 1994 trat das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, es verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im öffentlichen Dienst, schützt die Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und fordert die ausgewogene Besetzung öffentlicher Gremien. Erst in ihrem Amt als Familienministerin sah Angela Merkel die Notwendigkeit von Frauenpolitik ein – das wird verständlich, wenn man bedenkt, dass sie sich als berufstätige Frau auch in der Männerdomäne Physik ganz selbstverständlich behauptet hatte.
Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach der Bundestagswahl 1994 wurde Angela Merkel am 17. November zur Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ernannt. Im Januar 1995 sorgte sie für Aufsehen: Sie versetzte den altgedienten Staatssekretär Stroetmann in den einstweiligen Ruhestand. Ihr Kommentar: »Ich habe den Anspruch, in meinem Ministerium die Leitlinien vorzugeben.«
Bei Auseinandersetzungen mit der Regierung in Niedersachsen um den ersten Castor-Transport nach Gorleben erzwang Merkel letztlich den Transport, da die Gesetzeslage das erfordere: »Man kann die Gesetze ändern, wenn es die Mehrheiten dafür gibt – aber man darf nicht einknicken, schon gar nicht vor Gewalt.« Im Frühjahr 1995 organisierte und leitete sie das 14-tägige Gipfeltreffen der Vereinten Nationen zum Klimaschutz in Berlin und setzte gegen viele Widerstände mit großem Einsatz das Berliner Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgase durch.
Bei den Energiekonsensgesprächen im April 1995 wurde Gerhard Schröder ihr »Lieblingsgegner«. Der Konsens kam nicht zustande, aber die Novelle zum Atomgesetz konnte 1997 ohne SPD-Zustimmung durch den Bundestag gebracht werden – eine große Genugtuung für Angela Merkel. Ärger gab es (auch in den eigenen Reihen), als sie 1996 die Besteuerung des Flugbenzins forderte, und sie machte schnell einen Rückzieher. 1996 wurden unter Merkels Federführung Entwürfe zur Novellierung des Bundes-Naturschutzgesetzes und für ein Bundes-Bodenschutzgesetz verabschiedet. 1997 erschien ihr Buch »Preis des Überlebens«, ein Dialog mit Akteuren des Umweltschutzes.
Im Mai 1998 wurde publik, dass Grenzwertüberschreitungen bei Castor-Behältern für Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien seit langem bekannt waren und immer ignoriert wurden. Merkel ließ alle Atommülltransporte stoppen, geriet aber dennoch massiv unter Beschuss seitens der SPD (»Schlamperei oder Kumpanei« warf man ihr vor) und seitens der Atomwirtschaft, die gern alles unter der Decke gehalten hätte. Es kam zu Rücktrittsforderungen. Schließlich wurde ein Zehn-Punkte-Plan für mehr Transparenz bei Atomtransporten vorgelegt.
Beim Ozongesetz und bei der Novelle zur Verpackungsverordnung stand sie zwischen allen Fronten. Ihr legendär gewordener Tränenausbruch im Kabinett verhalf ihr letztlich zur nötigen Mehrheit im Kabinett beim Ozongesetz – und zeigte eine ihrer weniger bekannten Seiten. Während ihrer Amtszeit traf Merkel Vereinbarungen mit der Industrie über die Minderung des Kohlendioxidausstoßes, über den Kraftstoffverbrauch bei Neuwagen, über die Altautoverwertung und die Batterieverwendung. Sie galt als geschickte Moderatorin und Vermittlerin, aber Weinzierl, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND), beklagte sich auch darüber, dass sie sich leidenschaftlich für die Atompolitik und den ungehemmten Straßenbau einsetzte und darüber, dass in ihrer Amtszeit der Naturschutz praktisch nicht von der Stelle gekommen sei – aber das sei unter Kohl auch gar nicht möglich gewesen. Und: Als Umweltministerin trat sie heftig für die Einführung einer Ökosteuer ein – und als die SPD diese später verabschiedete, war sie plötzlich dagegen. Politisches Kalkül trat im Laufe ihres politischen Werdeganges zunehmend in den Vordergrund.
Generalsekretärin der CDU Bei der Bundestagswahl 1998 erlebte die CDU eine schwere Niederlage. Helmut Kohl trat zurück und übernahm den Ehrenvorsitz. Am 22. Oktober 1998 schlug Schäuble – mit Unterstützung und ausdrücklicher Billigung durch Kohl – Angela Merkel offiziell für den Posten des Generalsekretärs vor, und am 7. November 1998 wählte die CDU Schäuble zum Vorsitzenden und (mit knapp 93 Prozent der Stimmen) Angela Merkel zur Generalsekretärin der CDU als erste Frau in diesem Amt. Schäuble: »Wer mit ihr zu tun hatte, wusste: Das ist eine hochintelligente Frau, der Politik auch Spaß macht. Sie hat politischen Verstand, die notwendige Härte, den Ehrgeiz und die Umsicht. Und sie steckt nicht in den abgelatschten Bonner Verhaltensweisen und Kommunikationsformen.«
Ihr Einzug ins Bonner Konrad-Adenauer-Haus gegen allerlei Widerstände brachte bald frischen Wind, sie setzte sich durch und brachte ihre Vertrauten in Schlüsselpositionen. Auch von der lange Zeit für die CDU tätigen Werbeagentur trennte sie sich, statt dessen gab es einen Wettbewerb verschiedener Agenturen zur Auswahl. Bis Ende 1999 waren drei von vier Hauptabteilungsleitern im Adenauer-Haus ausgetauscht.
Am 30. Dezember 1998 heiratete Angela Merkel ihren langjährigen Lebensgefährten, den Chemieprofessor Joachim Sauer.
Im Dezember 1998/Januar 1999 ebnete sie nach anfänglichem Widerstand (Volksentscheide vertragen sich nicht mit ihrer Idealvorstellung einer repräsentativen Demokratie) den Weg für die Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft. Fünf Millionen Unterschriften kamen insgesamt zusammen, ein in der Geschichte der BRD einmaliges Ergebnis. 1999 errang die CDU zahlreiche Wahlsiege (Landtagswahlen, Europawahlen, Bürgerschaftswahlen) und erreichte einen neuen Höhepunkt ihres Ansehens, auch wenn die Ursachen dafür vor allem in Fehlern der rot-grünen Regierung lagen. Im April 1999 wurden die Erfurter Leitsätze für eine Erneuerung der CDU in der Opposition beschlossen – Programmkommissionen wurden eingesetzt, eine neue Definition der sozialen Marktwirtschaft vorgelegt, ein Quereinstieg in die CDU erleichtert. Die Basis war vom neuen Stil begeistert, viele Funktionäre jedoch nicht.
Spendenskandal, CDU-Parteivorsitzende Der Absturz der CDU begann am 4. November 1999: Haftbefehl wegen Verdachts der Steuerhinterziehung gegen den ehemaligen Schatzmeister der CDU, Walter Leisler Kiep. Das löste eine Lawine aus – den Spendenskandal. Merkel trat für eine bedingungslose Aufklärung auch aus eigener Kraft ein. Kohl übernahm am 30. November die »politische Verantwortung« für die geheimen Spendenkonten und die Umgehung der Gesetze, nannte aber keine Namen. Die CDU sank in der öffentlichen Meinung immer weiter ab. Kohl leistete jedoch keine Hilfe zur Aufklärung wegen eines gesetzwidrig gegebenen Ehrenworts. Sachpolitik war nicht mehr möglich, solange die Affäre andauerte. Am 22. Dezember 1999 erschien in der FAZ Angela Merkels Artikel, in dem sie die CDU aufforderte, sich von Kohl zu lösen, ohne seine historischen Verdienste zu schmälern. Schäuble war darüber nicht informiert, und im CDU-Präsidium traf der Artikel auf sehr geteilte Meinungen. Ihr harter Aufklärungskurs brachte ihren eigenen Posten in Gefahr, es war völlig unklar, ob sie sich halten könne an der Spitze. – Vier Wochen später bekannte sich die CDU zu Merkels Forderung, den Weg nun ohne Kohl zu gehen.
Auch Schäuble geriet wegen Entgegennahme undeklarierter Spenden in die Mühle, am 16. Februar 2000 gab er nach Unmutsäußerungen der Parteibasis den Rücktritt von Partei- und Fraktionsvorsitz bekannt. Auf Regionalkonferenzen der CDU im Februar / März 2000, in denen über die Nachfolge für den Parteivorsitz beraten wurde, feierte man Angela Merkel begeistert und forderte sie zur Kandidatur auf – die Menschen waren dankbar dafür, dass sie für die Fehler anderer ihren Kopf hingehalten hatte, zur richtigen Zeit die richtigen Worte fand, Kohl aber dennoch mit Achtung behandelte – sie selber wollte ursprünglich nicht kandidieren, konnte und wollte sich aber schließlich dieser Erwartungshaltung nicht entziehen. Von der CSU unter Stoiber wurde sie als »zu links« abgelehnt. Der Bundesvorstand nominierte sie am 20. März 2000 einstimmig zur Kandidatin für das Amt des Parteichefs. Im April 2000 erhielt sie auf dem Bundesparteitag der CDU minutenlange standing ovations für ihre Rede (in der sie u. a. Kohl einen nachträglichen Gruß zum 70. Geburtstag sandte) – mit Charme und klarem Denken, Mut und Wertorientierung hatte sie die Partei erobert. Von den Landesdelegierten wählten sie knapp 96 Prozent zur Parteivorsitzenden. Die Ämter, die bisher in einer Hand lagen, wurden getrennt – Friedrich Merz wurde Fraktionsvorsitzender, dadurch hatte Angela Merkel nur nominelle Macht.
Im Januar 2001 kam es zum Eklat über ein CDU-Wahlplakat mit Schröder-Abbild wie im Verbrecheralbum – Merkel und Merz stürzten dramatisch ab in der Wählergunst. Und als erst im April über die bereits im März 2001 – kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – entdeckte Million DM von Walter Leisler Kiep auf einem CDU-Konto informiert wurde, waren Glaubwürdigkeit und Autorität schwer beschädigt. Es kam zu einem »Kohl-Revival«, ein wirklicher demokratischer Aufbruch der CDU fand nicht statt, und Angela Merkels Ansehen sank. Ihr Versuch, allen gerecht zu werden in der CDU, wurde ihr als Schwäche ausgelegt.
Verzicht auf Kanzlerkandidatur, Fraktionsvorsitz Schon kurz nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 hatte in der Union die Debatte über die »K-Frage« begonnen, die Suche nach einem geeigneten Kanzlerkandidaten. Gegen Ende des Jahres 2001 lief dann alles auf eine Entscheidung zwischen CSU-Chef Edmund Stoiber und Angela Merkel hinaus – und Angela Merkel machte sehr deutlich, dass sie dieses Amt haben wollte. Als ihr jedoch klar wurde, dass sie dafür innerhalb der Union keine Mehrheit finden würde, ja, dass gar hinter ihrem Rücken Absprachen gegen sie stattfanden, erklärte sie Anfang Januar 2002 überraschend ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur zugunsten Stoibers und unterstützte anschließend Stoibers Wahlkampf uneingeschränkt. Dieser Schritt brachte ihr Hochachtung und einen Bonus für künftige Personalentscheidungen ein, den sie nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 zu nutzen wusste: Sie erreichte, dass die Ämtertrennung zwischen Partei- und Fraktionsvorsitz wieder aufgehoben und Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzender abgelöst wurde. Angela Merkel hatte wieder eine Stufe ihrer Karriereleiter genommen, als sie am 24. September 2002 zur Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewählt wurde. Viele empfanden sie als die heimliche Gewinnerin der Bundestagswahl.
Oppositionsführerin Am 11. November 2002 wurde Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Hannover als Vorsitzende der CDU mit 93,7 Prozent für weitere zwei Jahre bestätigt. 2003 ging es für die CDU/CSU wieder aufwärts. Im Februar wurde Roland Koch in Hessen als Ministerpräsident wiedergewählt, in Niedersachsen löste eine CDU/FDP-Koalition die SPD-Regierung ab. In Bayern erreichte die CSU im September eine Zweidrittelmehrheit der Mandate.
Angela Merkels USA-Reise im Februar 2003 und ihre offene Zustimmung zum Angriff der USA auf den Irak brachten ihr wenig Freunde in Deutschland, dafür aber umso mehr in den USA. Bundeskanzler Gerhard Schröder hingegen vertrat offensiv die Position, dass eine militärische Intervention vermieden werden müsse – in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung, damit aber das Verhältnis zu den USA schwer belastend.
Im September 2003 wurde Angela Merkel mit 93,7 % als Fraktionsvorsitzende bestätigt. Bei der sogenannten Hohmann-Affäre im Oktober 2003 war die Parteibasis irritiert durch Merkels anfängliches Zögern, den angeschlagenen CDU-Politiker Hohmann wegen seiner antisemitischen Äußerungen aus Fraktion und CDU auszuschließen.
Auf dem CDU-Parteitag in Leipzig im November 2003 stimmten die Delegierten einer geradezu visionären Erneuerung des Parteiprogramms zu. Friedrich Merz' radikal vereinfachtes Steuersystem (»Bierdeckelsystem«) und die Vorschläge der Herzog-Kommission zur Sozialversicherung (»Kopfpauschale«) wurden beschlossen. Die CSU konnte sich mit beidem nicht anfreunden und stellte ein eigenes Steuermodell vor. Der Kompromiss, auf den sich die Unionsparteien schließlich einigten, bedeutet im Grunde das Aus für ein einfacheres Steuersystem.
Die SPD konnte ihr Versprechen nicht einhalten, die Arbeitslosenzahlen drastisch zu reduzieren und schnitt bei Umfragen immer schlechter ab. Im Februar 2004 gab Bundeskanzler Schröder den SPD-Parteivorsitz an Franz Müntefering ab, und die CDU eroberte bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen die Alleinregierung. Als die Wahl des Bundespräsidenten anstand, erreichte Merkel in Gesprächen mit CSU und FDP, dass ihr Favorit Horst Köhler als Kandidat nominiert wurde. Köhler wurde bereits im ersten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt, was als klarer Sieg für Merkel gedeutet wurde.
Die Union wurde 2004 in unpopuläre Regierungsentscheidungen einbezogen, und ein heftiger Grundsatzstreit zwischen CDU und CSU um die Gesundheitsreform schädigte das Ansehen der Union in der Öffentlichkeit beträchtlich. Bei der Europawahl im Juni 2004 und einigen Landtagswahlen machte sich das deutlich bemerkbar, am drastischsten im September in ihrer Hochburg Sachsen, wo die Unionsparteien mehr als 15 % Wählerstimmen einbüßten. Statt der von der Türkei angestrebten Mitgliedschaft in der Europäischen Union schlug Angela Merkel eine privilegierte Partnerschaft vor.
Im Gefolge unionsinterner Debatten erklärte im Oktober 2004 Friedrich Merz in einem offenen Brief an Angela Merkel seine Absicht, sich aus der Spitze der Partei und der Fraktion zurückzuziehen. Merz-Nachfolger wurden Ronald Pofalla und Michael Meister, da Wolfgang Schäuble ablehnte. Im November einigten sich die Unionsparteien auf einen Kompromiss in der Gesundheitspolitik, woraufhin Horst Seehofer als Fraktionsvize zurücktrat. Auf dem Parteitag in Düsseldorf wurde Merkel mit 88,4% der Stimmen als Parteivorsitzende bestätigt (-5%), und das Reformmodell der Solidarischen Gesundheitsprämien wurde beschlossen. Im Dezember 2004 musste der CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer wegen erhaltener Rabatte und Zahlungen durch die RWE trotz ruhenden Arbeitsverhältnisses zurücktreten, Angela Merkel ernannte Volker Kauder zum Nachfolger. Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Februar 2005 konnte die CDU einen knappen Erfolg verbuchen und erzwang eine große Koalition. Im Mai verlor die SPD nach 39 Jahren die Macht in Nordrhein-Westfalen, während die CDU um fast 8% zulegen konnte. Bundeskanzler Schröder verkündete, vorgezogene Neuwahlen anzustreben, da er keine ausreichende Zustimmung zu seiner Politik mehr sah. Am 30. Mai 2005 wurde Angela Merkel von CDU und CSU zur Kanzlerkandidatin ernannt.
Bundeskanzlerin der großen Koalition (2005 – 2009) Die Bundestagswahl am 18. September 2005 brachte eine prekäre Situation: Weder CDU/CSU (35,2%) mit der FDP noch SPD (34,2%) und Grüne verfügten über genug Mandate für eine Regierung. Erst nach mehreren Wochen (u. a. verursacht durch eine erforderliche Nachwahl im Wahlkreis Dresden I) einigten sich die Parteien auf eine Große Koalition, die zweite in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Heftige Debatten gab es auch um die Frage, ob SPD (als größte Einzelfraktion einer Partei) oder Unionsparteien (als größte Fraktionsgemeinschaft) das Kanzleramt gebühre. Schließlich einigten sich SPD, CDU und CSU, und am 22. November 2005 wurde Angela Merkel mit 397 von 611 Stimmen der Abgeordneten des 16. Deutschen Bundestages zur Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Sie ist damit die erste Frau, die ein solches Amt in Deutschland bekleidet.
Die große Koalition hat im ersten Jahr zahlreiche gesetzliche Änderungen beschlossen: Im Koalitionsvertrag war die ersatzlose Abschaffung einer der größten staatlichen Subventionen, der Eigenheimzulage, beschlossen worden. Seit Januar 2006 wird diese Subvention nicht mehr gewährt. Im August 2006 trat das mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen beschlossene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) (»Antidiskriminierungsgesetz«) in Kraft, im September 2006 das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes und das Föderalismusreform-Begleitgesetz; die Föderalismusreform ändert die Beziehungen zwischen Bund und Ländern in Hinsicht auf die Gesetzgebung.
Heftige, monatelange Diskussionen um die im Koalitionsvertrag vorgesehene Gesundheitsreform wurden zu einer schweren Belastungsprobe für die Union und die Koalition. Auf dem Dresdner Parteitag der CDU Ende November 2006 wurde Merkel mit 93 Prozent der Stimmen (deutlich mehr als 2004) in ihrem Amt als Parteivorsitzende bestätigt. Auf diesem Parteitag verwies Merkel auf die sinkende Arbeitslosigkeit, eine robuste Konjunkturentwicklung und eine sinkende Neuverschuldung als Erfolge der Regierungspolitik und erwähnte handwerkliche Fehler, etwa beim Antidiskriminierungsgesetz.
Im Januar 2007 traten folgende Änderungen in Kraft: Statt des Erziehungsgeldes gibt es das einkommensabhängige Elterngeld, mit dem vor allem Berufstätigen das Kinderkriegen attraktiver gemacht werden soll; der Sparerfreibetrag wurde reduziert; die Entfernungspauschale (»Pendlerpauschale«) wird erst ab dem 20. Entfernungskilometer gezahlt.
Angela Merkels Auftreten als Bundeskanzlerin, ihre sachliche Art, wurde anfangs als sehr angenehm empfunden nach den Schröderschen Selbstinszenierungen. Zunehmend lastete man ihr an, dass sie sich vor allem beim Richtungsstreit der CDU (Gesundheitsreform, Vorstoß von Rüttgers, älteren Arbeitslosen länger Arbeitslosengeld I zu zahlen) nicht deutlich genug positionierte. Die CDU verlor immer mehr an Zustimmung – und an Mitgliedern: Allein im ersten Jahr der Großen Koalition erklärten 11.000 von ihnen den Austritt aus der CDU.
Außenpolitisch konnte Merkel mit Charme und Hartnäckigkeit punkten: Dass 2007 ein neuer Reformvertrag für die EU zustande kam, wurde ihrem beharrlichen Einsatz zugeschrieben. Die folgenden Jahre waren von der Finanzkrise geprägt, schnelle Entscheidungen zugunsten großer Kreditinstitute wurden getroffen.
Bis 2009 stand Angela Merkel an der Spitze der zweiten großen Koalition der BRD, die vor allem durch heftige Auseinandersetzungen von sich reden machte. Im Wahlkampf 2009 wurde ihr wiederholt Profillosigkeit vorgeworfen. Ihre Wahlkampfpositionen: Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Einkommenssteuer, voller Erhalt des Ehegattensplittings, Ablehnung eines flächendeckenden Mindestlohnes und Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke.
Bei der Wahl am 27. September 2009 erreichten CDU/CSU und FDP die notwendige Mehrheit für die von ihnen angestrebte schwarz-gelbe Koalition – trotz des jeweils schlechtesten Wahlergebnisses seit 1949. In ihrem eigenen Wahlkreis 15 erzielte Merkel mit 49,3 Prozent der Erststimmen acht Prozentpunkte mehr als vier Jahre zuvor.
Bundeskanzlerin der schwarz-gelben Koalition (2009 – 2013) Nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wurde Angela Merkel mit 323 von 612 abgegebenen Stimmen erneut zur Bundeskanzlerin gewählt. Ihr erklärtes Regierungsziel ist die Überwindung der Wirtschafts- und Bankenkrise.
Die schwarz-gelbe Koalition tat sich zunächst schwer, erst gegen Ende 2010 fand sie zum geschlossenen Handeln. Leichte steuerliche Entlastungen in verschiedenen Bereichen (z.B. Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen) waren alles, was vom ursprünglichen Ziel blieb, das Steuersystem zu vereinfachen.
Im Mai 2010 beschlossen die EU-Regierungschefs den Euro-Rettungsschirm für Griechenland, um dessen Staatspleite abzuwenden. Die deutsche Haftung für die Schulden anderer EU-Länder wurde stark ausgedehnt, sehr zum Unmut der deutschen Bevölkerung. Die Arbeitslosenzahlen sanken Ende 2010 auf unter drei Millionen. 2011 beschloss der Bundestag die Aussetzung der Wehrpflicht. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg musste aufgrund seiner zu einem großen Teil aus undeklarierten Zitaten bestehenden Doktorarbeit von seinen bundespolitischen Ämtern zurücktreten; Merkels Rückendeckung für ihn wurde ihr von WissenschaftlerInnen übelgenommen.
Auch dass die Bundesregierung den Atomkonsens der rot-grünen Regierung nicht einhielt und 2010 die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängerte, stimmte nicht mit dem Willen des größeren Teils der Bevölkerung überein. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan änderte Merkel im März 2011 ihre Energiepolitik, am 6. Juni beschloss das Kabinett den stufenweisen Atomausstieg Deutschlands bis 2022 – was manchen PolitikerInnen zu weit und den anderen nicht weit genug ging, aber große Zustimmung bei der Bevölkerung fand. 2013 wurde vom Bundestag ein Bankenaufsichtsmechanismus beschlossen, seither kann mit Geldern aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht nur Staaten, sondern auch in Not geratenen Banken geholfen werden.
Als 2013 bekannt wurde, dass der amerikanische Geheimdienst NSA nicht nur zahlreiche deutsche BürgerInnen (und die anderer EU-Staaten), sondern sogar die Bundeskanzlerin abgehört hatte, kühlte das Verhältnis Deutschlands zu den USA (und das von Angela Merkel zu Barack Obama) deutlich ab. Am 26. November 2013 wurde nach langen Beratungen ein von Merkel und der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff vorbereiteter, auf Drängen der USA und anderer Staaten abgeschwächter Resolutionstext zu Überwachungsaktionen im Ausland von der Vollversammlung der Vereinten Nationen einstimmig beschlossen.
Bundeskanzlerin der großen Koalition (seit 2013) Angela Merkel äußerte vor der Bundestagswahl ihren ausdrücklichen Willen, wieder Bundeskanzlerin zu werden. Dass sie nicht vorhat, vor Ende der (nächsten) Legislaturperiode auszusteigen, hatte sie im April 2013 sehr deutlich gesagt, ebenso, dass sie ihre Entscheidungen dann trifft, wenn sie fällig sind, nicht eher. Bei der Wahl am 22. September 2013 erreichte der Koalitionspartner FDP nicht die erforderliche Stimmenanzahl, die Union verpasste mit einem Zweitstimmenergebnis von 41,5 Prozent jedoch nur knapp die absolute Mehrheit. In ihrem Wahlkreis 15 erzielte Merkel ein noch höheres Wahlergebnis als je zuvor: 56,2 Prozent der Erststimmen.
Eine neue große Koalition wurde gebildet, Merkel mit 462 von 621 abgegebenen Stimmen als Bundeskanzlerin wiedergewählt.
Mächtigste Frau der Welt Ende August 2006: Angela Merkel schafft es zum ersten Mail auf Platz 1 der Liste der einhundert mächtigsten Frauen der Welt, die die US-Zeitschrift »Forbes« herausgibt, und verdrängt US-Außenministerin Condoleezza Rice auf den zweiten Platz. Die Zeitschrift lobt, Merkel habe die deutsche Wirtschaft wiederbelebt, den deutsch-amerikanischen Handel vorangetrieben und die politischen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland verbessert. Charakteristische Stärken Angela Merkels seien ihr dezentes Auftreten und ihre Fähigkeit, Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Ihre Rolle als Mittlerin spiele sie sehr erfolgreich.
Bis heute, 2014, hat sie diesen Rang jedes Jahr – mit Ausnahme von 2010, in dem sie »nur« auf Platz 4 gelangte, verteidigen können. »Sie ist nicht nur der erste politische Star aus Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung. Kanzlerin Merkel ist auch das Rückgrat und die Architektin der Europäischen Union«, begründet »Forbes« in diesem Jahr die Entscheidung.
Merkel privat Sehr zum Missfallen der Boulevardpresse, die sich mit spärlichen, nichtssagenden Urlaubsfotos begnügen muss, gibt Angela Merkel tunlichst ihr Privatleben nicht der Öffentlichkeit preis. Bekannt ist lediglich, dass sie in zweiter Ehe mit Dr. Joachim Sauer, Professor, verheiratet ist und keine Kinder hat. Gelegentlich verteilt sie kleine Appetitshäppchen wie die, dass sie gern kocht und klassische Musik, vor allem Opern, liebt und dass sie es genießt, sich in der Natur aufzuhalten – das muss reichen. Dass sie einen (teils bösen) Humor hat, herzhaft lachen und außerhalb des Protokolls leidenschaftlich ihre Positionen vertreten kann, wissen Menschen zu berichten, die näher mit ihr zu tun hatten.
Atomausstieg, Eurorettungsschirm ... Merkels Politik ist eine Politik des Machbaren, weniger des Wünschenswerten. Ziele werden en passant geändert oder schrittweise zurückgenommen, wenn ihre Umsetzung fraglich zu werden droht. Was Angela Merkel wirklich denkt, weiß sie gut zu verbergen. Selten lässt sie sich hinreißen, deutliche Worte zu sprechen, dabei zeichnete gerade das sie aus beim Einstieg in die Politik. Sehr schnell lernte sie die Gesetzmäßigkeiten des politischen Getriebes für ihre Ziele auszunutzen. Ihr scharfer Verstand, schnelle Analysen, das Verbergen ihrer Gefühle kommen ihr dabei sehr zugute. Außenpolitisch agiert sie mit Charme und Witz, auch da ihre Vorteile nutzend. Angela Merkel hat, von ganz außen kommend, das System der Macht durchschaut und spielt seither ausdauernd in der obersten Liga.
(Erstfassung 2003, erweitert Januar 2007 und Juli 2014)
Verfasserin: Almut Nitzsche
Links
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Bundeskanzlerin | Angela Merkel (2014). Online verfügbar unter http://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BKin/DE/AngelaMerkel/angela_merkel_node.html, abgerufen am 02.07.2014.
Bundesregierung | Angela Merkel (2014). Online verfügbar unter http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundeskabinett/AngelaMerkel/_node.html, abgerufen am 02.07.2014.
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